EUROMARKTFORSCHUNG

■ „Hallo, liebe Euromarktkundinnen und -kunden!“

Jeder wird einmal vor die Entscheidung gestellt, ob er weiter zum Aldimarkt gehen oder ab nun und jetzt den lichten SB daneben nehmen soll. Punker Krause ist immer zum Aldi gegangen, weil darin so ungeschminkt die wirkliche Wirklichkeit gezeigt wurde und wegen dem Karlsquell für 47 oder dem halben Bocholter für 69 Pfennig.

Ich heiße Detlef und kaufe im Euromarkt, und der Edelhalbe kostet da nur DM -,99, und „Das Trinken von Bier ist entscheidend für die Zukunft Deutschlands“ (Heinz Riesenhuber). Und außerdem gibt es bei Euro den „Chariomat“, das ist ein Gerät, wo man den Einkaufswagen nach dem Einkauf hineinschiebt, und dafür kriegt man eine Wertmarke. Die wird in ein Heftchen geklebt, und wenn man dreißig Wagen geschoben und die Karte vollgeklebt hat, gilt letztere als „Warengutschein für den Einkauf im Euromarkt. Wert -,50 DM“. Bloß das klappt nie, weil da Kinder sind, die einem den Wagen aus der Hand reißen und ihn selber wegschieben. So wird Kinderarbeit durch die Hintertür eingeführt, und der Dumme ist der zahlende Kunde! Aber meist ist die Maschine ohnehin kaputt.

Als erstes bei Euro kommt die Zeitschriftenabteilung. Da gibt es z.B. „kid - die Zeitschrift für das Kind“. Bei manchen Filialen befindet sich diese Abteilung am Ende, in Buckow z.B., weil „das hier keine öffentliche Lesehalle ist“ und die Lesehemmschwelle in Kassennähe größer ist. In jedem Euromarkt aber kommt danach die Obst-(„knackig“) und Gemüse(„jung“)abteilung, und danach kommt die Joghurtabteilung, und da bemerkt man plötzlich, daß noch andere als die eigenen Gedanken im eigenen Kopf sich unterhalten. Zwischen Milch und Käse nämlich kriecht tückisch-schleichend die „funktionelle Musik“ ins Bewußtsein. Alle paar Minuten wird sie von einer schmeichlerisch-frohen Frauen- respektive Männerstimme unterbrochen. Und dagegen ist kein „Kraut gewachsen, und das gibt's hier bei Euro“. Was will die Tante, was will der Onkel von mir? „Nett, daß Sie mal wieder vorbeischauen“ gleichzeitig versucht die Stimme, meine Bedenken bezüglich der Anschaffung exotischer Gewürze zu zerstreuen; die Preise von kalifornischem Kräuter- oder Zwiebelpfeffer (Rezept aus Kalifornien!) sind „keineswegs gepfeffert, sondern besonders mild zu“ meinem „Geldbeutel“. In der Eierabteilung heißt es: „Harte Schale, weicher Kern - so sollten Eier sein, oder? ... Und weil auch die Preise bei Euro das Gelbe vom Ei sind...“ Mir wird heiß. „Wer will schon immer rot werden, greifen Sie lieber zum Sonnenschutz..., damit Ihre Haut bei Sonne nicht länger empfindlich reagiert. Und bei den günstigen Preisen werden sicher auch Sie nicht entrüstet reagieren.“ Doch!!! „Bellen Sie Ihren Mitmenschen doch nicht gleich an. Schnüffeln Sie lieber an unserem Hundefutter. Und bei den Preisen werden Sie sicher auch gleich mit dem Schwanz wedeln.“ Das gab's nicht, aber ich geh‘ mich trotzdem beschweren. „Det nervt uns hier alle“, tröstet mich eine Verkäuferin und verweist mich an den stellvertretenden Filialleiter H., der mir versichert, daß er die Kassette sofort ausschalten würde, wenn der Filialleiter, Herr C., „der blöde Sack“, weg wäre. Bloß wenn der wiederkommt, schiebt er als erstes die Kassette wieder rein. Die Kassette, die stimulieren, zugleich aber die nur allzu männliche Angst vor der Entleerung des „Beutels“ beschwichtigen soll; deren Botschaften wie ahnende Prophezeiungen, wie der Orakeldampf in Delphi, nur gefühlt werden; die Stimme, die dem „Kunden“ einen wohltemperierten Kaufrausch ohne Reue vorgaukeln will. Bei verschiedenen Krankenkassen laufen übrigens Überlegungen, das Kaufen als Sucht anzuerkennen. Ob da die „Pennypräser“ - Genuß ohne Risiko - mit schönen Sonnenuntergangsbildern an der Kasse helfen? Können, sollen; so tun sollen, als ob sie könnten?

Die Kassette stößt bei vielen Euromarkt-Mitarbeitern auf Ablehnung. Stichproben bei sechs von 16 Märkten haben ergeben, daß sie - mit Text - nur in zwei Filialen, ohne Text in einer und in drei Euro-Filialen überhaupt und gar nicht läuft. Es scheint eine Spielanweisung der Euro -Zentrale zu geben, aber Filialleiter können eben nicht überall sein. „Die Kassette?“ sagt mir die Frau hinterm Bäckertresen in Tempelhof, „weeß ick ooch nich, wieso die nich läuft“, aber „die kann ich Ihnen aufsagen“. Sie legt los...

Dunkel umhüllt den Ursprung der Kassette. Auf hartnäckiges Nachfragen gibt mir endlich ein Lagerarbeitshippie die Adresse der Kath-und-Krapp -Werbeagentur. Herr Eichstedt, Münchner Werbetycoon, ist dafür verantwortlich, daß das „Eis-Leistungsverhältnis stimmt“. Eichstedt hat in einer Talkshow vor ein paar Jahren gegenüber Alice Schwarzer „sexistische Werbung“ (Schwarzer) verteidigt und fragt mich erst mal, ob ich wegen „der österreichischen Sparmarkt-Geschichte“ anrufe, scheint erleichtert über meine Unkenntnis und kann mir dann aber auch nur erzählen, daß die Endloskassetten bei „Großflächenmärkten ab 2.000 Quadratmeter aufwärts“ alle 14 Tage wechseln würden, mahnt, ich solle „vom Markt her denken“, fügt hinzu: „Werbung soll ja ansprechen...“, und es gebe da eine „Zielgruppe“.

Der NDR berichtete in seinem Hörfunkprogramm vor kurzem von Botschaften, die der funktionellen Musik untergemischt seien. „Ich bin zufrieden“, heißt es nur immer wieder, „ich bin zufrieden“. Der Satz ist in der Musik versteckt und wird allein vom Unterbewußtsein registriert. „Ich bin zufrieden“ führte zwar tatsächlich dazu, daß weniger geklaut, gleichzeitig aber auch weniger gekauft wurde. Man brach das Projekt ab.

Zeitweise bin ich mehrere Male am Tag bei Euro, ich kaufe elektrische Blumen, ich kaufe kleine Fernseher, ich kaufe „junges Gemüse“, das später in der Küche vergammelt. Um mich durch eine Überdosis zu kurieren, starte ich eine Rundreise durch die verschiedenen Filialen; fahre in die Stresemannstraße, ins grauenhafte Nichts in der Mitte Berlins, wo mich ein eher proletarischer Markt schweigend (Juchhu!) begrüßt. In Neukölln erwarten mich zwei Euros; der Markt in der Hermannstraße ist lauschig und still, und die Einkaufswagen haben im Gegensatz zu anderen Filialen - Ikea -Monster - normale Dimensionen. In der Karl-Marx-Straße, im Keller von Quelle gibt es einen Edeleuro. Um es kurz zu machen: Olga o'Groschen hat alles Nötige zu Neukölln geschrieben, und die Kassette tut ein übriges, mich zu vertreiben.

In der guten Luft von Lankwitz entdecke ich einen schmucken Kleinstadtmarkt: „Es gibt kein Bier auf Hawaii, aber bei Euro“, darauf beharrt die Kassettentante, und unter „Erlebniszeitschriften“ findet man dort das 'Bier Journal‘, dessen Experte Dieter Freydenberger alles über Bier weiß. „Dem 'König der Ayinger Bierspezialisten‘ wurde der Titel 'Bier-Champion‘ im Großen Preis mit Wim Thoelke 1980 nur durch eine blöde Risikofrage in Sachen 'Oper‘ verweigert.“

Am Buckower Damm stoße ich auf den nächsten Euro. Mit Euromarkt-Cafe! Die Musik ist so leise, daß man sie schon kaum gar nicht mehr hört, und Sprecher hat man sich diesmal gespart, eine Variante, die sich wohl durchsetzen wird. Der Filialleiter (ohne -in) heißt Helga Hardt, und dem Wrigley's Fahrradständermädchen am Eingang hat jemand den Kopf abgerissen. Die Fahrt nach Marienfelde ist wunderschön; vorbei am Großmarkt Metro, an „Lagereien“, Speditionen, Kopierwerken, vorbei am Biker- und Industrieimbiß... Die Stadtlandschaft ist großartig; Industrie, geheimnisvolle Kräne und vergessene Grünflächen, an die sich das zuständige Gartenbauamt jedoch blöderweise erinnert hat, denn „hier wird gebaut“, sagt das Schild: „standortgerechte Bepflanzung“... „der ehemaligen Feldflur angepaßte Sträucher“ usw. Und es klärt mich darüber auf, daß dies eine „leicht gemuldete Landschaft“ ist. Ein anderes Schild sucht „Endlosdrucker“ - wie wird man das?? Mir ist so wohl in Buckow, und ich beginne den Euromarkt zu vergessen. Neben dem S-Bahnhof steht ein heruntergekommener Asylantenschnellbau. Etwas weiter spielen Kinder an einem Gitter. Hinter dem Gitter leuchtet schon etwas vergilbt blau und rot - eine Euromarkt-Ruine. Auf der Rücktour fahre ich - ein Tip für Grufties - an neun Friedhöfen vorbei.

„Euro wünscht Ihnen viel Spaß bei leckeren Schweinereien.„

„Können auch Sie den Sonntag mit dem zarten Braten nicht erwarten? ...Brauchen Sie auch Schwein beim Fleischkauf? ... Nur die besten Schweine sind gut genug... Mit kostenlosen Rezeptkarten zum Sammeln.“

Schweine, pigs! Die La-Bianca-Morde der Manson-Family „ein Messer in der Kehle, eine Gabel im Bauch“ waren inspiriert von dem Beatles-Song Piggies, berichtet Ed Sanders in seinem Buch über die Family:

„Everywhere there's lots of piggies

living piggy lives

You can see them out for dinner

with their piggy wives

clutching forks and knives

to eat their bacon

„Unsere Kunden machen gerne Schnitzer, äh, Schnitzel... Waschen Sie Ihre Hände nicht nur in Unschuld, sondern auch mit einer guten Seife... dufte sind auch die Preise... Wer besitzt nicht gern eine weiße Weste...“

„Have you seen the bigger piggies

In their starched white shirts“

(Beatles)

Detlef Kuhlbrodt