: Handwerker sind gefragt
■ Übersiedler aus der DDR haben aufgrund ihrer Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen / Arbeitsamtspräsident Franke: „Für viele ist aber Fortbildung nötig“
Baukolonnen aus Ost-Berlin, die in West-Berlin Häuser zum Dumping-Tarif hochziehen, und nun auch noch Übersiedler in immer dickeren Strömen, die für jeden bescheidenen Lohn ihre Arbeit anbieten. Das weckt bei so manchem verdienten Werktätigen dumpfe Ängste über die Zukunft des bundesdeutschen Arbeitsmarktes. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht schwarz für das richtige Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei der Arbeit in Europas Wirtschaftsnation Nr. 1
-allerdings ganz besonders dann, wenn der gegenwärtige Zustrom von Arbeitskräften aus dem Osten versiegt: „Die Aussichten dafür, daß die nachhaltigen Zuwachsraten der Beschäftigung während der 90er Jahre anhalten, sind sehr gering, wenn nicht der derzeitige Zustrom Deutschstämmiger aus Osteuropa aufrechterhalten werden kann.“ Der Grund: Der Anteil der Menschen der Republik im erwerbsfähigen Alter wird im kommenden Jahrzehnt gewaltig absacken. „Mittel- und langfristig wird sich der Zustrom wegen der günstigen Altersstruktur der Übersiedler positiv für die Bundesrepublik auswirken“, meint Heinrich Franke, Chef der Bundesanstalt für Arbeit.
Aber auch die Chancen dafür, daß die Aussiedler, mehr noch die Übersiedler aus der DDR, sogleich am Beschäftigungszuwachs teilhaben können, stehen nach Ansicht Frankes nicht schlecht, wie er der 'Neuen Osnabrücker Zeitung‘ in einem Interview verriet: „Keinerlei Arbeitsplatzprobleme gebe es in einigen Handwerksberufen. So könnten Bäcker, Maler, Maurer und Dachdecker mit einer sofortigen Einstellung rechnen.“ Im übrigen bräuchten allerdings etwa 50 Prozent qualifikatorische Nachbesserungen, wofür sein Amt Fortbildungs- und Umschuldungsmaßnahmen anbiete. Franke eröffnete, daß für die entsprechenden Maßnahmen noch Mittel frei seien, die nun „umgehend eingesetzt“ werden sollten.
Knapp 25.000 Übersiedler haben nach Erkenntnissen des Bundesarbeitsamtes im Juli keine Arbeit gehabt. Daß es sich dabei überwiegend um Neuankömmlinge handelt, geht auch aus einer kürzlichen Berechnung des Hauses hervor, daß immerhin 40 Prozent der DDR-Ausreisenden bereits nach einem Vierteljahr und 79 Prozent nach einem halben Jahr Lohn- oder Gehaltsempfänger sind.
Auch bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Berlin, dem Land mit der derzeit höchsten Übersiedlerquote, geht man davon aus, daß die Wirtschaft in der Halbstadt „aufnahmebereit“ sei, was die ehemaligen DDR-Handwerker anginge. Dies auch deshalb, weil die „duale“ Lehrlingsausbildung im Betrieb und der Berufsschule in beiden Ländern starke Parallelen aufweise. Schwierigkeiten sieht die IHK bei den Akademikern. Allerdings machen die bei den Übersiedlern nur 10 Prozent aus. Hier macht sich nun außerdem bezahlt, womit sich die DDR-Führung stets brüstet: daß es in ihrem Staat keine Jugendarbeitslosigkeit gibt. 84 Prozent der Übersiedler haben eine abgeschlossene Berufsausbildung und nun größere Chancen auf dem BRD -Arbeitsmarkt als ihre eingeborenen Schicksalsgenossen.
Bundesarbeitsamtsprecher Klein meint zwar, daß viele Betriebe im Lande den Ankömmlingen aus Osteuropa gegenüber zu Beginn einen „Aussiedlerbonus“ zukommen ließen. Doch der sei vorbei. Inzwischen würden sie nur mehr danach beurteilt, was sie zu bieten hätten, und es ist seiner Ansicht nach deshalb fraglich, ob die Personalabteilungen den DDR -Renegaten wiederum einen Vorsprung gäben. Das Nürnberger Amt hat nach eigener Aussage keine Erkenntnisse darüber, daß ehemalige DDRler zu ungünstigeren Bedingungen eingestellt würden, ihre Herkunft deshalb Einstellungsgrund gewesen sei, weil bei ihnen die Bereitschaft zu geringerer Lohnhöhe vorausgesetzt werde. Allerdings gibt es eine deutliche Bereitschaft der Übersiedler, auch mal unterhalb der eigenen Qualifikation tätig zu sein. Auch daher versuchen viele, Jobs zu finden ohne die offizielle Vermittlung durch die Arbeitsämter, zu der ohnehin einige von ihnen kein Vertrauen haben. So stellt auch das Berliner Werk von Daimler-Benz ab und an frisch herübergekommene Ex-DDRler ein, um den stets beklagten Facharbeitermangel auszugleichen. „Die kommen nicht übers Arbeitsamt, die melden sich bei uns gleich direkt“, meint ein Firmensprecher und bemerkt nicht ohne Stolz, daß Daimler in der DDR eben auch einen Namen habe.
Eine Hoffnung könnten die Fachkräfte aus dem Osten aus den neuesten Zahlen ziehen, die der „Bundesverband der Selbständigen“ (BDS) jetzt nach eigenen Erhebungen veröffentlicht hat. Danach gibt es derzeit 880.000 offene Stellen in der BRD, immerhin 630.000 mehr als offiziell gemeldet.
ulk
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