: Obdachlos werden ist nicht schwer...
In San Francisco politisieren sich die Obdachlosen / Seit Wochen wohnen sie zu Hunderten direkt vor dem Rathaus / Büro des Bürgermeisters Agnos besetzt / „Food not Bombs“ teilt täglich Essen aus / Stadt und Polizei reagieren mit Schikanen und Verboten ■ Aus Santa Cruz Gregor Freund
Monatelang wurden sie von Polizei schikaniert und von Behörden eingeschüchtert. Bis der Gruppe „Food Not Bombs“ der Kragen platzte und sie am Montag dieser Woche die Stadt San Francisco auf 50 Millionen Dollar verklagte. Hintergrund des seit Wochen laufenden Konflikts: Im Touristenparadies San Francisco gibt es über 6.000 Obdachlose. Und die werden von „Food Not Bombs“ täglich verpflegt.
Die Organisation, die aus der Friedensbewegung kommt, verteilt seit mehreren Jahren kostenlos Mahlzeiten - dort, wo sie am meisten benötigt werden: In San Franciscos Innenstadt und am Golden-Gate-Park, wo viele Obdachlose übernachten. Da die Organisation sich weigert, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, Genehmigungen einzuholen und sich vorschreiben zu lassen, wo und wann sie ihre Essensstände aufbaut, liegt sie im Dauerclinch mit dem liberalen Bürgermeister San Franciscos, Art Agnos, der vor 18 Monaten angetreten war, um just das Obdachlosenproblem anzugehen.
Doch da hat sich nicht sehr viel getan: Immer noch bietet die Stadt nur 17 Obdachlosenheime mit ungefähr 3.000 Plätzen an. In den letzten Wochen campierten Hunderte Obdachlose direkt vor dem Rathaus. Ihre Zeltstadt unter freiem Himmel nannten sie auch noch provokant „Camp Agnos“. „Food Not Bombs“ verteilt dort dreimal täglich meist vegetarisches Essen. Das kann die Organisation über Spenden, den Verkauf von T-Shirts und Stickern wie noch brauchbare Lebensmittel, die Supermärkte ihr spendieren, leisten.
Als Gerüchte umgingen, die Polizei wolle den Rathausplatz räumen, besetzten rund 100 Obdachlose das Büro des Bürgermeisters und forderten in Sprechchören „Wohnungen statt Schikane“. Der Chef von „Food Not Bombs“, Keith McHenry, drohte: „Im Falle einer Räumung des Platzes wird das Rathaus besetzt.“ Die Stadt gab zwar nach, verlangte aber, die Zelte und sonstigen „Behelfsbehausungen“ abzubauen. Das gab Bürgermeister Art Agnos den „vorübergehenden Bewohnern des Civic Center Placa“ schriftlich bekannt.
„Es ist ihr Zuhause, hier leben sie. Es ist ihr Park, und sie wollen ihn behalten. Man kann einen Hund treten und treten, irgendwann beißt er zu“, meinte Michael Lee, Koordinator einer Nachbarschaftsinitiative, die den Obdachlosen helfen will. Doch den Hardlinern im Rathaus geht das alles zu weit. Wenige Tage später wurde den Aktivisten von „Food Not Bombs“ per einstweiliger Verfügung verboten, weiter Essen an die „bums“ zu verteilen. Angeblicher Grund: Verletzungen von Verwaltungsvorschriften, die die Ausgabe von Lebensmitteln ohne Genehmigung verbieten. Doch dann war auch von Lebensmittelhygiene die Rede: das Essen hätte keinen „Plastikschutz“. Die Gruppe hält dagegen, daß sie lediglich Essen mit Freunden teile und dafür keine Genehmigung brauche.
Bob Prentice, der Berater von Bürgermeister Agnos für „Obdachlosenprogramme“, gibt zu, daß nicht genügend „Notunterkünfte“ existieren. Dem Bürgermeister seien die Hände gebunden, schließlich habe er 180 Millionen Dollar Defizit im Nacken. „Wir brauchen Bundesgelder.“ Die Knäste seien überfüllt und schließlich könne man das „Problem“ so auch nicht lösen, es fehlten Gelder für sozialen Wohnungsbau.
Das hat der Polizeichef der Stadt, Frank Jordan, noch nicht so erkannt, der schon öfter die Obdachlosen an ihren Lieblingsplätzen besuchte, ihnen Adressen der Obachlosenheime zusteckte, davon sprach, daß es „kein Verbrechen ist, obdachlos zu sein“, und unter Anteilnahme der lokalen Presse wieder davonmarschierte.
„Food Not Bombs“ meint, daß noch mehr faul ist. Milliarden Dollar würden für Rüstungsprojekte verpulvert, während Leute auf der Straße verhungerten. Die Wunden der Reagan-Jahre bluten noch: Nationale Programme für sozialen Wohnungsbau sackten von 32,2 Milliarden Dollar 1981 auf 7,3 Milliarden Dollar im Haushaltsjahr 1988 ab. Obdachlos werden ist nicht schwer.
Daß die Obdachlosen nun mit Hilfe von „Foot Not Bombs“ aus ihrem atomisierten Dasein auftauchen, ist ungewöhnlich für US-amerikanische Ellenbogen-Verhältnisse. Auf dem Platz vor dem Rathaus in San Francisco errichteten sie letzte Woche sogar eine Freiheitsstatue. „Das soll symbolisieren, daß Freiheit ohne Essen und Behausung bedeutungslos ist“, so einer der unermüdlichen Helfer. Die Statue wurde innerhalb weniger Stunden abgeräumt und mehr als zehn AktivistInnen verhaftet.
Der Kampf zwischen den Obdachlosen und der Stadt ist noch lange nicht vorbei: Nachdem die Klage gegen die Stadt eingereicht wurde, sagte Keith McHenry, daß dies dem Bürgermeister und der Polizei klarmachen würde, daß „wir vor keinem gewaltfreien Mittel zurückschrecken, um den Leuten Essen zu geben“.
Art Agnos weiß, daß da die sechs Millionen Dollar Bundesmittel, die San Francisco jetzt für Sozialprogramme und 200 Betten mehr erhielt, nur ein Tropfen sind. „Der Bürgermeister gibt uns keine Chance. Er will unseren Lebensraum in der Stadt noch einschränken. Werft uns nicht raus“, so Michael Star, ein 16jähriger, der schon seit Monaten vor dem Rathaus lebt.
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