: Vital und lebendig
■ Ein Streitgespräch zwischen Justus Frantz, Pianist und Intendant des „Schleswig-Holstein Musik-Festivals“ und Frieder Reininghaus
Justus Frantz ist wieder in den Schlagzeilen. In diesem Sommer aber rühmt die Presse weder sein Klavierspiel noch sein Organisationstalent beim Schleswig-Holstein Musik -Festival (SHMF). Es meldet sich Kritik aus verschiedenen Ecken. Das Fernsehmagazin 'Panorama‘ befaßte sich Ende Juli mit der Wirtschaftsführung des Festivalintendanten und hielt ihm vor, „er habe 120.000 Mark an Personal- und Sachmitteln für anderweitige Aktivitäten genutzt“ - Aktivitäten zum höheren Ruhm des Justus Frantz. Ferner habe er ein Defizit von insgesamt knapp 400.000 Mark durch unsachgemäßes Management („spontane Zusatzkonzerte“) und „persönliche Versäumnisse“ zu verantworten. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm, Vorsitzender des Festspiel -Kuratoriums, erklärte dazu, daß alle gerne wissen würden, „wo und wie im Detail das Geld verwendet wird“ und daß es aufgrund „der nicht ganz professionellen Struktur“ des Festivals „die eine oder andere kritische Frage“ gäbe. Frantz verwahrte sich gegen die Kritik und kündigte die Überprüfung seines Verhältnisses zum NDR an (der zu seinem Aufstieg eine Menge beigetragen hat, mit der 'Panorama' -Sendung nun aber zur Speerspitze der Kritik wurde). Immerhin ging es auch um die Frantzsche Ämterhäufung, seinen Beratervertrag beim Bayerischen Rundfunk und den Vorwurf, der Festspielintendant habe sich über Gebühr selbst als Solist auf sein Programm gesetzt und honorieren lassen.
Schon am 2.Juli hatte sich eine Diskussionsrunde im Musik -Club des Hessischen Rundfunks, der aus dem alljährlichen Festspielsommer der Radioprogramme ausgestiegen ist, kritisch mit der Musik-Festivalitis befaßt und in diesem Zusammenhang mit dem flächendeckenden Programm im Norden. Der Präsident des Deutschen Musikrates und Direktor der Musikhochschule Köln, Franz Müller-Heuser, ließ der 'Panorama'-Sendung inhaltlich kritische Töne folgen und rügte im 'Spiegel‘ nicht nur die Inflation der Festivals mehr als hundert sind es inzwischen in Mitteleuropa, davon 28 Neugründungen in den letzten zwei Jahren, dazu 20 „Meisterkurse“ und 306 Wettbewerbe. Insbesondere attackierte Müller-Heuser auch Justus Frantz: Er solle nicht „die Sahne abschöpfen und dann als seine eigene verkaufen“. Die Musikkultur werde das ganze Jahr über gepflegt, „da brauchen wir nicht plötzlich unbedingt einen Monat mit besonders viel Gags, Rummel und Umtrieben - und, vor allem, besonders viel finanziellem Aufwand.“ Festival der Superlative
Das vierte Schleswig-Holstein Musik-Festival präsentiert in diesem Jahr vom 25.Juni bis zum 20.August rund 180 Konzerte - Leonard Bernstein und Yehudi Menuhin, Giuseppe Sinopoli und Anne-Sophie Mutter, geballte Musiker-Prominenz und aufstrebende Künstler. Noch vor Beginn des Mammutunternehmens erhielt Justus Frantz im 'Südwestfunk‘ ausführlich Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Erläuterung seiner Festspielidee. Auf seinen Wunsch hin wurde das Gespräch am 8.Juni im Hotel Ramada in Leverkusen aufgezeichnet, am 23.6. im zweiten Hörfunkprogramm gesendet.
Frantz rühmte aufs neue das vom SHMF praktizierte Modell der Förderung junger Instrumentalmusiker, die Schulung des Dirigenten-Nachwuchses und das Engagement für (noch) unterschätzte Künstler: „Wir bringen viele Unbekannte, mehr als bei jedem anderen Festival dieser Größenordnung. - Ich versuche eine Mischung zu machen aus den großen Weltstars und denen, von denen ich denke, daß sie begabt sind und mehr Aufmerksamkeit verdient haben - die Neuen, Unbekannten, noch nicht Entdeckten. Die Großen kommen zu uns zu Sonderkonditionen, sonst würde ich keine Möglichkeit mehr haben, sie einzuladen.“ Das ist gewiß ein sibyllinischer Satz, denn er kann bedeuten, daß der Intendant mit seinem 13 -Millionen-Etat die Stars nur zu Supersparpreisen einkaufen kann, oder aber, daß die Großen der Musikwelt nur mit Höchstgagen aufs flache Land in Deutschlands Norden gelockt werden können.
Hartnäckig dementiert der Intendant, daß er auch überhöhte Preise bezahle: „Nein, nie! Aber in Deutschland ist die ehrlichste Form der Anerkennung der Neid. Nie wird das Kirow -Theater mehr zu so vernünftigen Bedingungen nach Deutschland geholt werden (wie zu seinem Hamburger Gastspiel), und Leonard Bernstein kommt praktisch umsonst für einen sehr großen Zeitraum.“ Auf die Vorhaltungen der 'Panormama'-Sendung, daß eben doch zu viel gezahlt werde, reagierte Frantz mit der Erklärung, es sei ein Skandal, daß die Höhe von Künstlerhonoraren veröffentlicht wurden. Damit seien „geschützte Daten an die Öffentlichkeit gelangt und Persönlichkeitsrechte der Künstler verletzt worden“. Dies Beispiel als Kostprobe der Frantzschen Rabulistik: Warum sollte, wo die Höhe der Gehälter im öffentlichen Dienst und sogar der Honorarrahmen für die Zulieferer der öffentlich -rechtlichen Medien allgemein bekannt sind, die Frage nach dem Künstler-Salär aus öffentlichen Mitteln bereits ein Skandal sein?
Auch hinsichtlich des Konzepts und der Perspektiven seines Festivals verstrickte sich der Intendant in der am 23.6. ausgestrahlten SWF-Sendung in erhebliche Widersprüche. „Na, wir machen es so, wie es die Leute dort in Schleswig -Holstein wollen“, erklärte er abschließend. „Wenn plötzlich die Akzeptanz viel kleiner wäre und wir tatsächlich nur 20.000 Menschen erreichten, dann würden wir sofort zurückschrauben. Wir machen es so, wie es die Leute wollen, und nicht so, wie wir es uns am grünen Tisch vorstellen.“ Zuvor hatte er freilich ganz andere Töne angeschlagen und in Aussicht gestellt, „jüngeres Operntheater im Kontext des SHMF zu installieren - mit preisgünstigen, jungen Künstlern“, etwa das, was in Bielefeld gemacht werde. „Ich könnte mir vorstellen, daß man einen Weg findet, auch mehr Laien an diesem Festival zu beteiligen, z.B. durch Kurse, denn das beste Schallplattenhören ersetzt nicht das eigenhändige Musizieren. Es wäre schön, wenn wir hier noch ein paar Anregungen geben könnten“ - und verwies dann auf die Aufführungen mit Massenchören unter der Leitung von Seiji Ozawa und Erich Leinsdorf in Tokio und Seoul. „Die Leute haben ein Erlebnis für ihr Leben, und das sollte man gar nicht unterschätzen.“ Zugleich aber hält Justus Frantz fest: „Ich setze gewisse Kategorien als Intendant - und will mich auch aus der Bevormundung des Publikums zurückziehen.“
Befragt zur nicht ganz sicheren Verlängerung seines Intendanten-Vertrags über 1992 hinaus, erklärte Justus Frantz: „Ich will hier in Schleswig-Holstein keine Trümmerwüste zurücklassen - ich fühle mich der Sache gegenüber verantwortlich. Das Festival ist nun eben auch ein Kind von mir - und sich abzunabeln ist immer schwierig. Wenn Sie das Festivalangebot in diesem Jahr anschauen, werden Sie keinen grundlegenden Unterschied zu den vergangenen Jahren sehen. - Ich bin mit Engholm - ja, es tut mir leid - fast befreundet, und ich sehe keinen Anlaß, daß zwischen uns plötzlich Dissens aufgebaut werden soll.“ Typisch journalistisch
Justus Frantz ist auch journalistisch tätig. Für 'Bild am Sonntag‘ verfaßte er nicht nur unlängst einen Nachruf auf Karajan, sondern auch schon für die Ausgabe vom 18.10.87 einen offenen Brief an die Kinder des soeben verstorbenen Freundes Dr. Dr. Uwe Barschel: „Seid stolz auf Euren Vater!“ Ganz offensichtlich aber hadert Frantz neuerdings mit den kritischeren Kollegen in seinem Nebenberuf. Der 'Panorama' -Redaktion, die mit der Schlagzeile „Frantz soll halbe Million an Schleswig-Holstein-Festival zurückzahlen“ auf die Sendung aufmerksam gemacht hatte, bescheinigte er, das sei ein „Musterbeispiel für manipulativen, verfälschenden Journalismus“. Da sei ihm unbenommen - er ist Partei im Streit und hat keine Lust zu zahlen.
Bereits in der SWF-Sendung wurde der Intendant mit kritischen Stimmen konfrontiert, die eine Verdrängung des vorhandenen Konzertlebens durch das SHMF und den Rückgang der Besucherzahlen bei örtlichen Konzerten beklagten. Selbst der Landesmusikrat in Schleswig-Holstein habe darauf verwiesen, daß es außerhalb des Festivals eine gewisse „Konzertmüdigkeit“ gibt und die Kulturszene des Landes bei den Festspielen unterrepräsentiert sei. Ähnliches war aus Niedersachsen zu vernehmen. Ob ihm das zu denken gibt? „Nein, überhaupt nicht. Weil die Zitate verstellt und typisch journalistisch - auf einen vielleicht negativen Nebensatz reduziert sind. Ich habe zu meinem Geburtstag am 18.Mai einen Preis von den örtlichen Konzertveranstaltern in Schleswig-Holstein erhalten - es sind alle Veranstalter gewesen. Darüber bin ich sehr froh.
„Herr Intendant, Sie sitzen hier wie eine lebende Litfaßsäule“, hielt ich ihm entgegen. Er: „Und Sie sehen aus wie der typische verhärmte Musikkritiker, der denkt: Was waren das noch für Zeiten, als ich allein mit meiner Frau in Konzerten war, die ich selber zwar nicht verstanden habe, über die wir aber gelehrte Dinge schreiben konnten! Genau diesen Kulturbegriff liebe ich nicht! Und ich gehe mit meiner ganzen Person dagegen!“ Der strittige Kulturbegriff
Damit die Klage, es und er werde fortdauernd verkürzt, verstellt und verfälschend zitiert, keine neue Nahrung finden kann, sollen im folgenden zusammenhängende Abschnitte der SWF-Diskussion wiedergegeben werden, die sich nach dem Willen von Justus Frantz zum Streitgespräch entwickelte (nur unwesentlich gekürzt und redigiert, wie das bei gedruckten Reden sinnvoll und üblich ist):
Frieder Reininghaus: Das sind alles imposante Zahlen, die Sie im Zusammenhang mit dem SHMF aufführen können, und gewiß gibt es eine Reihe bemerkenswerter künstlerischer Ereignisse. Dennoch bleibt ein leises Unbehagen in dieser Art der „Kultur“. Es beginnt mit der Frage, ob es gut ist, daß die Menschen nicht mehr zur Kultur kommen müssen, also bestimmte Schritte zu ihr hin bewußt tun müssen, sondern daß der Betrieb zu ihnen kommt. - „Kultur“ dringt aus allen Poren, aus allen Wellen, allen Kanälen. Inzwischen sogar aus den Scheunen.
Justus Frantz: Entschuldigen Sie, dieses Statement ist so falsch, daß ich Sie unterbrechen muß. Wenn ich das Radio wegen der Nachrichten oder des Verkehrsfunks anstelle, dann höre ich überhaupt nichts Künstlerisches, sondern kommerziell gemachte Musik, die sich auf zwei Rhythmen und zwei Harmonien bezieht - das nennt man, glaube ich, Pop oder Diskomusik. Das gibt's rund um die Uhr. Ich höre eben leider keine Kultur. Das ist das Problem: Wann erleben wir um acht Uhr abends einmal eine vernünftige Sendung?! Seifenopern sind es, die wir abends im Fernsehen bekommen! Tun Sie nicht so, als ob wir hier in Deutschland nur noch klassische Musik aus den Kanälen hörten! Und schauen Sie sich die Einschaltquoten an - das sind vier Prozent der Hörer. Alle anderen hören seichte Ware. Deshalb sollten wir uns überlegen, wie wir das verändern könnten und mehr Menschen an unserer Kultur beteiligen könnten, ohne in elitärer Arroganz zu verharren.
R.: Ihre Bemerkungen, Herr Intendant, berühren unmittelbar die Differenzen hinsichtlich des Kulturbegriffs. Beim SHMF ist der wohl sehr historisch. Sie unterschätzen einerseits die nach Zehn- und Hunderttausenden zu zählenden Hörer(innen) der Programme mit „klassischer“ Musik; andererseits scheinen Sie die Extra-dry-Programme schlecht zu kennen, die keineswegs nur mit zwei Harmonien oder zwei Rhythmen auskommen. Die zeichnen sich nicht nur durch hohe Einschaltquoten aus, sondern auch dadurch, daß sie ganz offensichtlich für einen großen Teil der Bevölkerung die „aktuelle Musikkultur“ repräsentieren, das Lebensgefühl befördern. Von Ihrem Festival läßt sich das kaum sagen dort herrscht eine rückwärtsgewandte Kulturauffassung.
F.: Das finde ich überhaupt nicht! Aber da müssen wir nun wirklich über den Kulturbegriff streiten! Wenn sich denn das Lebensgefühl in Comic strips ausdrückt, ist dann das Lebensziel, diesen Comic-strip-Kulturbegriff aufzunehmen? Oder ist es nicht gerade ganz im Gegenteil notwendig, differenzierte Möglichkeiten der Ausdrucksformen den Menschen nahezubringen? Das halte ich für meine Aufgabe (...).
Sie haben vorhin gesagt, Sie seien ein Freund des Stadttheaters. Das bin ich auch! Ich kann zwischen diesem und dem SHMF keinen Widerspruch entdecken.
R.: Die kontinuierliche Kulturarbeit kann durch die Festivals ausgetrocknet werden.
F.: Nein, überhaupt nicht. Sie sprechen wie der Blinde von der Farbe! Ich will Ihnen das beweisen: In Salzburg gibt es vier, vielleicht bald fünf Festivals. Wenn ich das hochrechne, würde das bedeuten: Das Mozarteum-Orchester hätte sich längst aufgelöst, und zwischen den Festivals würden überhaupt keine Konzerte mehr stattfinden. Ganz im Gegenteil! Salzburg ist eine Stadt von 120.000 Einwohnern, so groß wie Pforzheim. Und vergleichen Sie jetzt einmal die künstlerischen Aktivitäten in diesen beiden Städten!
R.: Sie schreiben sich etwas gut, was Sie in dieser Form sich und Unternehmungen, die Sie repräsentieren, nicht zurechnen können.
F.: Welche meinen Sie?
R.: Die Entwicklung hin zur Kultur- und Freizeitgesellschaft. Die hat tiefere Ursachen. Sie neigen im Augenblick dazu, Ursache und Wirkung zu verwechseln. Sie erscheinen viel eher als Vollzugshelfer einer ohnehin stattfindenden geschichtlichen Tendenz denn als Agent des Fortschritts. (...) Wenn ich etwas ausholen darf: Die ursprüngliche Idee der Festspiele im Abendland stammt aus dem alten Griechenland; da gab es religiös motivierte Zusammenkünfte, kombiniert mit dem mehr oder weniger edlen Wettstreit der Städte und Regionen auch auf künstlerischem Gebiet - aber fundiert im Kultus! In der Neuzeit ist die Festspielidee wieder aufgenommen worden vom aufstrebendem Bürgertum.
F.: Von Wagner!
R.: Nein, wesentlich früher. In England, dann hier am Rhein ab 1817. Gerade diese Niederrheinischen Musikfeste waren wohl zunächst mit der demokratischen Bewegung und mit dem Engagement für die nationale Einheit Deutschlands verbunden. Mendelssohn sprach von „Festen der Demokratie und der Musik“. Diese Unternehmungen hatten also durchaus kulturpolitische Schlüsselfunktion. An die Stelle der Fundierung auf das Kultische trat die Fundierung auf Politik. Wagner hat die Festspielidee aufgegriffen für seine separaten Interessen. Das setzte sich in den zwanziger Jahren fort, in denen es einen Aufschwung der Festspielidee gab. Werke, die im Stadttheater nicht durchsetzbar erschienen (wie Händels Opern oder vor allem Neue Musik), erhielten ihren separaten Ort. Von solch einem Konzept ist kaum mehr eines der Festivals in den letzten 20 Jahren getragen - und wir haben ja einen regelrechten Festival -Boom. Der verdankt sich einer großen Koalition von Tourismusbranche, Brauereiindustrie und dem Drang der Tonkünstler zu immer neuen Betätigungsfeldern. Dieses Konglomerat erscheint orientiert auf Maximen wie Akzeptanz, Umsatzsteigerung - nicht auf neue künstlerische Qualitäten. Die Fundierung auf Politik oder kulturpolitische Konzepte wurde abgelöst durch die Erhebung der flächendeckenden „Kultur“ zum Wirtschaftsfaktor.
F.: Das stimmt nun überhaupt nicht. Für mich war, als ich das SHMF ins Leben rief, in keiner Weise die Quantität maßgeblich, sondern nur die Qualität. - Freilich, ich habe immer gesagt: wir wollen nicht nur für die hehren Eingeweihten etwas herstellen; das halte ich auch gar nicht für vital und lebendig, sondern wir wollen einfach mal Kunst präsentieren, von der ich glaube, daß sie wichtig ist - auch zum Verständnis unserer Zeit. Zum Beispiel das Sacre du printemps von Igor Strawinsky als eines der Urstücke des 20.Jahrhunderts. Ich halte es für notwendig, das auch einmal - wenn auch vielleicht mit Erläuterungen - in Eutin zu spielen. - Aber daß dieses Qualitätsdenken, das mich bestimmt hat, nachher nicht nur die Angehörigen der Musiker in die Säle geholt hat, das rechne ich mir nicht als Manko, sondern als einen meiner schönsten Erfolge an! (...)
R.: In dichtbesiedelten Regionen (und angesichts der Auto -Mobilität auch in dünner bewohnten), in Anbetracht des real existierenden Bedürfnisses nach schönem Schein in dieser Gesellschaft, bekommen Sie mit gängigen Programmen fast immer volle Häuser, Schlösser, Scheunen.
F.: Wenn Sie jetzt glauben, daß ich im Hamburger Hauptbahnhof Kulturereignisse zelebriere, dann irren Sie sich! Das werde ich nicht tun. Denn man braucht, um aufnahmefähig zu sein, auch Stille, auch Bilder. Gerade deshalb halte ich die Idee des Konzertierens in den Industriebauten Schleswig-Holsteins, in den wunderschönen Scheunen für gelungen - die liegen mir mehr als manche deinspirierenden Zweckbauten für die Musik. Die Landschaft, die Architektur, das alles trägt dazu bei, daß man anders eingestellt ist. Wir haben mit dem Festival probiert, eine menschliche Dimension einzubringen.
R.: Die menschliche Dimension aber wäre heute, eine Kunst zu machen, die sich von einigen Dingen, die Sie betrieben, sehr viel mehr fernhält. Es gehört wohl zu den abendländischen Errungenschaften, daß sich die Künstler vom höfischen Prunk gelöst haben; daß sie nicht mehr für Könige, Herzöge oder deren Nachfolger Hofmusik machen, sondern sich davon emanzipiert haben.
F.: Wir haben in Deutschland keine Höfe mehr!
R.: Aber Sie pflegen ein Verhältnis zu den Landesfürsten, das sehr daran erinnert. Um (gerechterweise) auch einmal ein Beispiel aus den Südstaaten zu nehmen: Der Aufstieg der Chordirigenten Gönnenwein zum Generalintendanten über die Stuttgarter Staatstheater und zum Staatsrat im Dunstkreis seines Freundes Lothar Späth trägt Züge der Reetablierung vom Feudalstaat. Es ist problematisch, einen mäßig talentierten Künstler so in die Politik einzubinden - das sollte man überhaupt lassen. Vergleichbares läßt sich von Ihnen und dem gewesenen Ministerpräsidenten Barschel sagen ich weise nur auf seinen peinlichen Text auf einer Ihrer Schallplatten hin. In einem strukturschwächeren Bundesland wurde versucht, über ein großes Festival etwas wirtschaftliche Ankurbelung (und Renommee-Zufuhr) zu erreichen. Das Interesse der Politiker liegt auf der Hand das der Musiker auch. Die Frage ist, ob beim Verhältnis zwischen Ihnen und Barschel die notwendige kritische Distanz der Künstler zu den Politikern im demokratischen Staat gewahrt wurde. - Sie waren vorher sehr selbstbewußt und sprachen vom Blinden und der Farbe. Ich fürchte, daß eine gewisse Farbenblindheit im Parteienspektrum bei Ihnen zu beobachten ist.
F.: Da sollten Sie sich keine Gedanken machen! In Spanien, wo ich Festivals, Musikschulen und Jugendförderung mitorganisiert habe, hält man mich für einen Sozialisten. Das ist nichts Entehrendes.
R.: Die Literatur verhielt sich in den letzten 40 Jahren anders als der Musikbetrieb. Ich kenne keinen Dichter, der sich den Titel eines Staatsrates verpassen ließ. Warum nur müssen die Musiker so mit der Politik im Bett liegen?
F.: Ich liege nicht mit der Politik im Bett!
R.: Warum haben Sie dann nach Uwe Barschels Tod in 'Bild am Sonntag‘ diesen Mann noch öffentlich bewundert, als ziemlich bekannt war, was er getan hat?
F.: Also, das war mir damals noch nicht klar. Wenn ich einen Mensch sehe, dann sehe ich auch die guten Dinge an ihm. Das war vielleicht vertrauensselig. Aber er hat ja auch ein paar gute Seiten gehabt. Das wollen wir nicht vergessen. Viele mit mir - auch Helmut Schmidt übrigens - haben ursprünglich nicht glauben können, daß er das alles getan hätte. Ich habe mich da auch ein bißchen auf meine Freunde verlassen. Aber ich brauche an und für sich Ihre Belehrungen über das Dritte Reich nicht. Mein Vater ist vier Monate vor meiner Geburt von den Nazis erschossen worden. Meine Familie hat sich weiß Gott nicht in das Bett der Politik geschmissen. Ich werde das auch nie tun. Ich werde das tun, was meine Aufgabe ist.
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