Für acht Jahre hinter türkische Gitter

■ Kein einziger Beweis, aber hohes Urteil gegen 28jährigen Bremer Buchhändler Ahmet Güler / Freunde hoffen auf Revision

Am 20. September 1988 war der Bremer Buchhändler Ahmet Güler auf der Rückreise aus dem Sommerurlaub in der Türkei zusammen mit seinen Eltern festgenommen, zehn Tage in Polizeihaft schwer gefoltert und anschließend wegen Fluchthilfe angeklagt worden. Ohne jeden Beweis verurteilte ihn jetzt ein militärisch besetztes Staatssicherheitsgericht zu acht Jahren und vier Monaten Haft. Einziges in der Urteilsbegründung angeführtes Indiz: Ahmet Güler hatte in seinem Bremer Buchladen „Fidan“ auch eine Zeitschrift der türkischen Exilorganisation „Devrimci Isci“ angeboten.

„Devrimsci Isci“ wird Sympathie für die türkische Bewegung „Dev Yol“ („Revolutionärer Weg“) nachgesagt. Und „Dev Yol“ wiederum gehörten mehrere der 18 im Sommer 1988 in Kirsehir spektakulär durch einen Tunnel aus dem Gefängnis ausgebrochenen Häftlinge an, für die Ahmet Güler angeblich Fluchthilfe geleistet haben soll.

Doch für die „Fluchthilfe“ gibt es nicht den geringsten Beweis. Im Gegenteil: Das Zivilgericht in Kirsehir hatte erst am 11. Juli den Haftbefehl gegen Ahmet Güler aufgehoben, weil keine Beweise für eine Beteiligung an dem spektakulären Gefängnisausbruch vorlagen. Doch obwohl die Familie sofort die verlangte Kaution von 500 Mark bezahlte, wurde Güler nicht freigelassen, sondern wenige Stunden später vor das Staatssicherheitsgericht nach

Kayseri geladen, das einen neuen Haftbefehl ausstellte. Der lautete wiederum auf Fluchthilfe und Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung.

Grundlage dafür ist der Artikel 168 im türkischen Strafgesetzbuch, der bereits die Absicht un

ter Strafe stellt, „die Verhältnisse in der Türkei grundlegend zu verändern“. Seit dem Militärputsch im September 1980 wurde dieses Mittel der Gesinnungsjustiz tausendfach angewandt.

Nur eine Woche nach dem Freispruch im Zivilverfahren

sprach das militärische Staatssicherheitsgericht am 19. Juli Ahmet Güler schuldig, Sympathisant von „Dev Yol“ zu sein und den Gefängnisausbruch mit vorbereitet zu haben. Und dies, obwohl vom türkischen Innenministerium die Existenz der Bewegung „Dev Yol“ heftig bestritten wird. „Es gab nicht einen einzigen Beweis“, sagt Ahmets Bruder, Muammer Güler. Er konnte den Prozeß verfolgen und auch seinen Bruder im Gefängnis besuchen, für den die Verurteilung zu acht Jahren Haft nicht überraschend gekommen sei: „Ahmet wußte von anderen politischen Häftlingen, daß mit Artikel 168 auch ohne jeden Beweis verurteilt wird.“

Ahmet Gülers Familie und seine Bremer FreundInnen hoffen jetzt auf die Revisionsinstanz. Dort werden in der Regel die unbegründeten Urteile der Staatssicherheitsgerichte wieder aufgehoben. Allerdings kann das Revisionsverfahren bis zu acht Jahren auf sich warten lassen. Damit es nicht soweit kommt, will das Bremer „Komitee für die Freilassung

von Ahmet Güler“ jetzt Senat und PolitikerInnen, die bereits gegen die Festnahme und Folterung des Bremers protestiert hatten, um Unterstützung bitten. Internationale Öffentlichkeit soll die Aufnahme des Revisionsverfahrens beschleunigen.

Dem 28jährigen Ahmet Güler, der vor seiner Verhaftung in der Türkei zwölf Jahre in Bremen lebte, sitzt jetzt in einer 12-Mann-Zelle in Kayseri ein. Polizeiüberfälle, wie er sie in der politischen Abteilung des Gefängnisses in Ankara erleben mußte, sind dort nicht mehr zu befürchten. Alle zwei Wochen kann er einmal - hinter einer Trennscheibe - Besuch von Familienangehörigen empfangen. An Feiertagen darf der Besuch auch im Gefägnishof stattfinden. Damit der Kontakt nach Bremen nicht abreißt, bittet Ahmet Güler um Post (c/o Kayseri Kapali Cezaevi, 2. Kisim, Kayseri, Türkei). Und das Solidaritätskomitee bittet für die Anwaltskosten und die Öffentlichkeitsarbeit um Spenden („Fidan e.V.“, Konto Nr. 12078259, Sparkasse Bremen).

Dirk Asendorpf