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Unabhängig denken!-betr.: "Freies und kein wirres Denken", taz vom 15.7.89

betr.: „Freies und kein wirres Denken“, taz vom 15.7.89

Freidenker - verlängerter Arm der SED?

Daß eine traditionsreiche Organisation der deutschen Arbeiterbewegung 1989 in der DDR wiedergegründet wurde, ist ohne Zweifel auch Ausdruck der vielfältigen Probleme, mit denen die DDR gegenwärtig konfrontiert ist. Viele der großen humanistischen Ideale, für die sich die Freidenker seit über 100 Jahren einsetzen, sind auch heute noch nicht - weder in der sozialistischen noch in der kapitalistischen Welt befriedigend verwirklicht. Von daher ist die Gründung des Verbandes in der DDR, der die Interessen von Atheisten wahrnimmt, zu begrüßen.

Trotzdem ist vorerst Skepsis angezeigt. Es deutet nämlich einiges darauf hin, daß die DDR-Freidenker in enger Anbindung zur SED in bestimmten Gesellschaftsbereichen effektiver arbeiten sollen, als es der Partei möglich ist. Dies widerspricht aber unserem Verständnis von Freidenkertum. Freidenker können sich niemals damit bescheiden, lediglich an der Erziehung und praktischen Lebenshilfe angepaßter staatsfrommer Bürger mitzuwirken. Wenn sie nicht in der Lage sind, die Menschen zu ermutigen, unabhängig von gängigen, gesellschaftlich oder auch verfassungsmäßig verankerten Grundsätzen zu denken und zu handeln, ihr Schicksal nicht nur dem Staat, den Parteien etc. anzuvertrauen, dann verlieren die Freidenker ihre Existenzberechtigung. Den offenen und streitbaren Dialog hierüber werden wir mit den DDR-Freidenkern führen.

Manfred Isemeyer, Geschäftsführer des Dt. Freidenker -Verbandes, Berlin

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