: Manche gehen heute noch am Woodstock
■ Erinnerungen an die Realität eines zwanzig Jahre alten Mythos
An einem Augustwochenende vor zwanzig Jahren schufen sie „Woodstock“: 32 Popgruppen, 400.000 Fans und ein paar Kameraleute. Doch das Festival war ganz anders, als es der Film erzählt: Nicht die heitere Welt, das alternative Pfadfinderlager voller Love and Peace hat einer, der damals hinter der Bühne stand, erlebt, sondern das desaströse Mißmanagement und die Angst, von einer frustrierten Masse, die drei Tage im Schlamm verbrachte, überrannt zu werden.
Wohl mir: Ich war dabei. Einer von allzuvielen, und alle paar Jahre wieder erinnert sich das ZDF meiner, nur deswegen. Wäre ich drüben geblieben, hätte ich mehr zu tun: Warner Brothers möchte das Ereignis neu vermarkten und sucht via TV seit Monaten mit alten Fahndungsfotos Veteranen von damals für Veteranengeschichten. Es muß etwas ganz Einmaliges gewesen sein, diese halbe Woche Streß und Chaos vor 20 Jahren, und wenn ich mir den Film ansehe, habe ich das Gefühl, ich hätte das alles versäumt.
Den Sommer hatte ich an der Westcoast verbracht, willkommen als Popfigur mit Rundfunkkontakten in der BRD, denn damals wurde noch jede PR geschätzt. Die Bänder waren geliefert und bevorschußt, und satte drei Wochen blieben mir noch. Da boten mir die Jefferson-Leute an, mit ihnen quer durch die Staaten zu tingeln: Ein Gig in Oregon, einer in Wisconsin, einer in Chicago, einer bei einem Freiluftkonzert im Staat New York, dann noch Boston und als Höhepunkt New York City. So konnte ich etwas von den USA kennenlernen.
Nahezu alle Westcoast-Gruppen waren damals ähnlich unterwegs. Der Monterey-Film war zwei- oder dreimal durch die Kanäle geflimmert, man fing an, wer zu werden, und nun hieß es: „Let's take the Eastcoast.“ Da paßte Bethel im Staat New York trotz mieser Honorare ganz gut, denn auch das sollte gefilmt werden. Mit diesem Argument hatten ein paar chaotische Typen San Francisco abgeklappert, ein Jahr nach dem Summer of Love, als dort fast nichts lief, und das machte sie erfolgreich. Außerdem hatten sie in Woodstock, wo sie wohnten, schon ein paar kleinere Festivals organisiert. Diesmal wollten sie höher hinaus und hatten in Bethel beim Farmer Max Yasgur ein abgeerntetes Maisfeld ausfindig gemacht, sanft hügelig, ein Bächlein auf der anderen Seite. Aber Woodstock sollte die Sache heißen, obwohl man sie dort seit dem letzten Fest nicht mehr sehr mochte. Und natürlich würde auch Werbung gemacht.
Nur die Werbung funktionierte
Die schien das einzige, was funktioniert hatte. Als wir am Donnerstag morgen, dem 14.August, in die Gegend kamen, herrschte bereits zähflüssiger Verkehr. Am Abend kamen noch ein paar Gruppen mit ihren Trucks durch, doch dann war die Gegend dicht. Die Grateful Dead gaben am Freitag mittag vierzig Meilen vor der Fete auf, schickten aber wenigstens zwei Mediziner los, die sie vorsorglich mitgebracht hatten. Die Veranstalter waren wimmernde Häufchen Elend. Mit höchstens 80.000 Leuten hatten sie gerechnet; fast 400.000 waren gekommen, aber nur ein Drittel der angekündigten Gruppen.
Das konnte böse werden, und dies sah auch die Polizei ein. Mit ihrem einzigen Hubschrauber flog sie die diversen Staus an, landete neben verdächtigen Trucks, griff sich die Gruppen und flog sie ein, ohne Equipment natürlich. Immerhin kam so ein Teil des Programms zusammen. Nur die Juwelen fehlten.
Poetische Beobachter sahen Heerscharen von Schutzengeln über Bethel flattern. Vermutlich wollten sie sich so aufwärmen, denn der Freitag begann mit einem unvorhergesehenen Kälteeinbruch, der nicht nur die Kalifornier schlottern ließ. Damit hatte niemand gerechnet auch nicht mit den irdischen Heerscharen, die nun das Maisfeld bis zum Horizont füllten. An Infrastruktur erwartete sie: ein halbes Dutzend Popcorn-Buden, acht Getränkestände und ganze zwei Klowagen. Für Askese war also gesorgt. Hinter der Bühnenabsperrung wurden in Windeseile ein Sanitäterzelt und ein Kindergarten improvisiert. Da gab's zu tun und vorne versuchten die vereinten Roadies, aus dem Vorhandenen eine Anlage zu basteln. Bei gutem Willen reichte ihr Sound an die 300 Meter, und das bewirkte wohl die meist engelhafte Stille im Publikum.
Irgendwann am Nachmittag und mit einer saftigen Verspätung begann das Konzert. Hinter der Bühne bekam man davon nicht viel mit. Es wurde immer noch gebastelt und gefummelt, die ersten Ausgeflippten wurden zur Behandlung angeschleppt, und ein paar Junkies aus New jersey, die ohne Vorräte aufgebrochen waren, kamen mit ihren Affen nicht zu Rande.
Am frühen Abend gab's dann Krach: Die Veranstalter waren verschwunden, samt Kasse, und die Roadies jaulten wegen ihrer Kohle. Da zeigte sich Country Joe als alter Profi und gab den Rat, sich an die Filmleute zu halten. So geschah's denn auch. Da half nichts: Jede fertig belichtete Rolle wurde den verzweifelten Kameraleuten abgenommen. County Joes klimatisierter Bus diente als Zwischenlager, von den Roadies grimmig bewacht, und Joe selbst pennte fortan bei „It's a beautiful day“. Die hatten eine regelrechte Wagenburg mitgebracht, in die auch Hendrix und Cocker samt Gruppen unterschlüpften.
Ten Years After:
Vor Lampenfieber gekotzt und geschissen
Wenn ich mich recht erinnere, wurde die Gegend erst am Samstag zum Notstandsgebiet erklärt, und wir lachten herzlich. Zwei Ärztinnen kümmerten sich gerade hinter einem improvisierten Paravent um eine New Yorkerin, die sich um zwei Wochen verrechnet hatte, doch von Geburtshilfe verstand keine genügend. Es ging alles gut. Den spannendsten Auftritt hatte Joe Cocker, der sich unmittelbar davor in einem Spasmus-Anfall gekringelt hatte. Vollgepumpt mit Medikamenten torkelte er auf die Bühne und schaffte es. Am Abend war eine nagelneue Gruppe dran, kotzte und schiß vor lauter Lampenfieber den Eingang zum Sanizelt voll und bettelte um Valium. So begann die Karriere von Ten Years After.
Die New Yorker Yippies unter Tom Forcade sorgten auf der Bühne für Ordnung, und mit den Who gab's eine Prügelei. Townshend behauptete, weil er sich despektierlich über Love and Peace geäußert habe; Forcade, weil die Who einige Mikros einpacken wollten, die nicht ihnen gehörten. Wahrscheinlich hat einer von Townshends notorischen Antisemitismen die Yippies explodieren lassen, und auch um ein verschwundenes Pfund Gras ging's in dem stundenlangen Geplärre hinter der Bühne. Das wird wohl der Kriegsgrund gewesen sein.
Die Yippies hatten mit etlichen Kilo Homegrown als einzige angemessen vorgesorgt. Was aus Kalifornien mitgekommen war, verrauchte spätestens am Samstag morgen, und selbst die Gruppen, die sonst ganz gut von ihren Gärten lebten, waren diesmal auf ihre Honorare angewiesen. Nein, Drogen spielten in jenen wüsten Tagen kaum eine Rolle - es gab zuwenig. Hank Anderson wollte mit dem Motorrad schnell noch aus New York Nachschub holen, wurde aber in New Jersey gebusted. Schnell wurde für seine Kaution gesammelt, und nach einer Stunde waren mehr als 15.000 Dollars beisammen. Für seinen Auftritt reichte das nicht mehr, denn er kam erst am Dienstag frei. Nur Trips gab es ausreichend, und da sich an ihnen auch viele Neulinge versuchten, ging am Samstag abend bei den Sanis das Valium zur Neige.
Auf Plastikplanen
im Schlamm
Da war bereits jede Wolke ein Regen - und es kamen viele Wolken. Das gewesene Maisfeld war ein rutschiger Sumpf, und schwankende Lehmfiguren kamen und fragten nach Heftpflaster. Gott sei Dank geschah nichts Schlimmeres: Rettungsfahrzeuge kamen ohnedies nicht durch, und der Polizeihubschrauber zog nur noch dreimal täglich eine Runde über die Stätte. Wir schmorten im eigenen Schlamm. Wer sich auf die Bühne wagte, zeigte Todesmut, denn an Isoliermaterial hatte es gemangelt, und wir warteten im Zelt auf die ersten flambierten Rockstars.
Doch, es gab viele rührende Szenen. Immer wieder kamen biedere Bürger mit selbstgebackenen Broten in die Hungersnot, waren selbstverständlich eine Ansage wert und wurden frenetisch bejubelt. Überhaupt waren die Ansagen zauberhaft. Sie versuchten hygienische Notwendigkeiten als fernöstliche Weisheiten zu verkaufen, beispielsweise die, nicht auch noch das Ufer des armen Bächleins vollzuscheißen. Daß sie wirkten, war das Wunder von Woodstock. Und schließlich wurde noch Max Yasgur, der seinen Acker gegen Vorauskasse abgegeben hatte und also auch grinsen konnte, ausgiebig gefeiert. Am Sonntag, kurz vor dem schlimmsten Wolkenbruch, sah ich mir das Fest einmal an und umkreiste das Feld. Die Musik war nun sehr leise zu hören, und überall saßen kleine Grüppchen auf Plastikplanen im Schlamm, schlotterten und lächelten kitschig. Ja, es war ein Traum.
Dann goß es, aber das machte schon nichts mehr aus. Plötzlich brachen die dreckverschmierten Roadies in Freudentänze aus: Michael Warleigh war mit der Kohle gekommen, weiß der Teufel, wo er sie aufgetrieben hatte. Feierlich wurden ihm seine Filmrollen überreicht, und ab nun herrschte eitel Freude, weil die Schlammschlacht gewonnen war. Auf einmal tauchte sogar etwas Wein auf, und das letzte Gras wurde voller Euphorie verpafft. Etwas unvorsichtig, denn Bethel ließ uns nicht so schnell los: Die Trucks standen bis zu den Achsen im Schlamm, und erst am Dienstag konnten die ersten durch viele Farmertraktoren auf Bretter gezerrt werden.
Der Film: Eine wunderbare Fälschung
Die heiße Dusche am Mittwoch, in einem Freakhaus entlang des Wegs, blieb mir unvergeßlich. Da hörten wir auch das erste Mal, daß wir bei etwas Einmaligem dabeigewesen sein sollten. Nun, so hatten wir diese Tage auch empfunden, aber doch etwas anders: als ein desaströses Mismanagement, eine Katastrophe, an der wir nur ganz knapp vorbeigeschliddert waren, als ein großes Nie wieder!. So stand's auch in den ersten Zeitungsmeldungen, und erst, als Warleigh seine Filme zusammengeschneidert hatte, wurde Woodstock daraus.
Der Film ist eine wunderbare Fälschung, eine mitreißende Lüge. Auf die Bühne konzentriert, mit ein paar Nettigkeiten vom Rande aufgelockert, zeigt er eine in toto heitere Welt, ein alternatives Pfadfinderlager voller Love and Peace und mit ein paar idyllischen Regengüssen. In vier Monaten schon hatte dieses Woodstock fünf Millionen Dollar eingespielt ganz gut, wenn man bedenkt, daß die Gruppen nicht einmal 250.000 gekostet hatten. Um die Plattenrechte gab es noch ein Jahr Gezänk und Gezerre, und dann überzog der einträgliche Mythos die Welt. Seine getürmten Organisatoren äußerten sich dankenswerterweise nie mehr dazu.
Das Publikum: Wohlerzogene Scouts
Sicher ist das „Wunder Woodstock“ seinem Publikum zu danken. die da kamen und aushielten, waren fast ausschließlich WASPs, saubere White Anglo-Saxon Protestants, aus sauberen Vororten, die ja dafür bekannt sind, daß sie das Geschirr abwaschen, wenn sie irgendwo eingeladen sind. Gut, ihre Haare waren etwas länger und ihre Jeans etwas zerrupfter, als es Mom and Dad gerne sahen. Gegen Vietnam waren sie wegen der Einberufungsgefahr auch - nur County Joe und Hendrix gingen auf diesen Zeitgeist ein -, und ein Joint machte den Tag zum Froint. Sie gehörten zur schweigenden, wenn auch bongotrommelnden Mehrheit der Jugend von damals, ließen sich natürlich von Abbie Hoffman als neue Menschen charmieren, waren aber der angekündigten 45 Gruppen wegen gekommen, fanden sich ohne Radau damit ab, daß nur 32 spielten, und ertrugen Hunger, Durst und das Chaos als wohlerzogene Scouts. Wer aus diesem einmaligen Auftrieb politische Hoffnungen keltern wollte, sah sich bald belehrt. Für die Vermarktung aber war dieses Publikum ideal: Mit dem konnte sich die kaufkräftigere Schicht nicht nur in den USA identifizieren, und sicher wurden aus den meisten Woodstock -Tramps biedere Yuppies.
Soll man sie dafür schelten? Ach nein, das „Peace“ war außerden ein besserer Gruß als das „Moin Moin“ eineinhalb Dekaden später, und alles „super“ zu finden gehört mittlerweise zum Comment.
Die Gruppen paßten zu dieser Sauberkeit. Für ihr Publikum allerdings spielten sie nicht, sondern nur gegen eine unvorhergesehene Masse, von der sie befürchteten, die würde sie lynchen, würden sie an diesem letzten Ort der Welt nicht auch ihr Letztes geben. Hinter der Bühne herrschte drei Tage lang die Angst: Was wird aus uns, wenn frustrierte Massen gegen dieses alberne Hauptquartier marschieren. Wie können wir denen klarmachen, daß wir im selben Dreck stecken wie sie? Dagegen wurde mit allen weißen Tugenden angespielt, und ich weiß nicht mehr, wie oft Joan Baez und Country Joe auftraten, um das gefährliche Loch zwischen neun Uhr morgens und dem vorgesehenen Konzertbeginn um eins zu füllen.
„Gottseidank ohne
die Getto-Kids“
Von so viel Heldentum demoralisiert fanden sich noch ein paar andere Gruppen für unvorhergesehene Auftritte, und hinter der Bühne wurde aufgeatmet: „The angels are doing their job.“ White Angels, die der Hölle, taten ihren ein paar Monate später, und da durfte sich die Welt aufregen. Sinnigerweise war es ja ein Schwarzer, der in Altamont umgebracht wurde.
Woodstock in Bethel war ein blütenweißes Ereignis. Ein paar Vorzeigeschwarze sorgten in der rosigen Show für zusätzliche Farbe, und man grinste mitleidig über die Black Panthers, die von weißem Blues-Kolonialismus sprachen. Man konnte es eben genausogut wie die Schwarzen, und Rock war nun einmal eine weiße Domäne. „Gottseidank sind keine Getto-Kids angereist“, sagten allerdings auch wir im Sanizelt, wo es bei allem Streß doch ziemlich smooth lief, und: „Stellt euch das lieber nicht in der Nähe einer Großstadt vor.“ Da wären die Schwarzen mit Sicherheit gekommen, God's sake! Wie hätte man die denn bändigen können? Woodstock war der weiße Riese.
Für die Gruppen hat sich's schnell ausgezahlt, da durchgehalten zu haben. Schnell surften sie auf den Wogen des Mythos, und manche gehen heute noch am Woodstock. Vor allem aber waren nun die Monstershows durchgesetzt, und manche wurden - von Altamont über Fehmarn - viel schlimmere Debakel. In Bethel hatte eben nicht nur Warleigh Glück gehabt. Alles war trotzdem gut gegangen. Das war das Wunder, unglaublich, super, spitze.
Es blieben der Markt... und viele Legenden
So blieb von Woodstock letztlich ein Markt. Manchmal (siehe das Aid-Spektakel für Afrika) dient er sogar edleren Zwecken, doch meist trotz aller Politisierungsversuche nur sich selbst. Dafür wurde in Bethel Pionierarbeit geleistet, und wer auf Yasgurs Maisfeld mehr sprießen sehen will, erliegt Legenden. Die sind, wir wissen es, zählebig, basieren sie doch auf unserem ältesten Aberglauben, nämlich dem, daß wir lebenslänglich jugendlich seien und stets so jung, wie wir uns fühlen. Der machte, für meine Generation und einiges danach, das verfilmte Spektakel unsterblich, auch wenn keiner, der dabei gewesen ist, es ernsthaft wieder durchstehen möchte. Damals, ja damals konnte man's, und seither liegen wir allen in den Ohren, von Großveranstaltungen größeres zu erwarten. Und maulen darüber, daß die wagnerianischen Pink Floyd mit ihrer Superbühne und ihrem Supersound, verglichen mit Woodstock, nur ein zu großes Video auf einem zu kleinen Bildschirm waren. Woodstock wurde in Zelluloid und Vinyl ein Breitwandfilm einer vertrödelten - unserer - Zeit. Es war die Zeit der Hoffnung und die ist in voller Naivität jedem Leben nur einmal gegeben. Wer sie festhalten will, verblödet.
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