: Rot raus - Grün rein
■ Die Gründung von Greenpeace-Moskau wird zur Nagelprobe für die Umweltpolitik der Sowjetunion
Zwei Tage lag das Aktionsschiff „Rainbow WarriorII“ Ende Juli in Leningrad, um dort nach der Gründung der sowjetischen Sektion von Greenpeace Presse und Bürger über die Arbeit der Umweltschützer zu informieren. Öko-Glasnost in der Sowjetunion: „Wir müssen alle grün werden“, gab der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Ryschkow die Parole aus. Jürgen Streich, soeben vom Leningradtrip zurückgekehrt, berichtet über Greenpeace in der Sowjetunion.
„Hier bin ich schon einmal mit einem Greenpeaceschiff vorbeigekommen“, sagt der britische Kameramann Tony Mariner, als die „Rainbow Warrior II“ die Hafeneinfahrt von Leningrad passiert. „Im Schlepptau sowjetischer Boote, die uns hinaus in internationale Gewässer bugsierten“, fügt er hinzu. Das war 1982. Widerwillig war dem Aktionsschiff „Sirius“ damals die Einfahrt in den Hafen der baltischen Sowjetmetropole erlaubt worden. Doch als die Umweltschützer ihre Forderung nach Beendigung der sowjetischen Atombombenversuche mit Luftballons an die Leningrader Bevölkerung verschickten, fand ihr Besuch ein jähes Ende.
Jetzt, sieben Jahre später, reist die Besatzung der „Rainbow WarriorII“ - im Zuge von Glasnost und Perestroika erneut nach Leningrad. Uniformierte werden diesmal lediglich zu einer legeren Paß- und Zollkontrolle an Bord gesehen. Dafür tummeln sich um so mehr Journalisten und interessierte Bürger auf dem Umweltschiff und nehmen an Informationsmaterial mit, was sie kriegen können.
Auf ihrer Pressekonferenz gibt die Umweltorganisation bekannt, daß sie in der Sowjetunion als zweiundzwanzigstes Land künftig von einer eigenen Sektion vertreten wird. Vorsitzender von Greenpeace-Moskau ist Alexeij Jablokow, als Professor für Meeresbiologie eine Kapazität und Abgeordneter des neugewählten Kongresses der Volksdeputierten. Bei ihrer Neugründung erhielten die Regenbogenkämpfer auch aus Gorbatschows unmittelbarer Umgebung Unterstützung: Jewghenij Welichow, Chef der Untersuchungskommission der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und Berater des Staats und Parteichefs in Nuklearfragen, sowie Roald Zagdejew, Leiter des sowjetischen Raumfahrtprogramms und führendes Mitglied der angesehen Akademie der Wissenschaften, hatten sich im Vorfeld für die Gründung der Greenpeacesektion stark gemacht.
Bekannt in
der Sowjetunion
Was die internationale Umweltorganisation Greenpeace ist und macht, hatte sich unter den Bürgern der Sowjetunion schon vorher herumgesprochen. U-Bootbesatzungen kannten sie ebenso wie Waljäger. Bereits 1983 war es der „Rainbow Warrior“ bei der bisher spektakulärsten Aktion in der Sowjetunion gelungen, in die ostsibirischen Hoheitsgewässer vor der Halbinsel Tschuktschen einzudringen und Beweisfotos dafür zu schießen, daß im Dorf Lorino Fleisch der vom Aussterben bedrohten Grauwale an Nerze und Füchse verfüttert wurde. Sieben Greenpeacemitglieder wurden damals gefangengenommen und wie Kriminelle behandelt. Heute werden sie gefeiert.
„Greenpeace war bis vor kurzem bei uns nicht stubenrein“ so formulierte es ein sowjetischer Journalist an Bord der „Rainbow WarriorII“. Um so erstaunlicher die bemerkenswert freundliche Begrüßung beim Einlaufen in den Hafen von Leningrad. Berührungsängste gegenüber den Umweltschützern scheinen selbst die sowjetischen Militärs kaum mehr zu haben: Nach Ansicht von Greenpeaceaktivisten verhalten sich die Besatzungen der Atom -U-Boote bei Provokationen weitaus anständiger als ihre amerikanischen Kollegen, die versuchen, die Eindringlinge mit Hochdruckwasserschläuchen wegzuspritzen.
Und als jetzt die „Rainbow WarriorII“ sowjetische Kriegsschiffe passierte, wurde ihre Crew von den Soldaten freundlich begrüßt. Selbst den Eingang zum Staatsheiligtum Panzerkreuzer „Aurora“, auf dem sich ein Stück Revolutionsgeschichte abgespielt hat, durften die Umweltschützer mit Plakaten an ihrem „Tag der offenen Tür“ bekleben.
Hoffnungsträger
Greenpeace
Von Sowjetbürgern, die an Bord des Umweltschiffes kamen, um sich über die Arbeit von Greenpeace zu informieren, war ein wichtiger Grund für das neue Öko-Glasnost zu hören: die Hoffnung, daß Greenpeace die Verantwortlichen des riesigen Landes zu mehr Umweltschutz bewegen werde. Und diese Hoffnung reicht offenbar bis weit in die Bürokratie hinein.
„Haben Sie eine Veränderung der Wasserfarbe bemerkt, als Sie sich Leningrad näherten?“ wollte eine sowjetische Umweltjournalistin vom Kapitän der „Rainbow WarriorII“ Peter Willcox wissen. Der berichtete von braunem Wasser und Ölflecken; beides habe in Richtung der Sowjetmetropole stark zugenommen.
In der Tat: Umweltprobleme hat die Sowjetunion nicht erst seit Tschernobyl. Aralsee, Baikalsee, Ladogasee, Wolga, Newa - das sind Namen von Gewässern, die Ökologen die Haare zu Berge stehen lassen. Und daß aus den Kraftwerken und Autos nicht gerade Veilchenduft strömt, bleibt auch in Leningrad keiner Nase verborgen. Für den Meeresbiologen Prof. Alexeij Jablokow liegt es nahe, sich zunächst insbesondere den Wasserproblemen zu widmen. Beinahe scheint es, daß er einen optimalen Zeitpunkt für den Beginn seiner Arbeit erwischt hat. Nicht nur in den baltischen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, sondern auch in der Zentrale der Macht, im Moskauer Kreml, wird vom „gemeinsamen Haus Europa“ gesprochen. Und die Ostsee, so ist dort zu hören, könnte ein Beispiel für blockübergreifenden Umweltschutz werden.
Greenpeace in der Sowjetunion - das wird zur Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit der Umweltabsichten Moskaus. Dabei haben die Umweltschützer und Kremlchefs schon jetzt eines gemeinsam: Beide verwalten ihre Apparate zentral, wobei der Unterschied darin liegt, daß Tendenzen zur Demokratisierung, mit der die Basis mehr Mitspracherechte erhält, bei Greenpeace noch nicht zu erkennen sind. Nun hat sich Greenpeace außer sauberer Luft und sauberen Gewässern sowie der Beendigung der Waljagd auch ein Abkommen über generelle Atomteststopps und nuklearfreie Meere auf die Fahnen geschrieben. Und da hat die Sowjetunion unübersehbar Leichen im Keller - sprich: Reaktoren und Bomben auf dem Meeresgrund.
Dennoch traf der Leiter der Greenpeacekampagne für nuklearfreie Meere, Gerd Leipold, auf ungeteilte Zustimmung, als er jetzt in Leningrad während des Symposiums im geräumigen Bauch der „Rainbow WarriorII“ betonte, daß radioaktive Stoffe, ob in Reaktoren oder Atomsprengköpfen, sich auf See an einem denkbar unsicheren Ort befinden. Die von dem amerikanischen Publizisten William Arkin recherchierten und in den sogenannten Neptune-Papers veröffentlichten Unfälle (seit dem Zweiten Weltkrieg über 1.200) mit strahlenden Stoffen auf See waren heißbegehrte Informationen.
'Novosti'- und 'Tass'-Leute waren ihren Kollegen, die mit dem Umweltschiff gekommen waren, beim Faxen von Texten und Funken von Fotos an westliche Redaktionen behilflich. Und ein Redakteur der Wochenzeitung 'Iswestija‘, der „tiefe Sympathie“ für Greenpeace empfindet, bestellte die Reportage vom Leningradtrip gleich bei einem Teilnehmer der Reise. Nein - bei Null fängt Alexeij Jablokow nicht an, wenn es für ihn nun gilt, Greenpeace-Moskau zu einer schlagkräftigen Sektion zu machen. Man darf gespannt darauf sein, was daraus wird.
Jürgen Streich
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