: ANDERE ZEITEN, ANDERE SITTEN
■ Sham 69 im Blockshock
Wie lange gibt es Sham 69 schon? Wie alt ist Punk? Die Antworten auf diese Fragen sind identisch. Sham 69 waren früher immer auch eine Skin-Band, aber erstens kann sich eine Band ihre Fans nicht aussuchen, zweitens hat das Skinheadtum in England durchaus eine linke Tradition, und drittens ändern sich die Zeiten. So waren meine Sorgen unbegründet. Die Glatzen tummeln sich am Freitag nur vereinzelt, ansonsten fühlt man sich um mindestens zehn Jahre zurückversetzt in eine Zeit aus bunten Haaren, Nieten, Bierbüchsen, Sicherheitsnadeln und Zahnspangen.
Das letzte Konzert von Sham 69 in Berlin endete nach knapp einer Viertelstunde mit einer Schlägerei zwischen Band und Publikum und anschließender Dematerialisierung des Bühnenequipments. Diesmal liegt eine komische ruhige Erwartungshaltung über dem Publikum, ärmellose T-Shirts kleben auf verschwitzter Haut, und die Zuhörer lauschen gespannt Jimmy Pursey, dem Sänger und einzigen, der noch von der Urbesetzung übriggeblieben ist.
Vor einigen Jahren konnte man in „D.O.A.“, dem Punkdokumentarfilm, Jimmy Pursey mehr als ein Jahrzehnt jünger begutachten. Damals sah er zwar wie ein Schuljunge aus, sang vom Ausbruch aus Jugendheimen, aber den überzeugten, manisch-gehetzten Blick hatte er schon damals oder hat ihn immer noch. Heute redet er von der Notwendigkeit, sich zu ändern, sich weiterzuentwickeln. Vielleicht fühlt er das historische Versäumnis, nicht rechtzeitig gestorben zu sein wie andere. „Spielen wir für Hippies?“ fragt er und zitiert Dylan „The times they are a -changing“. Alles klingt konfus, aber das tut nichts zur Sache, denn das kleine Häuflein Skins, versammelt vor der Bühne, kapiert anscheinend nichts, und das ist gut so, denn sonst würden sie wahrscheinlich nicht so friedlich bleiben.
Die musikalischen Veränderungen beschränken sich darauf, die normale Punk-Rumpfbesetzung Gitarre, Bass und Schlagzeug aufgeblasen zu haben, ein Keyboard dudeln und ein Saxophon tröten zu lassen - ein Versuch, poppigen white-eyed Soul mit heftigen Punkeinflüssen zu machen. Anfang der 80er gab es solche Bands im Dutzend und besser und bei weitem nicht so flau. Aber zu Sham 69 geht man auch nicht, weil man das neue große Ding oder gar irgendwelche Avantgardismen erwartet. Ein Sham 69-Konzert lebt von der Erinnerung an die Vergangenheit und von Jimmy Pursey und seinen propagandistischen Anfällen als Punkpriester.
Er nennt die Namen der Songs, erzählt ihre Geschichte und starrt ansonsten kontrollierend ins Publikum, als wolle er ein paar der Leute ausmachen, die ihn letztes Jahr von der Bühne prügelten. Aber diesmal erhebt sich kein Unmut bei den neuen Stücken, die Stimmung bleibt zwar reserviert, und auch wenn die Mühlen in manchen Gegenden langsam mahlen, noch langsamer als Jimmy Pursey und Sham 69 selbst, scheinen sich die Zeiten doch zu ändern. Aber ein alter Song genügt, um einen kleinen verschämten Pogo zu beginnen. Fäuste recken sich, Glatzen hüpfen auf und nieder, immer wieder, wie eh und jeh, aber anstatt ins Publikum zu springen, wie es Sitte war früher, steht Jimmy nur am Bühnenrand, blickt ungläubig auf diesen Ausbruch guter, alter Zeiten, den er selbst heraufbeschworen hat. Bei „If the kids are united“ stehen dann natürlich endgültig alle Kopf, grölen den Refrain mit, und er verläßt die Bühne. Als er dann doch zurückkommt, legt er sich mit dem Publikum an, behauptet, jemand hätte ihm geschlagen, streitet sich mit einem der Skins und zeigt ihm den Ausgang. Die Prügelei liegt in der Luft, aber wider Erwarten beruhigt sich alles. Jimmy hat jetzt zwar schlechte Laune, und das Blockshock leert sich auffallend schnell, aber ein paar Zugaben gibt es noch. The times they are a -changing. Vielleicht hat Jimmy Pursey doch recht.
Thomas Winkler
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