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Die Erblast der Kalten Krieger

40 Jahre lang hielt das US-Energieministerium aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ den Deckel auf Schlampereien in der Atombomben-Produktion / Verseuchung von Arbeitern und Anwohnern verschwiegen  ■  Aus Washington Silvia Sanides

„Bei uns herrschte Bunkermentalität“, erklärte William Vaughan letztes Jahr gegenüber der 'New York Times‘. Bevor Vaughan in die Privatindustrie überwechselte, war er im US -Energieministerium für Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsfragen in der Atombombenproduktion verantwortlich. „Aber“, so plauderte der Ex-Bürokrat ungeniert weiter, „Umwelt, Sicherheit und Gesundheit waren notwendigerweise zweitrangig“, wenn es um die Herstellung von Atomsprengköpfen ging. Jeder Pfennig für Sicherheitsprogramme war ein Pfennig weniger für Atombomben.

Erst jetzt, nach vierzig Jahren, werden die Auswirkungen dieser Bunkermentalität langsam deutlich. Der von Bush ernannte Chef des Energieministeriums, James Watkins, nahm selbst kein Blatt vor den Mund, als er der Presse mitteilte, er habe „eine Kultur der Mißwirtschaft“ geerbt. Die ist dafür verantwortlich, daß die wichtigsten der insgesamt 17 Atombombenfabriken im letzten Jahr dicht gemacht haben. Gleichzeitig sind Informationen über unglaubliche Schlampereien und fahrlässigen Umgang mit radioaktivem Material an die Öffentlichkeit gedrungen. Informationen, die dem Energieministerium schon lange bekannt waren, aber unter dem Schleier der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ geheim gehalten wurden. Drei Plutonium- und Tritiumreaktoren im Savannah River-Komplex (South Carolina) sind heute abgeschaltet. Man hatte Risse in den Reaktorwänden entdeckt, und die Anlage verseuchte Wasser, Land und Luft. So ganz nebenbei kam ans Licht, daß es 1970 in einem der Reaktoren zu einer partiellen Kernschmelze gekommen war.

Immer mehr Skandale

Insgesamt acht Reaktoren wurden in Hanford (Washington) dicht gemacht. Es war unübersehbar, daß die Anlagen, in denen die ersten Atombomben entstanden waren, merklich an Altersschwäche litten. Die Bewohner im Umkreis des Waffenkomplexes müssen besonders teuer für die Bunkermentalität der Kalten Krieger zahlen. Immer wieder gelangten hohe Mengen Radioaktivität - zum Teil in geplanten „Versuchen“ - in die Umwelt. Als „Todesmeile“ bezeichnen die Hanforder heute wegen der hohen Krebsrate das verseuchte Gebiet. Und die „Downwinder“ (die windabwärts Lebenden), heißt es, erkennt man an den Halsnarben, die nach einer Schilddrüsenoperation zurückbleiben. 20.000 Kinder, schätzt das bundeseigene „Zentrum für Seuchenkontrolle“, sind erhöhten Mengen von radioaktivem Jod ausgesetzt worden, weil sie Milch von bei Hanford weidenden Kühen trinken.

Neue Skandale kamen in den letzten Monaten um die Anlage bei Rocky Flats (Colorado) und die Fernald-Anlage (Ohio) auf. Da sich Betreiber und Energieministerium bei den Untersuchungen nicht kooperativ zeigten, schritt das FBI zur Tat und durchsuchte die Anlagen nach Beweisen für Schlampereien. „Die Produktionsanlagen für Atomwaffen stehen still“, schrieb die linke Wochenzeitschrift 'The Nation‘ lapidar. „Laßt uns aus der Not eine Tugend machen und abrüsten.“ Die 'Washington Post‘ hingegen jammerte: „Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem unfreiwilligen, totalen Waffenproduktions-Moratorium, während die sowjetischen Anlagen funktionieren.“ „Wir dürfen die nationale Sicherheit nicht aus den Augen verlieren.“

250 Milliarden Dollar soll es kosten, um die Anlagen und Umwelt zu entseuchen, alte Reaktoren einzumotten und neue zu bauen. Schon deshalb will zum Beispiel auch Senator John Glenn aus der Not eine Tugend machen und zumindest die hundert Milliarden für neue Reaktoren einsparen. Er hat ein Gesetz im Kongreß eingebracht, das die Genehmigung von Geldern für neue Reaktoren oder den erneuten Start alter Reaktoren nur dann erlaubt, wenn der Präsident beweisen kann, daß die Sowjets sich weigern, über ein Abkommen zur beidseitigen Einstellung der Plutoniumproduktion zu verhandeln. Vorwürfen, er gefährde die nationale Sicherheit, entgegnet Glenn ganz unverblümt: „Wir haben nichts davon, wenn wir uns vor den Sowjets oder anderen potentiellen Aggressoren verteidigen und dabei unsere eigene Bevölkerung vergiften oder radioaktiv verseuchen.“

WIPP - das Gorleben

in der Wüste

Die amerikanische Atomwaffenproduktion steht dieser Tage noch vor einem ganz anderen Problem: Berge von hochradioaktivem Müll, die sich über vierzig Jahre angesammelt haben, brauchen eine endgültige Bleibe. Die Rocky-Flats-Anlage bei Denver beispielsweise muß in sechs Monaten schon deshalb dicht gemacht werden, weil sie im eigenen strahlenden Abfall erstickt. Die Eröffnung einer schon unter Reagan projektierten Endlagerstätte in Neu Mexiko, der „Waste Isolation Pilot Plant“ (WIPP), wird von Jahr zu Jahr verschoben. Jüngste Untersuchungen ergaben, daß die Salzstöcke von WIPP weit weniger stabil sind als bisher angenommen. Anfang Juli eröffnete Energieminister Watkins deshalb der Öffentlichkeit, daß WIPP nicht wie erwartet in diesem Oktober, sondern „wahrscheinlich Mitte der neunziger Jahre“ erstmals radioaktiven Abfall aufnehmen kann.

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