: Spielen, fressen, ficken
■ S T A N D B I L D
Freitagnacht durften wir erleben, was außer Haluzinogenen sonst noch süchtig macht. Lea Rosh hatte in ihre Berliner Talkshow diesmal nämlich Spiel-, Freß- und Magersüchtige sowie - als besonders interessante Variante - Liebes- und Sexsüchtige bestellt. Zur Klärung des Phänomens waren dazu DoktortitelträgerInnen wie der Österreichische Sozialwissenschaftler Ernst Bornemann, die Psychologin Susanne Jalkoczy und der Volkshochschultherapeut Wilfried Wieck geladen. Für Unterhaltung sorgte - wie könnte es bei so einem Thema anders sein - Berlins Drogensachverständiger Nummer eins, Harald Juhnke.
Zweieinhalb Stunden redeten Betroffene über Abhängigkeiten, während die Experten wissenschaftliche Erklärungen abgaben. Doch vergebens warteten die Zuschauer auf den Süchtigen, der auf seine Sucht beharrt und jedem Nichtsüchtigen Leidenschaftslosigkeit unterstellt hätte. Nein, nein, alle wollen sie ihr Laster loswerden. Dafür war die Sitzordnung gelungen. Lea Rosh hatte mit dem bayrischen Staatssekretär Erich Riedl (CSU) einen Cheflobbyisten der Automatenindustrie an den Tisch der Spielsüchtigen plaziert, der sich dort höchst volkstümlich gab. Nach der Devise „in jedes Wirtshaus g'hört a Spielautomat“ bekannte er sich freimütig zu seinem Spieltrieb: „I hob's do a scho g'mocht, g'rad neulich aof der Autobahn.“ Die soziale Verantwortung für die Opfer des Glücksspielsektors, der dem Staat jährlich eine bis zwei Milliarden Mark an Steuereinnahmen bringt, mochte er jedoch nicht auf seine fetten Politikerschultern nehmen. Das sei doch Sache der Ärzte, diese armen Kranken von ihrer Sucht zu heilen. Der CSU-Mann zeigte im Laufe des Abends zwar keinerlei Einsicht, lieferte dafür aber immer wieder Beispiele für eine weitere Suchtvariante, die eigentlich gar nicht Thema war: die menschliche Geltungssucht.
Die Sache mit der Sexsucht erwies sich als Flop. Statt der erwarteten Sexualmonster mit Dauererrektion oder nymphomanischen Triebtäterinnen wurden nur lammfromme Muttersöhnchen vorgeführt, die via Therapie ihre Abhängigkeit von Frauen loswerden wollen. Wieck, dessen Buch (Männer lassen lieben) als Pflichtlektüre in jeder Männergruppe steht, verstümmelte als deren Wortführer die Freud'sche Psychoanalyse derart, daß Ernst Bornemann vollends aus der Haut fuhr und dem populärwissenschaftlichem Autor völlige Inkompetenz bescheinigte. Er setzte der selbstmitleidigen Männergruppenphantasie eine präzise marxistische Gesellschaftsanalyse entgegen, die die Ursachen für Suchtverhalten nicht nur in der Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch im Zwei -Klassensystem vermutet.
Bornemann bewies überhaupt den wachesten Verstand in dieser Talkshow, die ansonsten wenig Überraschungen, dank Staatssekretär Riedls Anwesenheit aber zumindest einiges an Unterhaltung bot. Die Sendung wird übrigens heute ab 22.50 Uhr auf Eins plus wiederholt.
utho
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