: „Die Ausländer kaufen uns alles weg“
■ Ausländer in der DDR: Sündenböcke für alles / Kaum Unterschied zur Bundesrepublik feststellbar / Die wachsende Ausländerfeindlichkeit ist ein Tabuthema / Pöbeleien und Übergriffe nehmen immer mehr zu / Rassistische Flugblätter im Umlauf
Ausländerfeindlichkeit ist auch im anderen Teil Deuschlands kein Fremdwort. Öffentlich wird das Thema weitehend tabuisiert, lediglich die Evangelische Kirche mahnt regelmäßig einen verständnisvollen Umgang mit den 250.000 Ausländern in der DDR an. „Wir sind herausgefordert, uns für eine solche Lebensatmosphäre für Ausländerinnen und Ausländer einzusetzen, die allen eine wirkliche Mitbürgerschaft ermöglicht, ohne die eigene Identität verleugnen zu müssen“, hieß es während der Ökumenischen Versammlung Ende April 1989.
Die staatlich geschürte Fremdenfeindlichkeit - vor allem gegen die polnischen Nachbarn und gegenüber den Reformkräften in den anderen Ostblockstaaten - findet ihre Entsprechung im dumpfen deutschen Nationalismus eines Teils der Bevölkerung, die ihre Unzufriedenheiten an solchen „Sündenböcken“ abzureagieren sucht.
Die bekanntgewordenen Überfälle auf afrikanische Studenten, bei denen während des letzten Leipziger Turn- und Sportfestes ein Farbiger von einer aufgehetzten Meute erschlagen worden sein soll, sind nur die Spitze eines Eisbergs. Das in diesem Jahr eingeführte Ausländerwahlrecht ändert wenig, da es Bestandteil eines ohnehin undemokratischen Wahlsystems ist. Die Ghettoisierung der Gastarbeiter, ihre Isolierung und die geistige Verödung der Freizeitangebote tragen ihren Teil zur Verschärfung der problematischen Situation bei. Auf der Synode der Evangelischen Kirche in Sachsen-Anhalt wurde kürzlich öffentlich, daß den etwa 12.000 ausländischen Studenten und Aspiranten der Kontakt zur Kirche in der DDR untersagt wird. In fast 800 Betrieben arbeiten auf Zeit ungefähr 85.000 Ausländer, vor allem Vietnamesen und Mocambiquaner. Etwa 35.000 Ausländer haben ihren ständigen Wohnsitz in der DDR.
Der Leipziger Kirchentag Anfang Juli 89 setzte das Thema „Ausländerfeindlichkeit“ erstmalig auf seine Tagesordnung. Bereits im April 1988 sind in der Bezirksstadt Halle fünf Schüler und Lehrlinge von einem Gericht verurteilt worden, weil sie einen Mocambiquaner zusammengeschlagen hatten. „Einen Nigger aufklatschen“ nannten sie ihre Tat. Einen Monat später wurde ein Afrikaner aus einem fahrenden Zug zwischen Elsterwerda und Dresden gestoßen. In Gaststätten werden Ausländer oft nicht bedient, angepöbelt und in Prügeleien verwickelt.
Gemixt mit neofaschistischer, nationalistischer Ideologie, Einflüssen aus der rechten Fascho- und Skin-Szene gibt es in der DDR einen fruchtbaren Boden verdrängter nazistischer, stalinistischer und gewaltverherrlichender Vergangenheit. Der Ost-Berliner Regisseur Konrad Weiß schrieb dazu im innerkirchlichen Informationsblatt KONTEXT (3/89): „Die antifaschistisch-demokratische Gesellschaftsstruktur hat nicht wirklich alle Lebensbereiche durchdrungen: oft genug ist sie Entwurf geblieben. Die kommunistische Kaderpartei beförderte nicht die Entwicklungen demokratischer Tugenden, sondern schuf ein System neuer Privilegien zur Belobung von Maulheldentum, Untertanengeist und Parteidisziplin. Das Führerprinzip, das sich für die Deutschen als verhängnisvoll erwiesen hatte, erlebt unter anderen Vorzeichen eine Renaissance: erst der Stalinkult, dann der unbedingte Anspruch der kommunistischen Partei, Avantgarde und Vorhut zu sein.“
Während des Leipziger Kirchentags sagte eine Teilnehmerin gegenüber einem Rundfunkjournalisten über die sozialen Ursachen der Ausländerfeindlichkeit in der DDR: „Es wird zwar viel von Solidarität geredet, aber eben vor allem geredet. Probleme, die in der BRD aufgearbeitet wurden, wurden bei uns totgeschwiegen.“ Und ein Teilnehmer stellte fest: „Das faschistische Gedankengut steckt in vielen Leuten noch drinne.“
In einer Staßenumfrage des ZDF-Magazins „Kennzeichen D“ vom 5.7.89 äußerten sich Ost-Berliner in ähnlicher Weise wie „Republikaner“: Auch in der DDR würden Ausländer überhand nehmen, und dagegen müsse etwas getan werden. Ein Ostberliner Schriftsteller, der bei vielen Lesungen und Reisen im Lande dieses Thema angesprochen hat, schätzt, daß es in der DDR ca. 20 Prozent potentielle Wähler einer rechten Partei gibt. Die staatlichen Behörden sehen sich von der wachsenden Ausländerfeindlichkeit überfordert. In der Industriestadt Rathenow, wo viele Ausländer arbeiten, wurde ihnen nahegelegt, öffentliche Gaststätten zu meiden. Zwischen der DDR und Vietnam gibt es eine Vereinbarung, wonach schwangeren Frauen die Abtreibung nahegelegt werden soll. Erstmalig wurde von staatlichen Medien das heiße Thema vor kurzem in der DDR-Radiosendung „DT 64“ angepackt. Am 10. Juli sendete sie ein Gespräch mit einer Chilenin, die berichtete, daß sie sehr oft beim Einkaufen von Deutschen angemacht würde. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was den Leuten alles eingefallen ist an Beschimpfungen“, sagte sie. Ein in der DDR geborener Farbiger erzählte, wie ihn in einem Zug ein Deutscher angesprochen hatte: „So was wie dich hätten wir früher vergast. Und dich vergase ich auch noch.“ Solche Äußerungen in einem von der SED kontrollierten Medium beweisen, daß die Feindschaft gegenüber Fremdartigem und Ausländischem (Wieso das Ausländische? die k.) nicht länger tabuisiert werden kann. Das Problem der Ausländerfeindlichkeit beunruhigt inzwischen sehr viele Menschen und läßt sie Ideen entwickeln, die eigentlich in einem sozialistischen und solidarischen Gemeinwesen Selbstverständlichkeit sein müßten. So wurde auf dem bereits erwähnten Kirchentag in Leipzig von der Arbeitsgruppe „Ausländer in der DDR“ vorgeschlagen, städtische Begegnungszentren einzurichten, um die Distanz zwischen Einwohnern und ghettoisierten Gastarbeitern abzubauen.
Rüdiger Rosenthal
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