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Russisches Roulett im AKW Ohu

Das Atomkraftwerk IsarI bleibt nach einem schweren Zwischenfall vorerst vom Netz / Von 67 Kugellagerkugeln im Reaktortank wurden bisher 51 geborgen / Jede einzelne könnte einen schweren Unfall auslösen / Öffentlichkeit wurde wieder verspätet informiert  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - 67 Edelstahlkugeln aus einem zerstörten Kugellager legen das Atomkraftwerk IsarI im niederbayerischen Ohu auf unbestimmte Zeit lahm. Zu dem folgenschweren Zwischenfall, bei dem die Kugeln mit einem Durchmesser von acht Millimetern direkt in den offenen Reaktorkern fielen, kam es bereits am 25.Juli während eines routinemäßigen Brennelementwechsels. Fast zwei Wochen lang hielten die BayernwerkAG als Betreiberin und das bayerische Umweltministerium den Vorfall vor der Öffentlichkeit geheim. Offenbar in Erwartung eines 'Spiegel'-Berichts entschloß man sich am vergangenen Freitag zu einer knappen Erklärung.

Nach Angaben von Betriebsangehörigen spielte sich der Vorfall folgendermaßen ab: Ein sogenannter Teleskopmast zum Wechsel der Brennelemente habe sich aus seiner Verankerung gelöst und beim Aufprall auf die Wechselbühne oberhalb des Reaktordruckbehälters ein Kugellager zerstört. Die Kugeln seien daraufhin in den mit hochradioaktivem Wasser gefüllten offenen Kern des Meilers gefallen. Das Münchner Umweltministerium bestätigte am Wochenende im wesentlichen diese Darstellung. Wie schon das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) nach dem schweren Störfall im AKW BiblisA Ende 1987, sortierte auch das Bayernwerk den schweren Zwischenfall in die niedrigste Störfallkategorie N (Normal) ein und unterrichtete lediglich das Münchner Umweltministerium. Bis Sonntag mittag sind nach Angaben der Betreiber 51 der 67 Kugeln wiedergefunden und mit Hilfe von Magneten geborgen worden.

Kraftwerksexperten halten jede der unscheinbaren Kugeln für ausgesprochen gefährlich. Im Reaktorbetrieb würden sie wegen der gewaltigen Strömungen in dem 870-Megawatt -Siedewasserreaktor mit großer Wucht zwischen die Brennelemente geschleudert und die empfindlichen Brennelementhüllen - so zitiert der 'Spiegel‘ einen Atomtechniker - „in kürzester Zeit, bedingt durch die strömungsinduzierten Schwingungen, durchfressen und damit Spaltprodukte freisetzen“. Michael Sailer, Reaktorexperte des Öko-Instituts in Darmstadt, glaubt, daß die kleinen Murmeln auch die Steuerungsfähigkeit des Reaktors gefährden können. Sie beruhe auf der „absoluten Leichtgängigkeit der Steuerelemente“ und könne durch ungünstig plazierte Kugeln behindert werden. Jeden Gedanken an eine Wiederinbetriebnahme des Atomkraftwerks vor der Bergung der letzten Kugel aus dem Druckbehälter bezeichnete Sailer gegenüber der taz als „russisches Roulett“.

Auch Josef Vogl, im bayerischen Umweltministerium zuständig für die Atomgenehmigungen im Land, bestand in mehreren Interviews darauf, daß vor dem Wiederanfahren des Reaktors alle Kugeln gefunden werden müßten. Deshalb sollten die 594 Brennelemente des 1977 in Betrieb genommenen Reaktors Fortsetzung auf Seite 2

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ausgeladen und „jedes einzelne auf Kügelchen überprüft“ werden. Dafür veranschlagte der Ministerialbeamte etwa 15 Tage. An anderer Stelle sorgte Vogl selbst für die Zweifel, die er gerade zerstreuen wollte. Nicht alle, sondern alle „sicherheitsrelevanten Kugeln“ müßten entfernt werden, bevor IsarI wieder ans Netz könne, hieß es dort. Was mit diesem Terminus gemeint sein könnte, erläuterte ein Sprecher der BayernwerkAG: Wenn Kugeln im „Reaktorsumpf“, am Boden des Druckbehälters, verblieben, würde von ihnen keinerlei Gefahr für die Betriebssicherheit ausgehen. Sie könnten also drinbleiben. Techniker des AKWs bezeichneten es als „nahezu aussichtslos“, an die Kugeln „in der verschmutzten Senke zu gelangen“. Deshalb müsse der Pan

nenreaktor möglicherweise endgültig abgeschaltet bleiben. Bayernwerk und bayerisches Umweltministerium haben diese Möglichkeit strikt zurückgewiesen und sind guter Dinge, daß IsarI in „einigen Wochen“ wieder ans Netz könne. Davon ist auch Michael Sailer überzeugt: Dafür würden schon die „traditionell guten Beziehungen“ zwischen den bayerischen Atomkraftwerkern und ihrer Genehmigungsbehörde sorgen.

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