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Die Nordsee - das gedüngte Badewasser

Dr.Joachim Lohse, Chemiker und Nordsee-Experte des Hamburger Instituts für Ökologie und Politik „Ökopol“, zur Algensituation an der deutschen Küste  ■ I N T E R V I E W

taz: Welche Algenart ist derzeit an den deutschen Küsten auffällig stark vertreten?

Lohse: Vor allem Großalgen, Tang, der eine Größe erreicht, die in früheren Jahren unbekannt war: bis zu zwei Meter Länge. Die Mikroalgen, die im letzten Jahr soviel Aufsehen errregten, haben sich in diesem Jahr nicht so stark vermehrt.

Belastet auch der Tang das Ökosystem?

Nicht direkt. Aber bei den Zersetzungsprozessen, die nach dem Absterben einsetzen, wird dem Wasser der Sauerstoff entzogen, es kann zum Fischsterben kommen. Und wenn der Tangteppich aufs Watt gespült wird, können die dort lebenden Organismen beeinträchtigt werden.

Woran liegt es, daß sich in jedem Jahr andere Algen durchsetzen?

Das weiß niemand. Es ist nicht vorhersehbar, welche Spezies günstige Wachstumsbedingungen vorfindet. Die Startfaktoren für das Algenwachstum sind zwar bekannt: Überdüngung durch Stickstoff und Phosphor, Wärme und Sonneneinstrahlung. Welche Richtung das Geschehen im Meer nimmt, darüber ist wenig bekannt, insbesondere über die komplizierten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Organismen auf unterschiedlichen Stufen des Nahrungsnetzes: welche Art von welcher profitiert, welche wen frißt, welche die günstigsten Voraussetzungen für eine massenhafte Vermehrung hat.

Die Nordsee-Anrainerländer haben für dieses Jahr bereits Algen-Entwarnung gegeben. Ist eine Prognose überhaupt möglich?

Die Entwarnung ist voreilig. Insbesondere in den küstennahen Gewässern kann es noch Probleme geben. Es steht die Herbstblüte der Algen bevor, die je nach Wetterlage im August oder September eintritt. Wenn wir im Anschluß an eine Schönwetterperiode, während der sich die Algen stark vermehren, eine Windsituation haben, durch die die Organismen zu Teppichen zusammengetrieben werden, dann wird die Zersetzungstätigkeit von Mikroorganismen Sauerstofflöcher zur Folge haben.

Schleswig-Holsteins Regierungschef Engholm hat in dieser Woche höchstpersönlich die Urlauber an Nord- und Ostsee beruhigt: Die Badewasserqualität sei bestens. Heißt das, daß sich das Meer erholt hat?

Die Badewasserqualität sagt über den ökologischen Zustand der See gar nichts aus. Die Badewasserqualität richtet sich nach dem Vorhandensein bestimmter Keime aus Siedlungsabfällen oder aus Schiffsfäkalien. Diese Keime können bei Badegästen Krankheiten hervorrufen. Aber auch mit guter Badewasserqualität ist die Nordsee noch das Meer, in dem bis zu 50 Prozent der Klieschen (eine Plattfischart, die besonders sensibel auf Umwelteinflüsse reagiert, d.Red.) Krankheiten aufweisen - vor allem Geschwüre -, wo die Seehunde weiter sterben. Es ist immer noch das extrem bedrohte Ökosystem, auch wenn wir bedenkenlos darin herumschwimmen können.

Das Gespräch führte Michael Berger

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