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Flucht in und aus dem Sport

■ Frauen und Leistungssport: Hinter der sportlichen Betätigung versteckt sich eine ganze Palette von spezifisch weiblichen Problemen / Von Magersucht und Identifikationsproblemen mit der Frauenrolle

„Können Spitzensportlerinnen die klassische Frauenrolle durchbrechen? Welche Funktion hat der Leistungssport für die beteiligten Frauen?“ fragte Regine Ulmer (30) im Frauenkulturzentrum Begine im Rahmen einer Veranstaltungsreihe „Frauen und Sport“.

Regine weiß, wovon sie spricht: Fünf Jahre lang hat sie im Teenageralter Leichtathletik als Leistungssport betrieben. In der Frauensportszene ist sie als Trainerin zahlreicher TU -Sportkurse für Frauen bekannt, die sie neben ihrem eigenen Sportstudium anbot. Leistungssport definiert sie nicht erst ab der nationalen Ebene. „Erfolgszwang und die permanente Maximierung von Körperleistung“ bestimme bereits auf den unteren Ebenen den Alltag der jungen Sportlerinnen. Eintrittsalter bei den kompositorischen Sportarten sei zumeist fünf Jahre. Zu den kompositorischen Sportarten zählen Tanz, Turnen, Gymnastik und Eiskunstlauf, also Sport, bei dem künstlerische Gestaltung verlangt wird. Bei diesen Sportarten müsse frau mit zwölf auf der internationalen Matte stehen, spätestens mit 16, 17Jahren wieder abtreten. Spezifisch weiblich ist das frühe Eintrittsalter, spezifisch weiblich auch die Verinnerlichung der abverlangten Grazie in den kompositorischen Sportarten. Statt persönlichem Ausdruck, der sich durch das Ausblenden der Pubertät auch kaum entwickelt, ist Perfektion und Eleganz gefragt. Die junge Sportlerin verschmilzt mit ihrem idealen Ich, das als Tribut den idealen Frauenkörper fordert. Ulmer nennt es Magersucht und zitierte bei ihrem Vortrag aus Anke Abrahams Interviews mit Gymnastiksportlerinnen, die sich nur wohlfühlten, wenn „sie ihren Körper langsam zum Verschwinden brachten“, dabei oft zu schwach zum Turnen waren.

Magersucht und Identitätsprobleme bezeichnet Regine auch als typisch für die Spitzensportlerinnen der Ball- und CGS -Sportarten. Bei diesen Sportarten geht es um mengenmäßige Leistung: CGS bedeutet Centimeter, Gramm und Sekunden, also Maßeinheiten. Dem späteren Einstiegsalter gehe gewöhnlich eine untypische Mädchenkindheit voraus. Mädchen, die sich ungehemmt herumraufen, schwitzen und sich austoben wollten, böten Sportarten oft die einzige Möglichkeit, „den tuschelnden, kichernden Mädchencliquen, aber auch dem in der Ferne winkenden Heiratsmarkt zu entkommen“. Die „geliehene Freiheit“ entpuppe sich in der Pubertät als Mißverständnis. Die Leistung wird anerkannt, die Frau dahinter nicht. Davon wußten auch die Frauen aus dem Begine-Publikum zu berichten. Britta, heute Trainerin für Frauen, hörte nach elf Jahren mit dem Leistungsschwimmen auf. Mit 15Jahren verließ sie den Leistungssport, da spätestens dann mit irritierten Männerblicken auf den muskulösen Körper der Leistungsschwimmerin zu rechnen gewesen sei. Eine andere, heute Hockeytrainerin für Kinder, wurde statt Karin nur noch „Kalle“ genannt. Aus der mangelnden Anerkennung der Weiblichkeit folgt laut Ulmer die abwechselnde Flucht in und aus dem Sport. Manche Sportlerinnen stiegen für mehrere Jahre aus, um sich in „Rock und Nylons“ einen typisch weiblichen Beruf zu suchen. Andere flüchteten sich umso tiefer in den Sport und begännen Beziehungen mit männlichen Sportlern, um die Rolle von Frau und Sportlerin vereinen zu können, was aber oft in einen Konkurrenzkampf münde. Die Jagd nach Anerkennung als Frau ende meist in Resignation und der Überzeugung, ein geschlechtsloses Neutrum zu sein.

Die öffentliche Meinung in Form der Medien leiste ihren Beitrag, in dem Sportlerinnen nur als „Goldmädel“ oder „Muskelpaket“ bezeichnet würden. Ausnahmen seien die privilegierten Sportarten wie Golf und Reiten, denn wer würde schon „wagen, die Oberschenkel von Prinzessin Anne zu kommentieren“.

„Ein toller Sportler ist dagegen auch ein toller Kerl, bei Männern steigert der Sport doch noch die männlichen Attribute“ sei die einhellige Meinung. Regine Ulmer ist eine von neunzehn Frauen, die für eine in diesem Jahr erschiene Studie von Birgitta Palzkill interviewt wurden. Diese neunzehn Frauen mit Leistungssportvergangenheit konnten den Widerspruch zwischen Geschlechterrolle und gelebter Frauenidentität auf andere Weise lösen. Sie begannen meist schon während ihrer aktiven Sportzeit, eine lesbische Existenz zu leben. Regine, die weibliche Identifikationsfiguren und Trainerinnen im Frauensport fordert, hat jedenfalls ihre Konsequenzen gezogen: Vor kurzem gründete sie mit anderen Frauen „Seitenwechsel“, den ersten Berliner Verein mit vielfältigen Sportangeboten nur für lesbische und heterosexuelle Frauen.

Karin Figge

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