: In bester Tradition des Celler Lochs
■ Ein Häftling aus der Celler Anstalt erklärt, man habe ihn als Spitzel auf die RAF-Gefangenen ansetzen wollen / Ministerium bestätigt Befragung des Häftlings
Das CDU-regierte Niedersachsen ist längst dafür bekannt, daß seine Beiträge zur Rubrik „Under-cover-agency live“ selbst jeden Spitzen-Tatort um Längen schlagen. Kein Wunder, wenn man einen Top-Agenten vom Schlage eines Werner Mauss auf der Gehaltsliste führt. Der einschlägige Ruf ist den wackeren Niedersachsen spätestens seit Bekanntwerden ihrer wenn auch gescheiterten - Sprengstoffaktion aus dem Jahre 1978 sicher. Die Rede ist vom „Celler Loch“.
In einer großangelegten Ausforschungsaktion hatten die zuständigen Männer aus dem Albrechtschen Sicherheitsapparat zwei Strafgefangene aus der Celler Vollzugsanstalt auf den seinerzeit dort inhaftierten Gefangenen aus der RAF, Sigurd Debus, ansetzen wollen. Um den Spitzeln den nötigen Leumund zu verschaffen, inszenierte der Verfassungsschutz einen Befreiungsversuch. Vom Verfassungsschutz angeleitete Spezialisten der GSG9 sprengten das besagte kleine Loch in die Mauer der Vollzugsanstalt Celle, welches sodann monatelang als „gescheiterte Befreiungsaktion von RAF -Terroristen“ durch die bundesrepublikanische Presse geisterte.
Doch ist der Ruf erst ruiniert, agiert's sich völlig ungeniert. In diesen Tagen machen die Niedersachsen schon wieder einschlägig von sich reden. Zur Wahrung der Sicherheit im Staate ist die Neugierde während des letzten Hungerstreiks ganz offenbar aufs neue mit ihnen durchgegangen. Den Anwälten der in Celle inhaftierten Gefangenen Karl-Heinz Dellwo, Knut Folkerts und Lutz Taufer liegt die Erklärung eines mittlerweile entlassenen Gefangenen aus dem Normalvollzug vor, der angibt, man habe ihn zu Spitzeldiensten heranziehen wollen.
Ganz besonders interessierte die Beamten demnach zunächst das, was der Gefangene im Zusammenhang mit dem 28.April 1989 aus den Gefangenen herauslocken könnte. Am Tag darauf während des Hungerstreiks fand die bundesweite Demonstration zur Unterstützung der Hungerstreikenden statt. Der umworbene Gefangene erklärt, der Sicherheitsinspektor der Celler Anstalt habe ihm finanzielle Vorteile in Aussicht gestellt, falls er sich bereit erklären würde, „für ihn etwas über den 28.April 1989 im Zusammenhang mit der RAF in dieser Anstalt herauszubekommen oder ihm nur eine Bestätigung geben könnte, daß an diesem 28.April 1989 etwas laufen soll“. Weitere Vorteile seien ihm in Aussicht gestellt worden, so fährt der Gefangene in seiner Erklärung fort, „wenn ich mich weiterhin bereit erklären würde, über den 28.April 1989 hinaus mit einem Sender bei mir an der Freistunde der RAF teilzunehmen“.
Und das Dementi aus dem niedersächsischen Justizministerium ist allenfalls ein halbes. Man habe den Mann „nicht angestiftet zu horchen, sondern ihn lediglich befragt, ob er zum Datum 28.4. im Zusammenhang mit der RAF in der Anstalt etwas wisse“, so der persönliche Referent des niedersächsischen Justizministeriums Hartmut Pust. Der betreffende Beamte aus der Celler Vollzugsanstalt habe diese Befragung bestätigt. Und auf die Frage, ob so etwas denn übliche Praxis sei, antwortete Pust wie selbstverständlich mit „Ja“. Daß allerdings gar ein Bestechungsversuch im Spiel gewesen sei und dem Gefangenen Geld angeboten wurde, mag man nun doch nicht bestätigen. Logisch, das ginge ja auch nicht mit rechten Dingen zu - und schließlich geht es ja um nichts anderes als um die Wahrung der Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat.
Maria Kniesburges
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen