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Der Geist Maos liegt über Chinas Unis

■ Polit-Schulungen, Loblieder auf die Partei und die Forderung nach Selbstkritik gehören wieder zum Alltag

Erinnerungen an die chinesische Kulturrevolution werden wach: Nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung vor 50 Tagen stehen heute die Hochschulen, die Zentren der studentischen politischen Aktivitäten, im Mittelpunkt der staatlichen „Berichtigungskampagne“. Einmal mehr entläd sich das alte Mißtrauen der Partei gegenüber den Intellektuellen, einmal mehr wird in die Klamottenkiste maoistischer Parolen gegriffen. - Aus Peking berichtet Paul Schmidt

Mehr als zwei Monate nach Verhängung des Ausnahmezustands ist Peking, oberflächlich gesehen, wieder zum Alltag zurückgekehrt. Selbst die Wache stehenden Soldaten an den Kreuzungen wirken schon normal. Wären da nicht die von Panzern zerschundene Chang'an-Allee, die brandgeschwärzten Betonplatten auf dem Tiananmen-Platz, die Einschüsse im Verputz der Wohnhäuser oder die Jubeltransparente für die Armee - man möchte glauben, es hätte die Demokratiebewegung nicht gegeben.

Die versprochene Normalisierung liegt im Interesse der chinesischen Führung. Schon laufen Programme an, um die Touristenströme wieder ins Land zu locken. Die verlorenen Deviseneinnahmen gehen in die Millionen. Die Pekinger Hotels stehen leer, dem Personal ist der Lohn gekürzt worden, und über die Hälfte aller Hotelangestellten wurde ohne Lohnfortzahlung nach Hause geschickt. Touristen und Geschäftsleuten, die jetzt nach China kommen, verspricht die Regierung allerlei Extras. Aber bei der Bevölkerung sind sie nicht willkommen. „Am besten wäre es, wenn überhaupt keine Touristen mehr kämen“, meint ausgerechnet eine Angestellte im Freundschaftshotel. „Ich finde es nicht angebracht, daß die Reisegruppen sich auf der Großen Mauer amüsieren, während hier die Repression weitergeht.“ Das Fernsehen filmt fröhliche Ausflugsgruppen aus dem Westen und wirbt damit in den Nachrichten für die „Normalisierung“. Der Tourist ist in viel stärkerem Maße Vehikel der Propaganda als Devisenbringer. Darüber sollten sich Chinareisende im Klaren sein.

Berichtigungskampagne

Die wiederhergestellte Normalität ist nur äußerer Schein. Vieles ist zwar längst zur Routine geworden, beispielsweise die ständigen Ausweiskontrollen oder der prüfende Blick nach hinten beim Verlassen der Universität, um zu sehen, ob einem nicht einer der vielen Spitzel folgt. Die Pekinger schätzen, daß der Ausnahmezustand mindestens ein Jahr dauern wird. Die Repression wird mit immer neuen Maßnahmen fortgesetzt. Im Zentrum der „Berichtigungskampagne“ stehen natürlich die Hochschulen. Hier sind die Professoren noch viel stärkerem Druck ausgesetzt als die Studenten. Fast alle Dozenten sind bereits wieder an die Unis zurückgekehrt, weil sie sonst verdächtigt werden, an Demonstrationen teilgenommen zu haben und sich zu verstecken. Pflichtgemäß absolvieren sie die mehrmals pro Woche stattfindenden „Studier- und Diskussionstreffen“ an den einzelnen Fakultäten. Wer nicht teilnimmt, wird Gegenstand einer „Untersuchung“ durch die Parteizelle der Universität.

Jetzt, kurz vor Beginn des neuen Semesters, kommt es zu Verhaftungen einzelner Lehrbeauftragter. An der Peking -Universität traf es bisher mindestens einen Dozenten der Fakultät für Politologie. Die „Berichtigung“ des Lehrpersonals erfolgt im Drei-Stufen-System: „Schwere Fälle“ werden von den Sicherheitsbehörden verhaftet, „minder schwere“ intern gemaßregelt; ein Vermerk in den Akten, befristeter Entzug des Lehrauftrags, Versetzung oder Entlassung. Alle übrigen, denen man nur Bagatellvergehen oder keinerlei „Verstöße“ nachweisen kann, werden gezwungen, sich zu beugen und zu demütigen. Von ihnen wird verlangt, auf den Studientreffen öffentlich gegen die Demokratiebewegung und die Liberalisierung Stellung zu nehmen. Sie müssen Loblieder auf die Partei und die „vier Grundprinzipien“ singen, die Deng Xiaoping nach der Zerschlagung der Demokratiebewegung von 1979 formuliert hatte: Die Führung der Partei, der sozialistische Weg, der Marxismus-Leninismus und die Mao Tsedong-Ideen sowie die „demokratische Diktatur des Volkes“.

An der Peking-Universität fordert die Parteizelle von allen Dozenten einen detaillierten, etwa 15 Seiten langen Bericht über „Die Lage der Nation, die Situation in Peking und das eigene Handeln“ in der kritischen Zeit von April bis Juni. Der letzte Teil ist besonders pikant, denn so gut wie alle Lehrkräfte waren in irgendeiner Form an den Protesten beteiligt. Während die Studenten in Massen demonstrierten, zeigten viele Professoren ihre Unterstützung in Form von Unterschriftenlisten oder offenen Briefen an die Regierung. Diese Unterschriften kommen die Unterzeichner nun teuer zu stehen. Ein Dozent entgegnet auf meine Bitte nach einem späteren Gesprächstermin mit einem bitteren Lächeln:„Wenn ich dann nicht schon im Gefängnis sitze.“ Fast alle Lehrkräfte schrieben im persönlichen Bericht das Gleiche: „Ich habe nie an Demonstrationen teilgenommen, sondern sie nur als Zuschauer beobachtet. Dabei war ich immer allein, nie bin ich zusammen mit Kollegen hingegangen.“

Die einzige Hoffnung richtet sich darauf, daß die Fälle der jetzt Verurteilten eines Tages wieder aufgerollt werden. Ein Professor an der technischen Universität Qinghua nennt vier Faktoren, die dafür sprechen: Die Tatsache, daß das Ausland und weite Teile der chinesischen Bevölkerung hinter der Demokratiebewegung stehen, die Revision der Urteile der Kulturrevolution und das Alter der Partei- und Staatsführung. Dem widerspricht jedoch der Parteisekretär der Qinghua-Universität: „Solange es die Partei gibt, werden die Urteile nicht umgeworfen.“ Er konzidiert allerdings: „Der Altersfaktor wirkt sich zugunsten der Liberalisierer aus.“ Seitdem gilt unter Studenten der spöttische Spruch „Ein Faktor reicht uns schon“.

Mißtrauen gegenüber Intellektuellen

Die „Berichtigung“ der Unis macht es angeblich notwendig, die Zahlen der so aufrührerischen Studenten zu verringern. Landesweit werden 30.000 Erstsemester weniger aufgenommen als ursprünglich geplant. Am stärksten betroffen sind die renommiertesten Universitäten Chinas, denn hier waren die Studenten besonders aktiv für die Demokratisierung eingetreten. Allein an der Peking-Uni mit circa 11.000 Studenten wird die Zahl der Neuzugänge um 800 verringert. Die vom „Bazillus der Freiheit“ am stärksten infizierten Fakultäten wie Politologie, Philosopohie, Geschichte, Soziologie und Jura dürfen im Herbst überhaupt keine neue Studenten aufnehmen, die übrigen Fakultäten nur ein geringe Anzahl. Die meisten der geplanten Erstsemesterveranstaltungen fallen daher aus.

Das traditionelle Mißtrauen der Partei gegenüber den Intellektuellen hat sich nach den Ereignissen des Pekinger Frühlings noch vertieft. Sie gelten jetzt erst recht als politischer Gefahrenherd und potentielle Feinde der Partei, die erzogen und überwacht werden müssen. Wenn in vier Jahren praktisch ein ganzer Jahrgang von Absolventen der besten Universitäten des Landes fehlen wird, ist das für die Führung das kleinere Übel. Die 30.000 Hochschulabsolventen werden zwar dringend für den Aufbau des rückständigen Landes gebraucht, aber schließlich, so bekundet die Erziehungskommission, benötige China nicht nur Fachkräfte, sondern vor allem Menschen mit einer festen sozialistischen Moral. Das alte Mao-Ideal „rot und sachkundig“ wird in den Medien wieder als Leitbild der Ausbildung zitiert. Politische Einstellung zählt wieder mehr als Fachwissen, politische Erziehung für Schüler und Lehrer wird ganz groß geschrieben.

Die Parteiführung hat allen Grund, mit den Studenten unzufrieden zu sein, denn die seit Wochen laufende Erziehungskampagne hat offenbar nichts gefruchtet. Besonders an der Peking-Universität sei „das Problem mit dem Bewußtseinszustand der Studenten unverändert sehr ernst“, wie das Pekinger Parteikomitee verlautbarte. Diese realistische Bilanz zog die Partei aus den Berichten über studentische Reaktionen auf die „Erziehungsmaßnahmen“.

Die geradezu gegenteilige Wirkung löste ein Propagandafilm aus, der seit zwei Wochen allen Pekinger Arbeitseinheiten und den Universitäten gezeigt werden muß. Der Streifen spielt in der Befreiungszeit und soll die glanzvolle Rolle der Partei und der Volksbefreiungsarmee herausstellen. Bei der Szene, wo Generalissimus Chiang Kai-shek die Zerschlagung der Kommunisten in zwei Jahren verspricht, brandete im Unikino Beifall auf. Als die damaligen studentischen Demonstratioenn ins Bild rücken, kannte die Begeisterung kaum noch Grenzen. Die kurz darauf eingeblendete Niederschlagung durch die Polizei wurde dagegen mit Pfiffen, Buhrufen und Stühlepoltern quittiert. Solche Reaktionen sind die einzige noch mögliche Form, in diesem Klima der Repression den Protest zum Ausdruck zu bringen. Der Film zog daher das Publikum geradezu magnetisch an.

Für die Absolventen des diesjährigen Examensjahrgangs an den Pekiner Universitäten hält die Regierung eine spezielle Form von Rache bereit. Das bei der Arbeitsplatzvergabe dominierende System der staatlichen Zuteilung von Arbeitsstellen an die Absolventen nutzt die Führung zur kollektiven Bestrafung des Abschlußjahrganges der liberalen Unis. Zwar galt auch früher das Verteilungsverfahren als ungerecht (besonders Studentinnen wurden eklatant benachteiligt), aber diesmal wurden den StudentInnen von Hochschulen, die eine führende Rolle in der Demokratiebewegung gespielt hatten, durchgehend schlechte Stellungen weit unterhalb ihrer Qualifikation oder in einem entlegenen Provinznest zugewiesen.

Studentischer Protest

Für viele Betriebe und wissenschaftliche Institutionen genügt jetzt allein das Merkmal „Student der Peking-Uni“ oder „Studentin der Volksuni“, um sie abzulehnen. Eine Gruppe AbsolventInnen der rebellischen Peking-Universität ist sogar nach bereits erfolgter Zuteilung und Arbeitsaufnahme wieder entlassen worden, denn im Rahmen der „Berichtigungskampagne“ müssen die Personalabteilungen aller Einheiten in erster Linie auf die politische Einstellung des Kandidaten achten.

Die entlassenen AbsolventInnen stehen nun ohne Arbeit da. Mit diesem Stigma ist es schwer, eine neue Anstellung zu finden.

Am vergangenen Sonntag haben sich 300 Studenten der Peking -Universität auf dem Campus an dem Ort, an dem früher die Wandzeitungen hingen, versammelt, um gegen diese offene Ungerechtigkeit zu protestieren - die erste Protestversammlung der Studenten seit den blutigen Juni -Ereignissen überhaupt. Eine Stunde lang sangen sie Lieder aus der Kulturrevolution, die heute wie Spottverse auf die Partei wirken. Das Treffen war nicht organisiert, sondern eine spontane Gefühlsentladung der betrogenen AbsolventInnen. Der Unileitung bereitete dieser kleine Vorfall Kopfzerbrechen, denn sie fürchtet, die Pekinger Partei könnte der Sache nachgehen und Mitglieder der Univerwaltung zur Rechenschaft ziehen, weil sie nicht eingeschritten sind. Zumindest in Peking, wo die Bevölkerung die Niederschlagung der Demokratiebewegung miterleben mußten, haben die Propagandisten der Partei kaum eine Chance. So einfach wie gedacht, läßt sich aus schwarz eben doch nicht weiß machen.

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