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Prima leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort: Frieda Friedel  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9

Es soll Leute geben, die aus akuter Gedächtnisnot einige nicht unwichtige Verrichtungen des Lebens in einer Kartei abspeichern. Da gibt es neben den Rubriken „Sicherung des Betriebsstoffwechsels durch Ausscheidungen“, „Förderung des finanziellen Inputs“ auch die Diskette „Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen“. Da Arbeitsplätze saisonal bedingt sind, verweist der Homecomputer bei Input „Sommer“ auf A „Theater“ und B „Loch“.

Theater? Fünfzehn bis zwanzig Mark für ein furchtbar anspruchsvolles und politisch engagiertes Stück löhnen, auf harten Bänken sitzen und den locker entspannten SpielerInnen zuschauen, ohne selber eingewechselt zu werden - nein. Klar, Kultur ist wichtig, aber diese Aktion mit den Karten, und kein Bier dabei, und Rauchen ist nicht, und wo findet schon noch überhaupt was statt, was noch nicht von der Kulturindustrie verseucht ist. Dann lieber gleich ins Kino, in die weichen Schnulzensessel, um montags wieder gestählt im täglichen Ausscheidungskampf ein guter Mittelstürmer zu sein.

Fegen wir jedoch einmal im Jahr unseren engen Kulturbegriff hinweg und schauen auf diese Stadt, und was sehen wir da? Politisches Sommertheater! Stücke mit ein, zwei, drei, vier Akten, mit Chargeuren, Intriganten, Claqueuren, Dallas und Denver-Clan in einem Aufwasch, und ganz umsonst. Einmal im Jahr dürfen wir die Kulturindustrie authentisch erleben: Sommertheater als existentialistische Erfahrung des Nichts.

Und damit enthüllt sich die zweite Weisheit unseres selbst erstellten Programms: Das Sein, das Nichts - und das Loch. Was wir immer schon geahnt haben, aber nie getraut, auszusprechen, darf, soll, muß jetzt gesagt werden: Sommerloch. Zehn magische Buchstaben machen frei, dem Nichts ohne Scheu ins nichtexistente Auge zu sehen. Die absolute Ereignislosigkeit ist die Negativfolie, auf der das bisher Bedeutungslose in ungeahntem Glanz erstrahlen darf: das Fell der Säue im Medienzoo Berlin, der Deutsche Beamtenbund als um das Gleichgewicht des Abzockerfilzes besorgte moralische Anstalt, oder die Obdachlosigkeit in der Zweidrittelgesellschaft, die frische Senatsangestellte zum Äußersten engagierter Öffentlichkeitsarbeit treibt, zur einsatzfreudigen Asylsuche bei den Mafiosi im Betonfunkhaus. Bisherige Nebendarstellerinnen gewinnen auf einmal so viel sympathisches Anarcho-Profil („Die Zockerin“), daß der chronische Hauptdarsteller Kunzelbösemann auf die Gouvernantencharge abfällt. Mit einem Wort: ein Höhepunkt nach dem andern in der Sommertheater-Sponsorengemeinschaft von politischem Marketing, Wirtschaft und alternativ -konservativem Medienverbund. Die einen produzieren, die andern konsumieren, und alles zur richtigen Zeit. Das ist fast so schön wie Kino und bewahrt vor drohender Arbeitslosigkeit, was zu beweisen war. Abgespeichert. Diskette voll.

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