: Giftige Verteidigung
■ Die US-Army verschmutzt die Umwelt unter strikter Geheimhaltung
Seth Shulman
Der am stärksten vergiftete Quadratkilometer der Welt ist nicht etwa Love-Canal in New York und auch nicht das indische Bhopal. Den Blicken der Öffentlichkeit entzogen liegt er inmitten einer riesigen Militäreinrichtung der USA am Fuß der gigantischen Rocky Mountains - einige Streifen verbrannten Bodens um ein neu aufgeschüttetes Gebirge giftigen Abfalls herum.
Das Rocky Mountain-Militärdepot in Denver, Colorado, liegt dort als unseliger Kommentar zum Problem militärischen Giftmülls der ganzen Nation. Innerhalb des Depots befindet sich ein Müllplatz mit Abfall aus Jahrzehnten, bestehend aus den giftigsten Chemikalien, die überhaupt bekannt sind, einschließlich der Abfallstoffe aus Nerven- und Senfgasproduktionen. Die Chemikalien lagern in Giftstollen und -hallen, die sich unterirdisch um viele Quadratkilometer über die Grenzen der Militäreinrichtung ausdehnen. Sie haben das Grundwasser der Gegend verseucht und gefährden die Wasserversorgung Denvers. Auch in die Luft über dem Gelände sind Giftstoffe gelangt. Am Rande der Stadt, hinter Zaun und Bewachung liegt das Gift verborgen. Derart dem öffentlichen Blick entzogen sind auch die Folgen langjähriger Umweltvernachlässigung und Fahrlässigkeit in vielen tausend US-amerikanischen Militäreinrichtungen, in den USA und anderswo.
Selbst seiner eigenen Einschätzung nach - so betonten einige Kongreßabgeordnete - liegt das Verteidigungsministerium an der Spitze der Gesetzesbrecher gegen die Bestimmungen zur Behandlung gefährlichen Abfalls in diesem Land. Von der internen 'Clean-up'-Abteilung des Pentagon - Defence Environmental Restoration Program, kurz DERP genannt - sind bisher fast 6.000 Grundstücke mit potentiell hochgiftiger Verseuchung ausgemacht worden. Von diesen 6.000 sind weniger als ein Drittel bisher genauer untersucht worden und nur 140, also weniger als drei Prozent, gesäubert.
In diesen Zahlen, die im Jahresbericht der DERP 1989 bekanntgegeben wurden, sind mögliche Umweltprobleme durch amerikanische Militärbasen außerhalb der USA und auch vormalig vom Militär genutzter Gelände noch nicht einmal enthalten.
Und sie zeigen deutlich, daß militärische Geheimhaltung und die nur äußerst zögerliche Akzeptanz einer Kontrolle von außen durch das Militär in Entsprechung stehen zur Mega -Größenordnung des Giftmüllproblems durch militärische Rüstung. Am Beispiel des Rocky Mountain Arsenals wird dies in aller Schärfe deutlich. Dort gehen die jetzt in Ausarbeitung befindlichen Planungen zur Behandlung der fast 140.000 Kubikmeter verseuchten Bodens von Kosten um 700 Millionen Dollar aus - für den Anfang. Daß das Ganze außerdem eine höchst langwierige Angelegenheit zu werden verspricht, beweist schon die Tatsache, daß allein die Entscheidung, mit welchen Methoden man die Säuberung erreichen soll, nicht vor 1993 erwartet wird.
Auf nationaler Ebene bewegen sich Kostenschätzungen selbst konservativer Vertreter für die Behandlung von Umweltschäden durch Installationen wie das Rocky Mountain Arsenal und die von Bundeseinrichtungen betriebene nukleare Brennstoffproduktion um einen Betrag von 100 Milliarden Dollar; dies nur, um die von der amerikanischen Militär -Infrastruktur künftigen Generationen hinterlassenen Schäden zu Hause zu beheben.
Einer der Gründe, warum relativ wenig über militärische Giftmüll- und Atommüllschäden bekannt ist, liegt zweifellos in der mangelhaften offiziellen Kontrolle durch Regierungsstellen auf diesem Gebiet. Das Pentagon scheut die Beaufsichtung seiner Angelegenheiten von außen, und die Frage, wie weit die gesetzlichen Befugnisse der Environmental Protection Agency (EPA) reichen, der die Kontrolle von Umweltschutzmaßnahmen im Bereich des Militärs und anderer Bundeseinrichtungen obliegt, ist schon Gegenstand langandauernder und bitterer Gerichtsverfahren gewesen. Bislang kann die EPA nur wenig oder gar keine Gesetzesautorität in Anspruch nehmen, um die Säuberung von Militäreinrichtungen zu erzwingen; hiermit ist das Verteidigungministerium höchstselbst beauftragt. Gleichzeitig ist das Militär auch die einzige Informationsquelle über sich selbst und die Zustände in dieser Angelegenheit.
Auf den Vorwurf, das Pentagon halte Informationen über Umweltgefahren zurück, antwortete Captain Michael J. Carricato, der mit der Aufsicht des Clean-up-Programms bezüglich militärischen Giftmülls betraut ist, die Armee habe es „nicht nötig, sich ständig durch Hammmerschläge auf den Kopf ans Aufräumen erinnern zu lassen“. Die Öffentlichkeit halte eben oft militärtypische Vorsicht fälschlicherweise für Informationsverweigerung. „Unsere Politik ist, unseren Informationsstand so gut wie irgend möglich mit anderen zu teilen - sobald wir alles abgeklärt haben. Aber Untersuchungen dauern ihre Zeit. Wir von der Armee sind lieber übervorsichtig und pflegen mit Fakten zu arbeiten, nicht mit Spekulationen. Das ist manchmal schwer für die Leute zu akzeptieren.“
Viele Kritiker jedoch teilen diese Auffassung Carricatos durchaus nicht. Der Generalstaatsanwalt von Ohio, Anthony Celebrezze, ist in der Debatte um militärischen Giftmüll aktiv involviert und weist Carricatos Selbstdarstellung der Armee entschieden zurück. „Das Militär hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß nur es selbst ein Recht darauf hat, über Behandlung und Lagerung von gefährlichem Müll auf Bundesland zu entscheiden.“ Wie er jedoch vor dem Kongreß bereits sagte: Leute, die nur sich selbst verantwortlich sind, empfinden keinen besonders dringenden Anreiz zur Gesetzesachtung.
Der Abgeordnete Michael Synar, ein unerschrockenes Kongreßmitglied aus Oklahoma und einer der wenigen, die das Thema in den Kongreß beständig einbringen, stimmt Celebrezze hierin zu. Seiner Meinung nach hat die Armee sich zunächst „grundsätzlich geweigert, zur Kenntnis zu nehmen, daß sie selbst Teil des Problems ist. Dann war sie besonders langsam in der Erfüllung der Bestimmungen des Gesetzes über gefährlichen Müll. Und jetzt wehren sie sich mit aller Kraft gegen eine Beaufsichtigung durch die EPA.“ Schweigen, Falschinformation und Vertuschung
Das Militär hat selbst angesichts erkennbarer Gefahren für die öffentliche Gesundheit schon gezögert, Informationen über hochgiftige Verseuchung durch ihre Einrichtungen bekanntzumachen. Am Lakehurst Naval Engineering Center in New Jersey stellte beispielsweise bereits 1983 ein interner Marine-Bericht fest, daß mindestens 14 Millionen Liter giftiger Chemikalien eine Anlage verseucht hatten, die den größten Teil des südlichen New Jersey mit Trinkwasser versorgt. Trotz drei verschiedener Messungen, die alle einen 10.000fach überhöhten Wert einer bestimmten Substanz anzeigten, wurde der Marine-Bericht erst im August 1985 bekanntgegeben, als durch die Presse unabhängige Untersuchungen der Vergiftung angestellt worden waren.
Ein anderes Beispiel ist die Cornhusker-Munitionsfabrik in Grand Island, Nebraska. Inzwischen ist einwandfrei erwiesen, daß die Armee seit 1970 über ein Vergiftungsproblem auf diesem Gelände Bescheid wußte und damals sogar eine Müllaufbereitungsanlage plante. Ein Jahrzehnt später jedoch behauptete sie dann in aller Öffentlichkeit, es würde noch hundert Jahre dauern, bis giftige Substanzen der Einrichtung für die Nachbarstadt problematisch werden könnten. 1982 fanden militäreigene Experten bereits gefährlich hohe Vergiftungswerte außerhalb des umgrenzten Gebiets - und warteten ein weiteres volles Jahr, bis sie bekanntgaben, daß 500 private Brunnen mit der Explosionsstoff-Komponente RDX verseucht seien, und zwar in einer Konzentration von 0,4 zu einer Million. Dazu muß man wissen, daß das militäreigene Sicherheitslevel für RDX in Trinkwasser mit einem Grenzwert von 0,035 zu einer Million festgelegt ist. Armeesprecher Andrew Anderson erklärte 1984 der Presse: „Wir wollten die Leute draußen nicht beunruhigen, solange wir selbst die Ergebnisse nicht so gut kannten. Sie sollten nicht unnötig verängstigt werden.“ Im Grunde ist bis heute ungeklärt, ob das gesamte Ausmaß möglicher Umweltrisiken wirklich ans Licht gekommen ist. Denn: die Zusammensetzung von RDX ist ein Militärgeheimnis, so daß keine unabhängigen Gutachten die Gesundheitsgefahren für den Menschen feststellen können.
Eine der ersten Militär-Giftstoff-Kontroversen rankte sich vor zehn Jahren um die McClellan-Airforce-Base in der Nähe von Sacramento in Kalifornien. Besonders die Vertuschungsversuche des Militärs erregten damals einen öffentlichen Skandal - eine erste Erfahrung der Armee mit der Öffentlichkeit in der Giftproblematik, die seither das 'McClellan-Experience‘ genannt wird. Air Force-Experten stellten 1979 fest, daß die Trinkwasserbrunnen auf ihrem Gelände verseucht waren, meldeten diesen Befund jedoch nicht beim kalifornischen Gesundheitsministerium. 1982 weigerten sie sich dann, dem Staat den Inhalt eines Berichts mitzuteilen, der von einer Ausbreitung der Verseuchung über das Militärgelände hinaus sprach; die Airforce veröffentlichte diesen Bericht erst, nachdem der Staat Erzwingungsmaßnahmen angedroht hatte. Aber selbst, als das Ausmaß des Problems schließlich bekannt war, wurden durchaus keine Maßnahmen dagegen ergriffen; erst nach einer scharfen Attacke durch eine staatliche Institution - den Rechnungshof GAO in Washington - und zunehmendem Druck durch Anwohner und Kongreßabgeordnete fing man damit an. Trotz diverser Säuberungsaktionen gehört die McClellan-Base heute zu den hundert am stärksten vergifteten Geländen in den USA. Die Vergiftungswerte durch Trichlorethylen (TCE) übersteigen den erlaubten Grenzwert um ein Vielfaches, und es liegen Anzeichen vor, daß die städtische Wasseranlage, die 23.000 Menschen versorgt, mit Arsen, Barium, Cadmium und Chrom kontaminiert ist. Viele private Brunnen mußten bereits versiegelt werden.
In Regierungskreisen ist man heute der Ansicht, daß das Militär von seinen Fehlern im McClellan-Experience gelernt habe. Meine eigene Erfahrung damit ist einigermaßen widersprüchlich. Während im allgemeinen wohl tatsächlich inzwischen mehr Offenheit herrscht, habe ich gerade im Fall von Umweltproblemen durch Militärinstallationen immer wieder erlebt, daß gemauert wurde. Im eigenen Hinterhof des Berichterstaters
Illustrieren kann ich das am besten mit den laufenden Ereignissen ganz aus meiner Nähe. Wie so viele US-Bürger wohne auch ich innerhalb des Ein-Meilen-Radius einer militärischen Einrichtung, und zwar in Watertown, Massachusetts. Angesichts meiner Arbeit, die mich in den letzten Jahren zu den am stärksten verseuchten Militärgeländen des Landes führte, könnte man meinen, ich wüßte, was in meinem eigenen Hinterhof los ist - aber ich weiß es nicht, ebensowenig wie meine Nachbarn. Es hat nicht einen einzigen Pressebericht über unser lokales Werk, ein militärisches Materialtestlaboratorium, gegeben.
Als bekanntgegeben wurde, daß die Einrichtung geschlossen würde (wie viele andere Militäreinrichtungen im ganzen Land, nämlich als Sparmaßnahme des Kongresses), fanden ein Kollege und ich, es sei an der Zeit, zu Ehren unserer Fabrik und aus Anlaß ihrer Schließung einen Artikel zu schreiben - und dabei auch das Erbe zu untersuchen, das sie unserer Umwelt hinterlassen würde. Das Ausmaß dieses Erbes ist ziemlich unklar, aber man kann annehmen, daß eine große Dekontaminierungsaktion nötig sein wird. Unter anderem ist das Labor auch Standort eines atomaren Forschungsreaktors. Hinzukommt, daß es bereits Berichte gibt über Verseuchungen eines angrenzenden Stück Landes, das an die Stadt bereits vor fünf Jahren verkauft wurde. Diese armee-eigenen Berichte enthüllten, daß der Boden mit Quecksilber, Uran, Beryllium, Asbest, Pestiziden und industriellen Lösungsmitteln belastet ist. Obgleich diese Informationen öffentlich bekanntgegeben wurden, weigerte sich das Militär, sie uns zur Verfügung zu stellen, und zwar mit der Begründung, sie seien irrelevant und außerdem veraltet. Bis heute versuchen wir, sie durch das Büro unseres Abgeordneten zu erhalten.
Einen Monat lang rannten wir hartnäckig Türen ein, um auf das Gelände des Laboratoriums zu kommen. (Frage: Sie haben es demnach geschafft?? Bzw. umgangssprachlich: „Man rennt offene (!!!) Türen ein“, d.S.) Trotz der Tatsache, daß die Einrichtung vor ihrer Schließung steht, und obwohl mein Kollege und ich in fast allen Militäreinrichtungen des Landes, auch den sicherheitsempfindlichsten, gewesen sind, wurde ebenso hartnäckig gemauert. Seit der Bekanntgabe der Schließung hat die Militärbürokratie nicht einen einzigen Journalisten mehr auf das Gelände gelassen.
Nach vielen vergeblichen Anläufen, die uns durch mehrere Ebenen der Bürokratie führten, bekamen wir endlich die Erlaubnis für einen Besuch. Sie wurde von keinem anderen ausgesprochen als dem nationalen Büro des Assistant Secretary of Defence for Public Affairs höchstselbst. Und auch dann enthielt die Besuchserlaubnis noch eine empfindliche Einschränkung: Man sagte uns, der Besuch könne nur stattfinden, wenn wir versprächen, keine Fragen zum Thema Umweltverschmutzung zu stellen. Wir fügten uns diesem faustischen Pakt, teils weil wir damit wenigsten einen Blick hinter die Kulissen werfen konnten, teils weil wir ohnehin vermuteten, daß die Militärs uns auf entsprechende Fragen ohnehin keine soliden Informationen geben würden.
Das Militär erklärt seine Weigerung, uns bei unseren Recherchen behilflich zu sein, mit seiner eigenen Untersuchung über alle vor der Schließung stehenden Einrichtungen, die noch in Gang sei - vor der Veröffentlichung dieses Gesamtberichts erhalte „kein Mitarbeiter die Erlaubnis, die Angelegenzeit zu diskutieren“. Gefragt, wann ein solcher Gesamtbericht zu erwarten sei, zuckte man mit den Schultern. Auf den verschiedensten Ebenen meisterte die Militärbürokratie die Situation durch den einfachen Trick, wiederholte Telefonanfragen abzuwimmeln und versprochene Rückrufe nicht zu machen.
Nun könnte man ja denken, daß in einem Land, das sich so viel auf seine freie und unbehinderte Presse einbildet, das Thema „regierungsamtliche Umweltverschmutzung“ an Tausenden von Orten im In- und Ausland ein bevorzugtes Schlachtfeld für engagierte Journalisten sein müßte. Aber das ist es eindeutig nicht. Von philosophischen Überlegungen hierzu einmal abgesehen, hängt reale Pressefreiheit von der Qualität der Informationen ab, zu denen Journalisten Zugang bekommen, und natürlich auch von der Hartnäckigkeit journalistischen Sondierens und Recherchierens.
Selbstverständlich trägt die Veröffentlichung des Giftmüllproblems durch Militäreinrichtungen nur äußerst wenig zu seiner Lösung bei - und ist darüber hinaus eine undankbare Aufgabe. Aber es steht einiges auf dem Spiel.
Wie US-Senator John Glenn bei einer kürzlichen Diskussion über Umweltprobleme durch Atomwaffenproduktion sagte: „Die Kosten zur Entseuchung dieser Anlagen sind außerordentlich hoch, aber der Preis fürs Nichtstun wird sehr viel höher sein. Was nützt es am Ende, wenn wir uns beim Versuch, uns gegen die Sowjets zu schützen, schließlich selbst vergiften?“
Seth Shulman hat für diverse Zeitungen und Zeitschriften in den USA über das Thema militärischen Gift- und Atommülls geschrieben. Er ist außerdem Korrespondent für die Zeitschrift 'Nature‘ in Boston.
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