piwik no script img

Weitere Streiks in der UdSSR

■ Russischsprachige Bevölkerungsminderheit im Ausstand / Juristen: Estnisches Wahlrecht verfassungswidrig / Aserbaidschaner demonstrieren für Autonomie

Moskau (afp) -Rund 40.000 Menschen haben sich der Streikbewegung der russischsprachigen Bevölkerungsminderheit in der baltischen Sowjetrepublik Estland angeschlossen, um gegen die Beschneidung ihres Wahlrechts durch die regionale Regierung zu protestieren. Die Streikenden, vor allem in der Hauptstadt Tallinn (Reval) und in Kohtla-Järve am Finnischen Meerbusen, fordern nach Angaben der 'Prawda‘ direkte Gespräche mit Moskau und lehnen Verhandlungen mit Vertretern der lokalen Regierung und der Kommunistischen Partei ab.

Das estnische Parlament hatte vergangene Woche ein Gesetz verabschiedet, das das aktive und passive Wahlrecht auf lokaler Ebene davon abhängig macht, wie lange jemand in Estland wohnt. Das estnische Parlament hatten den Streik am Freitag als illegal bewertet. Die 'Prawda‘ zitierte am Sonntag dagegen Rechtsanwälte mit den Worten, der Streik könne nicht illegal genannt werden, da die Unionsregierung noch kein Streikgesetz verabschiedet habe. Zudem habe das estnische Parlament selber durch die Einführung des diskriminierenden Wahlgesetzes gegen „die Verfassung der Sowjetunion verstoßen“.

Ebenfalls am Wochenende haben in Baku, der Hauptstadt der Sowjetrepublik Aserbaidschan, 80.000 Menschen an einer Massenkundgebung teilgenommen. Die Demonstranten forderten insbesondere Neuwahlen für die aserbaidschanischen Abgeordneten im sowjetischen Volksdeputiertenkongreß, da die Wahl im vergangenen März nicht demokratisch verlaufen sei. Zum Abschluß der Kundgebung sei für den heutigen Montag zum Generalstreik aufgerufen worden.

Die Demonstranten auf dem Leninplatz in Baku verlangten außerdem „wirtschaftliche und politische Autonomie“ für Aserbaidschan, die Aufhebung einer weiterhin geltenden Ausgangssperre sowie die „Beendigung der Verfolgung von inhaftierten aserbaidschanischen Nationalisten“, von denen rund zwanzig im Gefängnis sitzen sollen.

„Die Aserbaidschaner werden niemals akzeptieren, auch nur einen Zentimeter ihres Territoriums zu verlieren“, erklärte der Führer der informellen Nationalistenbewegung, Jossif Ugli, auf die Frage, wie seine Bewegung zu dem Problem Nagorny-Karabach stehe, dessen überwiegend christliche armenische Bevölkerung die Wiederangliederung an die Nachbarrepublik Armenien fordert. „In der Geschichte ist der Boden Nagorny-Karabachs niemals armenisch gewesen“, fügte Ugli hinzu.

Pakt „widernatürlich“

50 Jahre nach seiner Unterzeichnung hat die Sowjetunion die Existenz des Geheimen Zusatzprotokolls im Hitler-Stalin -Pakt, dem Abkommen zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1939, erstmals öffentlich anerkannt und seine Veröffentlichung zugelassen. In der vorläufigen Schlußfolgerung einer Forschungskommission des Obersten Sowjets zur Überprüfung des Hitler-Stalin-Pakts heißt es, das Geheimprotokoll „spiegelt in keiner Weise den Willen des sowjetischen Volks wider, das für die heimlichen und verbrecherischen Verschwörungen der stalinistischen Regierung keine Verantwortung trägt“.

Die amtliche Wochenzeitung 'Argumenti i Fakti‘ schreibt, der Abschluß eines Freundschaftsvertrages mit Deutschland im September 1939 sei „widernatürlich“ gewesen. Die Zeitung beklagt, daß deutsche und österreichische Kommunisten, die vor der Verfolgung der Nationalsozialisten in der UdSSR Schutz gesucht hatten, 1940 an die Nazis ausgeliefert wurden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen