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Unerwünschte Offenheit

 ■  McCASH FLOWS ORAKEL

London (dpa) - Die Londoner Börse macht zunehmend Frankfurt im Handel mit deutschen Standardaktien Konkurrenz. Mit ihrem elektronischen Kurs- und Handelssystem „SEAQ International“ erzielt die Londoner Aktienbörse an Spitzentagen bei einzelnen deutschen Titeln Umsätze, die an das Frankfurter Niveau heranreichen, in Einzelfällen sogar übertreffen. So schwierig der Größenvergleich zwischen Frankfurt und London ist, so dürfte heute schon sicher sein, daß London im Handel mit deutschen „Blue Chips“, wie führende Aktienwerte genannt werden, Börsenplätze wie Düsseldorf oder München inzwischen klar überrundet hat. Londons Aktienmarkt ist der Welt größte Börse mit ausländischen Werten. Der Handel mit den heute 740 Auslandsaktien wird über das SEAQ-System abgewickelt, über das die 52 führenden Börsenhändler in London („Market Maker“) handeln und Kurse festlegen.

Das SEAQ-System, das von der Londoner Börse als Modell für eine künftige europäische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Finanzplätzen angepriesen wird, hat aus Sicht der Beteiligten Vor- und Nachteile. Hauptvorteil, etwa im Vergleich zu Frankfurt, ist, daß für die gehandelten Aktien während eines relativ langen Börsentages (ca. 08.30 Uhr bis etwa 16.30 Uhr Ortszeit) Preise genannt werden, zu dem die Marktteilnehmer bereit sind, zu kaufen oder zu verkaufen. Wichtig ist, daß die Makler zu dem von ihnen genannten Preis handeln müssen.

Als Nachteil gilt aus Sicht der Banker die Offenheit. Jeder zeigte offen, daß und was er handelt. Es widerstrebt der Bankermentalität, wie ein Beteiligter freimütig einräumt, zu zeigen, daß „ich im Markt bin, daß ich etwas suche, daß ich etwas abgebe“. Diese Offenheit verhindert aus der Sicht der Beteiligten die Plazierung großer Order. Wenn ein Makler A etwa beim Händler B anruft, um 50.000 BMW-Aktien zu kaufen, wird B geradezu alarmiert, daß BMW gesucht ist und damit im Kurs steigt. Er und bald alle anderen fangen an, BMW zu kaufen, was den Kurs tatsächlich hochtreibt.

Außerdem hat der weltweit zunehmende Handel über elektronische Bildschirme und Telefon den - im Vergleich zum traditionellen Geschäft auf dem Börsenparkett entscheidenen Nachteil, daß die Market Maker nicht unbedingt gezwungen werden können, ein Geschäft tatsächlich abzuwickeln. Man nimmt einfach den Telefonhörer nicht ab eine Erfahrung, die viele Anleger beim Börsencrash am 19./20. Oktober 1987 machten, als ihre Anlageberater nicht auf ihre verzweifelten Anrufe reagierten.

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