Koreanischer Jumbo Opfer einer Spionageaktion?

Ein amerikanisches Gericht ist überzeugt, daß die Piloten des 1983 von sowjetischen Anfangjägern abgeschossene koreanischen Jumbos „wissentlich“ auf falschem Kurs flogen / „Lockvogel„-Verdacht erhält neue Nahrung / 50 Millionen Dollar für Hinterbliebene?  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin/Washington (taz/ap) - Sechs Jahre nach dem Abschuß eines Jumbo-Jets der Korean Airlines mit 269 Menschen an Bord über der ostsibirischen Halbinsel Sachalin verdichten sich die Hinweise, daß die Passagiermaschine damals bewußt von US-amerikanischen Geheimdienststellen als „Lockvogel“ für die sowjetischen Frühwarnsysteme mißbraucht wurde.

In einem am Mittwoch gefällten Urteil hat ein Washingtoner Gericht die Korean Airlines zur Zahlung von 50 Millionen Dollar an die Hinterbliebenen von 137 der insgesamt 269 Opfer verpflichtet. Brisant ist die Begründung des Gerichts: Die koreanische Besatzung habe den Jumbo-Flug KAL 007 am 1.September 1983 auf seinem Flug von Anchorage in Alaska nach Seoul wissentlich auf falschem Kurs in den Luftraum über Ostsibirien gesteuert und damit den Abschuß durch sowjetische Abfangjäger provoziert. Die Fluggesellschaft will gegen das Urteil Berufung einlegen.

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in Westeuropa hatte der von den Sowjets tagelang abgestrittene Abschuß die Welt wochenlang in Atem gehalten. Der damalige US-Präsident Reagan heizte die Atmosphäre mit der öffentlich geäußerten Frage an, worüber er sich denn noch mit einem Staat unterhalten solle, „dessen Werte solche Abscheulichkeiten zulassen“.

Fast ein Jahr später nahm die Diskussion eine überraschende Wende. Angesehene Flugfachleute diskutierten in Fachzeitschriften (teilweise unter Pseudonym) die Frage, wie der Jumbo-Crew über Stunden eine Kursabweichung von fast 1.000 Kilometern entgangen sein könnte und warum die in der Region fast lückenlose Überwachung der US-Militärs den Geisterflug nicht bemerkt haben wollte. Schließlich wurde der Verdacht geäußert, daß die koreanische Maschine im Zentrum einer großangelegten, satellitengestützten Spionageaktion zur Auskundschaftung der sowjetischen Frühwarnsysteme im fernen Osten stand. Das Risiko, daß die Russen die Zivilmaschine nicht als solche erkennen und abschießen würden, habe man dabei für gering gehalten und bewußt in Kauf genommen.

In dem jetzt in Washington zu Ende gegangenen Zivilprozeß ging es allein um die schließlich vom Gericht mit „ja“ beantwortete und für die Höhe der Entschädigungen ausschlaggebende Frage, ob die Besatzung des Jets den verhängnisvollen Kurs wissentlich beibehalten hatte. Zwei erfahrene Piloten erklärten während des Verfahrens, die Jumbo-Besatzung habe die computergesteuerten Navigationssysteme bereits in Anchorage falsch gefüttert. Andere Zeugen sagten aus, die Besatzung habe den Fehler zwar bemerkt, sei aber aus Furcht vor Disziplinarmaßnahmen und Verlust an Ansehen bei Kollegen nicht nach Anchorage zurückgeflogen. Statt die zivilen Bodenstationen entlang ihrer Route um Hilfe zu bitten, hatten die Piloten die ahnungslose Crew einer anderen Maschine der Korean Airlines, die sich auf der korrekten Route befand, eingespannt. Wegen angeblicher Probleme mit der Funkanlage von KAL 007 gab die zweite Maschine jene (tatsächlich falschen) Positionen an die Bodenstationen weiter, an denen sich die Unglücksmaschine bei regulärem Kurs hätte befinden müssen.