: DESSAUER MIT ALLERLEI
■ „GelbRotBlau“ - Primärverkaufskunst im Haus am Lützowplatz
GelbRotBlau - als Primärfarben der Alltagskultur läßt am Morgen eine Bloody Mary assoziieren - an einem Sonntag allemal. Willkommen gewesen wäre also die Mischung aus 2 Teilen Tomatensaft, 1 Teil Wodka, 1 Spritzer Tabasco, 1 Spritzer Worcestersauce, 1 Teelöffel Zitronensaft, 1 Prise Salz (am besten das des Selleries), zwei Umdrehungen frisch gemahlenen Pfeffers. Das Ganze wäre im Shaker mit wenig Eis schnell durchzuschütteln gewesen, um es dann in ein Glas oder einen Tumbler (Becher) zu seihen. Mit diesem vitalisierenden Rot hätte das Gelb des Gin Fizz und das Blau des Curacao Sour, nett auf einem Tablett angeordnet, wohl harmonieren und dem interessierten Vernissage-Besucher appliziert werden können. Statt dessen wird dieser jedoch in der 11-Uhr-30-Frühe an die Ströme des obligatorischen Die -Kunst-ist-eröffnet-Weins angeschlossen.
Denn nicht zur Nüchternheit gebietenden kollektiven Betrachtung des primärfarbigen Aufleuchtens an den Ecken des Alltags von Shell, Esso und Aral, sondern zum bacchanalischen Stelldichein vor Gelb-Rot-Blau Klassischer Moderne und zeitgenössischer Malerei hat die „Obere Galerie“ im Haus am Lützowplatz geladen.
Was unter der Klassischen Moderne verstanden wird, legt die räumliche Nachbarschaft zum Bauhaus-Archiv nahe, brauchten doch die Mondriane, Kandinskys, Bayers und Arndts als Leihgaben gerade mal nur um die Ecke getragen zu werden. Die reine, aber bitter-didaktische Formenstrenge der Dessau -Aktivisten wird durch Beigaben aus der Berlinischen Galerie geschmacklich abgerundet, wobei zeitgenössisch besonders Hermann Alberts Sportbild I-Kopflos-Fußballspieler und Reinhard Hoffmanns Neon-Hügel bekannt waren.
Verständlich, daß sich um derartige Deja-vus wenige Vernissageisten drängen und statt dessen vor gelbrotblauer jetztzeitiger Beliebigkeit anschicken, die Ladenschlußgesetze auszuhebeln. Sagt ein Herr in blauer Seidenhose und blauen, mit braunen Mokassinfransen verzierten Slippern zu einem Herrn mit weißem Haupthaar und Ich-hab'-schon-viel-Welt-gesehen-Augen: „Entschuldigen Sie, Sie sind der Künstler dieses Bildes? Wissen Sie, meine Frau ist ganz hingerissen davon. Ist es denn zu verkaufen, und wie wären denn so die preislichen Vorstellungen.“ - „So weit ich weiß, liegt es bei 8.400 Mark.“ - „Ja, meine Frau ist reinweg vernarrt in das Bild. Rosi, komm doch mal!“
Über eine Vitrine gelehnt mit gelbrotblauen Alltagsgegenständen, als da sind die WC-Ente, L'Oreal Studio Line, Blendax Anti-Belag, der Falk-Stadtplan, das verblaßte Berlin-750-Jahre-Signet, zolle ich dem Ausstellungsleiter Paul Corazolla stille Hochachtung. Nicht nur, daß er für seinen Ausstellungscocktail dem ganz frischen Aldi-Juice mit der historisch bewährten Klassischen Moderne einen verkaufsfördernden Fond bescherte, sondern darüber hinaus legt er mit Hintersinn und unter Glas die Gebrauchsanweisung der Firma Pelikan für praktizierte Gegenwartsmalerei aus: „Acrycolor von Pelikan löst dieses Problem. Durch ihre im Vergleich zu anderen Acryl-Farben deutlich längere Trockenzeit, das heißt der Maler bestimmt das Arbeitstempo, weniger die Farbe. Beim Anmischen, beim Farbauftrag und bei möglichen Korrekturen des Entwurfs.
Einfacher kann das Malen mit Acryl-Farben nicht sein.“
A.Modern
„GelbRotBlau“. Primärfarben in Alltagskultur, Klassischer Moderne und zeitgenössischer Malerei. Obere Galerie im Haus am Lützowplatz bis 24.September.
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