: Ein mehrgängiges Abendessen mit Krimsekt für 13 Mark
■ Einkaufstouren der in Berlin stationierten US-Soldaten verärgern viele Ostberliner / Die GIs tauschen eine West-Mark gegen acht Ost-Mark und räumen auf dem Alexanderplatz die Geschäfte leer / Bei ihrer Einreise werden die Soldaten nicht kontrolliert
Eine etwas ungeduldig wirkende Menschenschlange steht in den „Altstädter Bierstuben“ im Ostberliner Zentrum. Stimmengewirr. Geld wird gezählt. Es handelt sich nicht um DDR-Bürger, sondern um eine Busladung Amerikaner, die aber nicht wegen Speis und Trank gekommen sind.
Ein Kellner holt zahlreiche Kartons mit Kristallgläsern: hergestellt in der Tschechoslowakei, sechs Stück für 300 Mark der DDR. Eine wertvolle Vase kostet über 600 Mark. Gläser und Geldscheine wechseln die Besitzer.
Einer der in Westberlin stationierten Soldaten hatte mit seiner Frau in der Vitrine im Vorraum die Gläser entdeckt, nun wollen alle kaufen. Ein Beispiel für Billig-Shopping der Alliierten aus West-Berlin, wo es bei den Banken für eine D -Mark sieben bis acht DDR-Mark (der offizielle Kurs in der DDR ist 1:1), für einen Dollar fast das Doppelte gibt.
Die Gäste in der Bierstube wissen natürlich Bescheid, daß die US-Soldaten zum Schleuderpreis einkaufen. Ein DDR-Bürger muß für die sechs Gläser eine Woche arbeiten, einer, der die Ost-Mark aus dem Westen mitbringt, nur wenige Stunden. An einigen Tischen werden die Gäste sauer.
Ihnen sind die Amerikaner auch zu laut. „Kann man denn nicht in Ruhe sein Bier trinken!“ „Schick‘ die Jungs doch auf die Straße. Macht doch dort einen Basar auf“, wird ein Ober aufgefordert, der freundlich zu vermitteln versucht.
DDR-Bürger sehen täglich, wie in Westberlin lebende Soldaten aus den USA, Großbritannien und Frankreich in Ostberlin dicke Pakete, vollbepackte Taschen, auch Pelze, Lampen und Teppiche im Kofferraum und unterm Sitz ihres Wagens verstauen. Besonders die Läden und Kaufhäuser am Alexanderplatz und am neuen Hauptbahnhof sind bei den Gästen für Billig-Shopping beliebt. Sehr gefragt sind auch Kameras, Ferngläser aus Jena, Uhren, Spielzeug, Porzellan. Am meisten ärgert die Einheimischen, daß die Tagesgäste auch staatlich subventionierte und sehr gefragte Dinge wie Kinderkleidung oder Decken kaufen.
Das Ganze ist für die Westalliierten ohne Risiko. Nach den Grundlagen des Viermächtestatus von Berlin werden diese bei ihren Fahrten von den West- in den sowjetischen Sektor von Ostberliner Grenzern nicht kontrolliert. Während anderen Besuchern das Mitbringen von DDR-Geld aus dem Westen teuer zu stehen kommt, wenn sie erwischt werden, hat das alliierte Personal diese Sorgen nicht. Sie müssen den Ost-Grenzern am Übergang Checkpoint Charlie weder die Brieftasche vorzeigen noch den Kofferraum öffnen.
Unter den Billig-Shoppern glänzen nach Ansicht von Ostberlinern besonders zahlreiche Amerikaner nicht gerade mit Bescheidenheit. „Den dicken Maxe machen besonders viele US-Boys“, meint ein Ostberliner, der täglich mit ihnen zu tun hat. Weniger auffallen würden die Briten und Franzosen, die ja auch weniger Personal in Westberlin haben. Sie sind nicht selten in den feinen Restaurants der Nobelhotels anzutreffen, wo auch Ost-Mark akzeptiert werden. Ein mehrgängiger Abendschmaus mit Krimsekt kann da auch schon mal pro Person 70 bis 100 Mark und mehr kosten. Für diese Gäste sind es aber umgerechnet nur zehn bis 13 Mark. Manche reservieren telefonisch, kennen die Ober und bekommen problemlos einen schönen Tisch. Die Trinkgelder fließen meist reichlich, zum Bedauern der Kellner aber nicht sehr häufig in Westwährung.
Der DDR-Führung sind solche Geschäfte und der ganze Handel mit Ost-Währung im Westen ein Dorn im Auge. Mehrfach hat die DDR, so in diesem Jahr Außenminister Oskar Fischer, die Schließung der Wechselstuben am Westberliner Bahnhof Zoo gefordert. Diese sind seit Jahrzehnten Zielscheibe der Kritik aus der DDR.
Es wird übersehen, daß nicht nur in Westberlin, sondern auch in anderen Städten im Westen bei Banken und Kreditinstituten für eine D-Mark sieben bis acht DDR-Mark erhältlich sind. Selbst in den Banken einiger sozialistischer Länder gibt es für eine West-Mark weit mehr Kronen oder Forint als für eine Ost-Mark.
Eine kleine Chance, daß die Soldaten aus Westberlin künftig etwas Zurückhaltung beim Shopping in Ostberlin üben, gibt es aber: Zumindest bei den US-amerikanischen Streitkräften wird erwogen, die Einkaufsfahrten einzuschränken. Als künftige Höchstgrenze für den Einkauf im Osten werden 700 Mark genannt.
Bernd Kubisch/dpa
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