: 'Prawda‘ geißelt Balten
■ Vorwürfe wegen „nationalistischer Hysterie“ / Weiter gespannte Lage in Estland / Streik in Aserbeidschan vertagt
Moskau (ap/afp) - Anläßlich der weiter andauernden Streiks russischer Arbeiter in der estnischen Industrie ist die sowjetische Parteizeitung 'Prawda‘ am Dienstag hart mit den separatistischen Bestrebungen in den baltischen Republiken ins Gericht gegangen. In einem Kommentar warf die Parteizeitung „antisowjetischen Gruppen„vor, eine „nationalistische Hysterie“ in Estland, Litauen und Lettland zu erzeugen.
Der Streik von mehreren zehntausend russischen Arbeitern, der sich in erster Linie gegen das neue, von der russischen Minderheit in Estland als diskriminierend empfundene Wahlgesetz richtet, ging auch am Dienstag ungeachtet eines Appells des estnischen Parteichefs Vaino Vyalyas weiter. Außerdem verlangen die Streikenden, daß Betriebe mit überwiegend russischer Belegschaft unter der Kontrolle der Unionsregierung bleiben müssen.
In ihrem Kommentar vom Dienstag griff die 'Prawda‘ besonders die unter der Bezeichnung „Volksfront“ agierenden Reformbewegungen im Baltikum an und warf ihnen vor, sich von der Unterstützung der Perestroika zu nahezu nationalistischen Positionen bewegt zu haben. Diese Kräfte benutzten auch mehr und mehr ausländische Verbindungen für ihre „zerstörerischen Ziele“.Der KP-Parteichef Estlands, Vyalyas, räumte ein, daß die Rechte der nichtestnischen Minderheiten nicht genügend in Rechnung gestellt worden seien. „Das ist unser Fehler und der muß berichtigt werden“, sagte Vyalyas.
In den transkaukasischen Sowjetrepubliken Georgien und Aserbaidschan blieb am Dienstag alles ruhig. Allerdings sagte die armenische Abgeordnete Galina Starawoitowa, die Behörden hätten die Lage in Baku nicht unter ihrer Kontrolle. Zu der von Aserbaidschan und Armenien beanspruchten Enklave Nagorny-(Berg-)Karabach meinte die Abgeordnete, die Lage dort sei zur Zeit relativ ruhig. Berichte von 'Tass‘, wonach sich die autonome Region praktisch im Belagerungszustand befinde, bezeichnete die Abgeordnete als „nicht ganz klar“. Am Montag abend waren erneut zahlreiche Bewohner Bakus einem Aufruf der Volksfront Aserbaidschans gefolgt und hatten an einer Versammlung auf dem Lenin-Platz teilgenommen. Dabei wurde beschlossen, den erst am Morgen begonnenen Generalstreik bis Samstag auszusetzen, da Führungsmitglieder der Kommunistischen Partei zugesagt hätten, mit Vertretern der Volksfront Gespräche aufzunehmen.
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