: DU & DEIN VORSORGEIKON
■ Heraldik des 20. Jahrhunderts im Schilderladen
Ein Schild ist laut Meyers Lexikon a) eine tragbare Schutzwaffe des Kriegers zur Deckung von Körperblößen, b) Bezeichnung für bestimmte auffällige Farbflecke auf dem Gefieder einiger Vogelarten beziehungsweise die verfilzte, verhärtete Schulterregion des Panzerschweins, c) artspezifische Hornbedeckung von Vogelläufen, d) in Kernreaktoren die Ummantelung des Reaktorkerns, die den Austritt der Strahlung verhindern soll, und schließlich e) Träger des Wappenbildes.
Heute beliebte und erhältliche Warn-, Gebots-, Verbots- und Hinweisschilder erscheinen am ehesten als Abkömmlinge der letztgenannten Unterart, da entsprechende Schilder laut Lexikon schon im 12. Jahrhundert mit Unterscheidungszeichen versehen waren, „um die Träger für Freund und Feind erkennbar zu machen“. Säuberlich getrennt nach dem Grad der Gefahr, die in verschiedenen Größen, als Logo oder Schriftzug gewürdigt wird, und der Schärfe der Restriktion (soll nahegelegt, abgeraten oder unterbunden werden), liegen die Schilder und Aufkleber in den Regalen und warten auf Freund und Feind. Im Unterschied zu den festen Wappenzeichen zu Ritterszeiten hat sich das Schildertragen und -anbringen heute in den Tagen der demokratischen Herrschaft zur gesichtslosen Machtausübung entadelt: Die Individualität des Schildes ist nivelliert, das Schild kommt im Industriedesign daher und legitimiert jeden dahergelaufenen Aufschneider, fotografieren, rauchen, essen, brandschätzen oder ätzen zu verhindern.
Die Verbotspalette ist entsprechend weit gefaßt und plump verständlich. Die zu indizierende Verrichtung wird im roten Verbotskreis abgebildet und mit rotem Balken durchgestrichen. Vom früher gebräuchlichen Halteverbot veränderte sich so die Bedeutung in: Kein-Wasser-Trinken, Keine-Gummistiefel-benutzen, Nicht-auf-dem-Gabelstapler-an -nicht-dafür-vorgesehenen-Stellen-sinnlos-herumsitzen oder Hier-dürfen-Erwachsene-nicht-Tretroller-fahren. Einen Meter weiter beginnen die Warnschilder. Neben den alltäglichen Gefahren wie radioaktive Strahlung, Feuer, Steinschlag und Laser, die durch minimalisierte Symbole angedroht werden, ist auch eine verschärfte Form im Angebot, in der der Betrachter geradezu psychisch unter Druck gesetzt wird, wenn er sich mit der in Aktion befindlichen kleinen Figur identifiziert: Schwungvoll im Geröll ausrutschen oder vom Blitz getroffen zusammenbrechen wird, so wird suggeriert, auch dir gleich passieren. Diese Schilder, von hohem realistischen und künstlerischen Wirkungsgrad, sind aber bei weitem in der Minderzahl. Leider breitet sich die Verschriftlichung und Bürokratisierung im Schilderwald aus, was ganz extrem im Hinweissektor zu beobachten ist. Der wirklich leicht darstellbare Hund ist nur noch einmal als zahmer Schäferhund vertreten, ansonsten dominieren vor Originalität strotzende Sätze wie „Warnung vor bissigem Hunde“ (ausverkauft), „Vorsicht bissiger Hund“, „Warnung vor dem Hunde“. Einziger Lichtblick auf deutsche Kultur: „Achtung pflichtbewußter Hund“. Hinweisschilder strotzen überhaupt vor Pflichtbewußtsein: Wen schert es normalerweise, ob jemand den Ein- oder Ausgang findet, die Treppe runterfällt, PCB oder Säure verspeist und schließlich vom Köter zerrissen wird - die Lösung findet sich ein Schild weiter. Wo Eltern nicht wie beim Rasenbetreten für ihre Kinder haften, wollen Haus- und Hundbesitzer und Giftverbrecher aller Art auch nicht für die Auswirkungen ihrer Sünden haften, mit einem Hinweis ist dem Allgemeinwohl wohl Genüge getan. „Denke daran, daß von deiner Ausdauer und deinem Verhalten das Leben deines Kollegen abhängen kann“ (Epilog anno 1957 auf einem Schild von '89), subtiler kann man sich kaum der moralischen Verantwortung entledigen. Hinzu kommt außerdem ein Sortiment aus blauen Gebotsschildern, in denen wahlweise für das Anlegen von Brille, Kopfhörer, Gasmaske, Stiefeln, Handschuhen und Sicherheitsgurten geworben wird. Für nicht eindeutige Gefahren existiert ein Joker: „Hier ist der Sicherheitsbeauftragte zuständig. Er unterstützt, rät und hilft in allen Fragen der Sicherhei“. Trotz alledem scheint im Schilderwald ein tiefes Mißtrauen in Fragen der eigenen Sicherheit vorzuherrschen: „Es ist verboten, Schutzvorrichtungen zu entfernen“ oder gar: „Dieser Platz darf nicht verstellt werden“ - weil sonst das Schild nicht mehr lesbar wäre? Ein philosophischer Satz, ein Aphorismus, eine selbstkritische Würdigung der Funktion von Aufklärung, ein Diskurs über die Grenzen der restriktiven Rede? Aber ach! Schon das nächste Schild versetzt unsanft auf den Boden der Banalität: „Die Benutzung der Kreissäge ist Unbefugten verboten“. Am Fundament der Verbotskultur ist eben nicht so einfach zu sägen.
DoRoh
Die vorgestellten Schilder sind in jedem halbwegs rechtschaffenen Schilderladen zu haben
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