piwik no script img

KOHL KOMMT VOR KARAJAN

■ Dezentrale Wiederaufbereitung des Unsterblichen

Nachdem sich Hassemer vom umweltpolitischen Abstellgleis aus die klammen Finger am leuchtenden Schein des toten Kammerjägers zu wärmen versucht hat, indem er in einer selbstlobhudelnden Morgenpost-Serie seine großartigen Vermittlungsbemühungen im ersten großen Karajanclinch zitierte, und nicht einmal davor zurückschreckte, in den unterbewußten Eingeweiden der Leich herumzuwühlen („Es brach aus ihm heraus...“), geht auch anderswo die Zweitverwertung in die vollen.

Seit dem letzten Wochenende inseriert die Century Master Collection in einschlägigen Tageszeitungen. Im Angebot: Herbert von Karajan, Porträt mit Original-Signatur des Maestros, Farbprospekt kostenlos. Der Prospekt wird allerdings gerade überarbeitet, statt der repräsentativen Einladungskarte zum „Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag“ wird es in Zukunft ein pietätvolles Schwarzweiß -Heiligenbildchen auf der Titelseite geben. Schließlich ist das zu erwerbende Gemälde vom Meister „original“ signiert, die „feinen Goldstriche“ sind allerdings wie das ganze Gemälde selbst im Faksimilie Verfahren kopiert. Das heißt, der Pinselstrich wird mittels elektronischer Hilfsmittel als Relief übertragen, damit's „echt“ wirkt.

Daß so ein Bild trotzdem nicht so ganz echt ist, stört offenbar die Kunden nicht. Da ist zum Beispiel ein Thyssen -Manager, der sich sogar eine ganze kleine Galerie eingerichtet hat, die er abends zur Entspannung lange betrachtet. Fürs Homevideo ist von Renoir bis Rembrandt („Den Mann mit dem Goldhelm müssen wir natürlich auch haben“, so CMC-Besitzerin Seifert) alles zu haben, bei Preisen zwischen 500 und 1.500 Mark. Die Impressionisten sind dabei am beliebtesten, so Frau Seifert, weil die Käufer diese Bilder schön finden, es komme aber auch auf die Farben an, schließlich soll es in's Wohnzimmer über die Couch passen.

Das großformatige dunkelblau-dramatische Karajan-Porträt paßt allerdings nicht unbedingt in jede Wohnung, vielleicht zur „Schwarz-Weiß-Einrichtung, wie es ja jetzt modern ist“, 2.950 Mark kann auch nicht jeder berappen, doch Ratenzahlung ist möglich. Gemalt vom Promihausmaler und Bundesverdienstkreuzträger Reinhold W. Timm („Berlin ist meine Lieblingsfarbe.“ Nichts charakterisiert den Maler besser, weiß der Protest), faksimiliert in einer Auflage von 1.999 Exemplaren, dürfen die Deutschen immerhin ganze 500 Stück erwerben (das Original gehört den Karajan-Erben). Der Rest, so der Wille des Maestros noch zu Lebzeiten, fällt vor allem in japanische Verehrerhände. Alle Besitzer werden gespeichert in Karajans Besitzer-Stammbuch, das er jetzt gar nicht mehr brauchen kann. Und falls man vom Genie erdrückt wird, darf man das Bild nach zwei WOchen wieder zurückgeben.

Im Berliner Panoptikum ist man noch nicht ganz so weit. Erst mal komme die englische Königsfamilie dran, so Herr Micklich vom Vorstand, außerdem sei man mit den Zeitgenossen im Verzug, ein Helmut Schmidt und ein Helmut Kohl stünden auch noch aus. Die Königsfamilie kostet 30.000 Mark, Karajan sei zwar etwas billiger, („da kann man ja ins Geschäft gehen und einen Frack kaufen“), aber als privater Verein, der nur von den Eintrittsgeldern lebt, ist eben nur ein Auftrag auf einmal drin. Auf die Frage nach den Kriterien für die Wachspuppennachfolge meint Herr Micklich weiter, daß man grundsätzlich aus jeder Sparte von Kunst bis Politik etwas haben wolle, und natürlich auf dem neuesten Stand. Aber „das letzte, was wir haben, ist Udo Jürgens“, und auch nur weil das Panoptikum ihn billig als Restposten einkaufen konnte: von einer Künstlerin, bei der er in der Wohnung verstaubte. Einen Karajan kann sich Micklich, dem beim Rasieren die besten Sachen einfallen, schon vorstellen „dirigierend, mit Pult, Frack und Taktstock“, und vielleicht kann man für übungszwecke schon mal mit ihm proben („Irgendeinen Kopf muß man ja nehmen, wenn nicht seinen eigenen...“), natürlich „war Karajan ein bedeutender Mensch“. „Wenn demnächst Karajan oder Becker ansteht, dann würden wir uns natürlich für Karajan entscheiden“, so Micklich, „denn Berliner werden vorgezogen.“

DoRoh

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen