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Mit der Katastrophe jeglicher Art auf Du und Du

Für alle Freunde der Naturgefahren: Münchner Rückversicherung gibt „Weltkarte der Naturgefahren“ heraus / Umfangreiche Chartliste / „Künstliche Erzeugung von Schadenserfahrung“  ■  Von Ulli Kulke

Schön reimen tut sie sich ja, die Volksweisheit: „Gefahr erkannt - Gefahr gebannt“. Was aber ist bitteschön unter „gebannt“ zu verstehen? Auf welcher Ebene ist der Hebel der Bannung anzusetzen? Anno 1804 gab es darauf noch eine klare Antwort: Im Falle etwa einer Wasserhose - in der schon mal Badewannen, Tische oder auch ganze Schiffe in wässrige Höhen gezwirbelt werden - kamen weiland scharfe Geschütze wie Klingen zum Einsatz: „Da die Wasserhosen jeder Art für die Seefahrer höchst gefährlich sind, so pflegen sie von fern auf dieselben Kanonen abzufeuern, um sie dadurch zu zerstören. Beccaria sagt auch, daß sie sich zerstreueten, wenn man scharfe Degen- oder Messerklingen daran brächte“, verrät uns der „Ausführliche Text zu Bertuchs Bilderbuche zum Nutzen und Vergnügen der Jugend“ aus jenem Jahre.

Der Frontalangriff, die radikale Ausschaltung der Gefahr war seinerzeit die Devise. Und heute? Denken wir uns einfach mal ein gerüttelt Maß an Erdbeben und fragen nach den „richtigen Vorsorgemaßnahmen“, so ist in einer Broschüre im Juli 1989 nachzulesen: „Reservebildung, Kumulkontrolle und realistische Prämienkalkulation“, und schon ist man aus dem Ärgsten raus. Unter „ferner liefen“ ist dann zwar auch von „bautechnischen Verbesserungen und Landnutzungsbeschränkungen“ die Rede. Aber dennoch ist die Wende am ausgehenden 20.Jahrhundert klar. Der Frontalangriff ist out, mit der Gefahr leben, heißt die Devise. Für die Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft, die jene Tips nach Art „Mit der Katastrophe auf Du und Du“ unter ihre Kunden zumeist ebenfalls Versicherungsgesellschaften - brachte, logisch, denn die Gefahr ist ihre Geschäftsgrundlage. Nicht Kanonen oder Klingen sind ihr Umgang mit der Katastrophe, sondern Terminals und die nötige Software, und schon gibt es für eine jede Gefahr die nötige Police samt Prämiensatz. Alles nach der Devise: Katastrophe ist, wenn man trotzdem kassiert.

Die Weltkarte der Naturgefahren der „Münchner Rück“ samt umfangreichem Beiheft wurde nun nach 1978 zum zweiten Mal herausgegeben. Und weil's so schön bunt ist, gibt's das ganze auch als Luxusausführung: Ein Globus der Naturgefahren für „alle, die dem Problemkreis „Naturgefahren beruflich oder aus privatem Interesse verbunden sind“.

Was hätten wir denn gerne? Erdbeben, seismische Seebeben, tropische Wirbelstürme jeder Art, Tornados, Seenebel oder Eisbergvorstöße? Oder auch mal etwas besonderes: Buschfeuer, Kältewellen in tropischen Breiten, transozeanische Flutwellen über 10.000 Kilometer oder der Naturgasausbruch im afrikanischen Binnensee? Jede Katastrophengattung hat ihre eigene Chartliste, nach Ländern und Anzahl der Toten sortiert - und natürlich auch nach dem Gesamtschaden (in US -Dollar ausgedrückt), sofern er sich noch ermitteln ließ; immerhin sind noch Vorgänge aus den Anfängen des Jahrtausends (Erdbeben in Palmyra, Baalbek, 21.August 1042, 50.000 Tote) aufgelistet, und da würde zumindest die Umrechnung in die US-Währung schwerfallen.

Tausend Tote allerdings muß die Katastrophe in der Regel schon vorlegen, wenn sie aufgeführt werden will. Die Deutsche Meisterschaft fällt eindeutig an die „Große Manndränke“ mit 100.000 Ersoffenen bei einer Sturmflut im Januar 1362. International ist China kaum zu schlagen, haben doch allein in diesem Jahrhundert zweimal Überschwemmungen mit jeweils Millionen von Toten das Land verheert, zuletzt 1959 im gesamten Norden mit zwei Millionen. Dabei hat die Dollar-Schadensanzeige des Computers der Münchner Rück offenbar getilt, die Summe war unberechenbar hoch.

Der Naturkatastrophen-Globus ist auch gerade rechtzeitig zur Urlaubssaison herausgekommen. Wer beispielsweise in Neufundland im Juli einen Badeurlaub geplant hat, der wird mit einem Blick feststellen, daß dort selbst im Juli die Seenebelhäufigkeit bei 30 Prozent liegt, gleichwohl Orkane aus tropischen Breiten neben Winterstürmen aus dem Norden dräuhen und von oben auch noch Donner samt Hagel an 20 Tagen im Jahr herunterkommt. Und wer mit dem Segelschiff auf geradem Kurs von den Azoren nach New York jählings einem Eisberg begegnet, der wird mit Hilfe der Karte sofort erkennen, daß dies auch entlang dieses Breitengrads auf der Höhe von Madrid üblich ist.

„Naturgefahren gewinnen in unserer Zeit immer mehr an Bedeutung“, stellen die namenlosen Katastrophen-Autoren nicht zu Unrecht fest. Es ist dies nicht nur eine Frage umfassenderer Wahrnehmung - jedes größere Unglück wird über elektronische Medien sofort weltweit bekannt. Die objektive Katastrophengefahr für Leib und Leben wächst natürlich mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung, und zwar überproportional. Die Menschen siedeln sich bei ihrer Suche nach geeignetem Land in manchen gefährdeten Regionen an, die früher gemieden wurden.

Darüber hinaus schlagen Naturkatastrophen immer stärker zu Buche, je größere Werte am „einschlägigen“ Ort plaziert sind - oder auch Dinge, die die Gefahren noch potenzieren. Dabei wird dann die Grenze zwischen Naturkatastrophe und technischem Unglück allerdings fließend. Wer wollte noch der Natur die Schuld zuschreiben, wenn etwa in einer der akutesten Erdbebenregion der Welt, auf der indonesischen Insel Java, ein AKW bis zum Gau gerüttelt wird, das dort derzeit allen ernstes auch mit bundesdeutscher Hilfe geplant wird.

Wenn denn ein Erdbeben eines der zahlreichen Gebiete mit höchster Bevölkerungs- und Wertekonzentration in seismisch aktiven Zonen durchschüttelt, dann können auch unvorsichtige Versicherungen ins Wanken geraten, die den Katastrophenglobus nicht genügend eingesehen oder nicht die nötigen Konsequenzen in Sachen Prämien gezogen haben: „Die Gesamtschäden eines schweren Bebens in Kalifornien werden heute auf 100 Milliarden Dollar, in Tokio sogar auf 300 Milliarden Dollar geschätzt.“ Wer soll das bezahlen, wenn hier die nötige Reservebildung unterblieben ist?

Doch solche Ereignisse sind für die Versicherungen nicht nur wegen ihrer Schadenshöhe ein Problem. Die Unternehmen tun sich im Umgang mit ihnen auch deshalb schwer, weil sie nicht so einfach statistisch kalkulierbar sind wie der Kfz -Haftpflichtfall „Nichtbeachtung der Vorfahrt“: „Die klassischen Tarifierungsverfahren versagen bei Naturgefahren wie Erdbeben wegen der Seltenheit von Schadensereignissen.“ Der Trick der Rückversicherung: „die nicht vorhandene oder mangelnde Schadenserfahrung künstlich zu erzeugen“. Dafür dient nun im Beiheft zur Karte ein kompliziertes mathematisches System aus einem „Intensitätskatalog“ und einem Katalog von Schäden im „instrumentellen Beobachtungszeitraum (ab ca. 1900)“, aber auch „Daten von historischen Beben“. Das Erdbeben im irakischen „Ktesiphan“ im Jahre 1007 forderte also nicht nur 10.000 Tote. Auch die Nachfahren der Überlebenden werden noch ein knappes Jahrtausend später gebeutelt, wenn sie ihr steinernes Anwesen gegen die Urgewalten aus dem Erdinnern versichern wollen. Ihr jährlicher Versicherungsbeitrag ist heute für sie entsprechend teurer, als wenn das Ereignis nicht eingetreten wäre - streng nach der Formel: „Die jährliche Risikoprämie P ( Nettobedarf in Prozent) ergibt sich als Summe der Schadenssätze L pro Intensitätsklasse, dividiert durch die Wiederkehrperiode N (in Jahren) der jeweiligen Intensität“.

Bei den Berechnungen auch mit dieser Formel kommt in jedem Fall einiges zusammen. Die Versicherungsbranche zählt noch allemal zu den lukrativsten unserer Zeit. Die Kollegen von der Schweizer Rückversicherung haben erst im vorigen Monat errechnet, daß im Jahre 1987 das jährliche Prämienaufkommen bei den Versicherungen die 1.000 Milliarden Dollar überschritten hat und bei 1.070.000.000.000 Dollar liegt. Damit wären allein dreieinhalb schwere Beben in Tokio zu begleichen.

Weltkarte der Naturgefahren, 86x122 cm, 5-Farb-Druck, 50 Mark; Münchner Rück; Globus: 210 Mark; beides mit ausführlichem Beiheft.

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