: DDRler in BRD-Missionen setzen auf Endsieg
■ Ost-Berlins Unterhändler, Rechtsanwalt Vogel, fordert die Bundesregierung auf, flüchtige DDR-Bürger auf die Straße zu setzen / Inzwischen ist Ungarn des deutsch-deutschen Problems überdrüssig: „Moderne Völkerwanderung ist neuartiges deutsches Problem“
Budapest/Berlin (ap/dpa/taz) - Die Situation um die Flüchtlinge in der Ständigen Vertretung der BRD in Ost -Berlin und in Botschaften anderer osteuropäischer Länder scheint hoffnungslos festgefahren. Der DDR-Unterhändler, Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, forderte die Bundesregierung auf, die geflüchteten DDR-Bürger wieder auf die Straße zu setzen. Dem vorausgegangen war bereits am Donnerstag eine Zusicherung der DDR, Flüchtlinge, die die Missionen freiwillig verließen, müßten nicht mit einer Bestrafung rechnen.
Wie aus den Botschaften zu vernehmen war, scheinen die DDRler jedoch entschlossen zu sein, ihre Ausreise in die BRD zu erzwingen. Das Zentralorgan der SED 'Neues Deutschland‘ veröffentlichte gestern einen Bericht über eine Pressekonferenz des ungarischen Innenministeriums. Darin heißt es, Ungarn wolle noch einmal ausdrücklich betonen, daß es, wie jeder andere Staat auch, mit entschlossenen Maßnahmen die Unverletzlichkeit seiner Grenzen schützen werde. Dies schließe auch die Information der DDR-Behörden ein. Weiterhin zitierte das SED-Zentralorgan den Sprecher des Innenministeriums mit den Worten: Was die irregeführten und falsche Illusionen hegenden DDR-Bürger angehe, die sich derzeit in der Botschaft aufhielten, so sei er ermächtigt zu erklären, daß diese, wenn sie innerhalb kurzer Zeit freiwillig in die DDR zurückkehrten, keine Strafverfahren zu erwarten haben.
Die ungarischen Behörden scheinen mittlerweile des deutsch -deutschen Problems überdrüssig zu sein. In einem Kommentar des ungarischen Rundfunks hieß es, die beiden deutschen Staaten müßten das Flüchtlingsproblem selbst lösen: „An unseren westlichen Grenzen haben wir den Eisernen Vorhang nicht deshalb liquidiert, um jenes Tor zu öffnen, das die Berliner Mauer zugesperrt hat.“ Er sprach weiter von irrealen Hoffnungen und Erwartungen im Zusammenhang mit Ungarn, die auf einem „Unverständnis“ der Lage beruhten. Ungarn sei an guten Beziehungen zu beiden Staaten interessiert. Die „moderne Völkerwanderung“ sei ein neuartiges deutsches Problem, bei seiner Lösung könne Ungarn nicht behilflich sein. Einige hundert DDR-Bürger, die in Ungarn einen Sichtvermerk in ihren Paß erhalten haben, sind in Budapest in den Untergrund abgetaucht und warten auf eine Klärung ihrer Situation. Eine Rückkehr in die DDR schließen sie nach Information eines ungarischen Flüchtlingskomitees aus.
In einem Rundfunkinterview äußerte sich der ehemalige Vertreter Bonns in Ost-Berlin, Klaus Bölling, kritisch zu den Botschaftsvorgängen. Das Festsetzen der Ausreisewilligen werde die allgemeine Situation zwischen beiden Staaten unvermeidbar verschlechtern und auch auf die Chancen solcher Deutschen in der DDR negativ einwirken, die Ausreiseanträge gestellt haben. Den „Landsleuten“ in der Vertretung müsse klargemacht werden, daß dieser Weg falsch sei. Daneben betonte er, die DDR könne nicht dazu genötigt werden, diesen Menschen außer Straffreiheit auch eine Ausreisezusicherung binnen einiger Tage zu geben. In der DDR-Bevölkerung stößt die Haltung der Botschaftsbesetzer auf immer weniger Verständnis.
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft 13. August dürfen DDR -Grenzer seit Anfang April nicht mehr auf Flüchtlinge schießen, es sei denn bei Notwehr, Fahnenflucht oder wenn Flüchtende mit schwerem Gerät die Grenze angriffen.
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