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Kulturrassismus

■ Interview mit Alain Finkielkraut

Acht Millionen Immigranten aus der sogenannten Dritten Welt - die illegalen nicht mitgezählt - leben zur Zeit in Westeuropa. Es werden jedes Jahr mehr. Die Verteidiger der „nationalen Identität“ äußern sich immer lauter. Elena Guicciardi sprach mit Alain Finkielkraut, der sich in seinem Buch „Die Niederlage der Vernunft“ damit beschäftigte.

Die Ungleichheiten zwischen Völkern und Individuen lassen sich heute nicht mehr mit rassischen Kriterien rechtfertigen. Kaum jemand erklärt sich noch offen als einen Rassisten. Sie sind der Ansicht, daß aber an die Stelle des biologischen Rassismus eine Auffassung von den kulturellen Unterschieden getreten ist, die dem alten Rassismus sehr nahekommt. Könnnten Sie das näher erklären?

Gerne. Ich sage, man wollte den Begriff der Rasse loswerden, weil er sich als unwissenschaftlich erwiesen hat, und man hat an seine Stelle den der Kultur gesetzt. Heute heißt es also: Es gibt nicht verschiedene Rassen, es gibt aber unterschiedliche ethnische Gruppen, die zu unterschiedlichen Kulturen gehören. Im Kern hat sich nichts geändert: die Individuen sind jetzt im Käfig ihrer Kultur eingesperrt, wie sie es früher in dem der Rasse waren. Wirklicher Antirassismus muß einem Menschen zugestehen, der Rubrizierung entgehen zu können; er darf nicht nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft definiert werden.

Claude Levi-Strauss spielt in der Auseinandersetzung um die Rasse eine wichtige Rolle.

Ja, er hat uns abgewöhnt, von Rassen zu sprechen, und er hat uns beigebracht, von Kultur zu reden. Er hat wesentlich dazu beigetragen, Europas Überheblichkeit zu mäßigen. Levi -Strauss hat gezeigt, daß die europäische Kultur nur eine von vielen ist, und er hat vor einer Nivellierung der Weltkulturen auf europäisches Niveau eindringlich gewarnt. Dadurch hat er eine hervorragende Rolle bei der Entwicklung des modernen Antirassismus gespielt. Aber nach denselben Prinzipien, aufgrund derer er die Rechte der anderen Kulturen verteidigt hat, hat er die kulturelle Identität Europas verteidigt, als die ihrerseits Objekt xenophober Reaktionen wurde. Das macht ihn in den Augen der Linken verdächtig.

Man hat ja auch versucht, den Aufklärern, den Verteidigern der individuellen Rechte, den Prozeß zu machen...

Die Philosophie der Aufklärung hat die Vernunft vergottet, und gerade im Namen der Vernunft glaubte ja Europa sich den Rest der Welt unterwerfen zu können. Levi-Strauss zeigt, daß die Vernunft nur ein Teil des menschlichen Denkens ist. Es gibt andere geistige Reichtümer, die ihre Sphäre überschreiten. Eine teilweise berechtigte Kritik.

Die Aufklärung hat aber auch die Individuen befreien wollen - und hierin liegt ihr großes Verdienst - und eröffnete so jedem die Möglichkeit, sich nicht nur auf der Basis seiner Gruppenzugehörigkeit zu definieren, ja sich von ihr loszusagen, sich von der eigenen Kultur zu trennen.

Die Grenzen innerhalb Europas werden bald fallen. Sollen wir versuchen, die Fremden, die aus einer anderen Kultur zu uns kommen, zu integrieren, ausgehend von dem Grundsatz, alle Kulturen sind rechtlich gleichzusetzen?

Entweder wird es Europa gelingen, seine universale Kultur zu verteidigen und die Immigranten zu integrieren, oder wir werden es erleben, daß die unterschiedlichsten Kulturen folkloristisch in ihren Ghettos hausen, miteinander verbunden nur noch von Fernsehen und Popmusik.

Gekürzt aus 'La Repubblica‘ 28.7.89

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