piwik no script img

„Ohne Computer ging alles zack, zack“

■ Das EDV-System der AGB entspricht nicht mehr den Anforderungen der Bibliothek / Fehlkalkulation von Anfang an: Für 60.000 Leser geplant, jetzt sind es 90.000 / Leser fluchen, Mitarbeiter werden kribbelig

„Wenn es eine vernünftige Anlage gewesen wäre - aber doch nicht so ein klappriges Ding, da muß man sich ja nicht wundern, wenn nichts funktioniert!“ steht für Marlene Weiland fest. Beim Stichwort EDV sieht sie, wie die meisten ihrer KollegInnen in der Ausleihe der Amerika -Gedenkbibliothek, rot. Zwar wurde der Computer schon vor vier Jahren eingeführt, aber so richtig glücklich ist anscheinend niemand mit dem System. Auch routinierte AGB -Benutzer nicht, die immer wieder über Wartezeiten und EDV -Ausfälle klagen. Inzwischen wird auch von der Bibliotheksleitung zugegeben, was die Angestellten vermuten: Die EDV-Anlage ist den Anforderungen der AGB einfach nicht gewachsen.

Zwar ist die Anlage der Firma Norsdata wohl kaum so klapprig, wie Marlene Weiland behauptet, sondern wie der inzwischen zum EDV-Spezialisten avancierte Bibliothekar Paul Ulrich fast schwärmerisch erklärt, ein „sehr, sehr geniales System“ - nur leider wurden die Kapazitäten bei der Anschaffung völlig falsch berechnet: „Wir hatten damals mit etwa 60.000 aktiven Benutzern gerechnet“, erklärt Ulrich, „inzwischen sind es aber an die 90.000.“ Folglich ist Rechenkapazität nun Mangelware. Deshalb kann es einem Leser, der längere Zeit nichts ausgeliehen hat, nun passieren, daß sein Benutzerkonto zwischenzeitlich gelöscht wurde: Wer etwa ein Jahr lang nichts ausleiht, wird vom Computer aus dem System geworfen, um neue Kapazitäten freizumachen. Auch bei der Abwicklung der Ausleihe macht sich die fehlende Rechnerkapazität bemerkbar. „Mann, ist der heute wieder langsam“, heißt es dann, wenn auf dem Bildschirm nur ein „wait“ zu lesen ist. Ist der Computer mit einem komplizierten Rechenvorgang oder auch nur mit der Suche von Namen beschäftigt, heißt es warten - Nicht nur für die MitarbeiterInnen an der Ausleihe eine Geduldsprobe: „Dann drängeln die Leser, und ich werde auch ganz kribblig.“

„Früher hatten wir die Leser schneller vom Tresen weg“, erinnert sich auch eine Kollegin an Zeiten, in denen die Buchausleihe noch mit Hilfe eines Foto-Belichtungssystems durchgeführt wurden. „Da waren wir erstens mehr an der Ausleihe und außerdem so richtig gut im Training, da konnten wir die Karten so richtig zack, zack aus den Büchern rausreißen.“ Heute dagegen funktioniere alles viel langsamer, müsse man dauernd auf Drucker und den piependen Signalton warten, während die LeserInnen Schlange stünden: „Und dann begreifen die den Computerausdruck nicht und wir müssen alles mühsam erklären.“ Dabei ist die Anlage an sich nicht so schlecht, wie es dem entnervten Leser dünken mag: In den letzten fünf Jahren gab es nur einen Totalausfall. Fünfmal mußte auf Notbetrieb umgestellt werden. Dann sind nur Ausleihen und Rückgaben möglich, keine Vormerkungen und ähnliche Serviceleistungen. „Minimalstörungen“, wie EDV-Mann Ulrich es ausdrückt, gibt es etwa ein- bis zweimal im Monat, wenn das System über einen „schrottigen Datensatz“ oder mysteriöse, versehentlich eingegebene Zeichenkombinationen stolpert. Andere Berliner Bibliotheken haben da mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Den Rekord hält die FU -Bibliothek. Als dort ein neues EDV-System der Firma Siemens installiert wurde, legten Computer-Anpassungsschwierigkeiten den Ausleihbetrieb sechs Wochen lang lahm. Doch nicht nur Rechnerkapazitäten sind knapp in der AGB: „Wir sind nicht nur mit der EDV, sondern auch mit unseren Räumen und unserem Etat fast am Ende“, erklärt der stellvertretende Direktor, Milan Bulaty.

Zwar steige seit Jahren die Zahl der Benutzer und der Ausleihen, der Anschaffungsetat sei jedoch nicht entsprechend erhöht worden. Folglich sind begehrte Bücher ständig ausgeliehen, Vormerkungen von bis zu acht Nutzern pro Titel keine Seltenheit. „Wir könnten von vielen Büchern fünf bis zehn Exemplare kaufen“, erklärt Bulaty, doch dafür fehlen die Mittel im Anschaffungsetat. Wenn der geplante Neubau der AGB in fünf Jahren fertig sei, könne es passieren, so Bulaty, daß die LeserInnen vor leeren Regalen stünden oder „vor alten staubigen Büchern, die niemand mehr lesen will“. Zumindest eine neue EDV-Anlage soll im nächsten Jahr angeschafft werden. Langfristig soll dann auch der bisherige Zettelkatalog vercomputerisiert werden. Auch die neue EDV wird von den MitarbeiterInnen in der Benutzungsabteilung mit Skepsis erwartet: „Da kann man nur hoffen, daß das nicht alles gleich zusammenbricht.“

-guth

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen