: Schwarze Kleindealer als Sündenböcke
Niedersachsens neuer Erlaß des niedersächsischen Innenministers Stock zur Abschiebung von Asylbewerbern blieb bisher ohne Konsequenzen / Verwaltungsrichter straft Innenminister Lügen / Propagandafeldzug gegen Schwarzafrikaner ■ Aus Hannover Jürgen Voges
In einem immer schieferen Licht erscheint jetzt das neue „Konzept gegen Rauschgiftkriminalität“, mit dem Niedersachsens Innenminister Stock in der vergangenen Woche Aufsehen erregt hat. Die Beispiele jedoch, mit denen Stock seinen Erlaß untermauerte, sind offenbar frei erfunden. Laut ministeriellem Erlaß sollten die in Hannover häufig aus Afrika stammenden Kleindealer bereits vor ihrer Verurteilung und vor Ablauf ihres Asylverfahrens abgeschoben werden. Auch mit „Erfolgen“ des neuen, noch nicht einmal schriftlich existierenden Erlasses konnte Innenminister Stock letzte Woche schon aufwarten: 20 ausländische Staatsangehörige, „ausschließlich Schwarzafrikaner, vorwiegend aus Gambia“, habe die Polizei der hannoverschen Ausländerbehörde bereits benannt. Vier davon seien auf Grundlage des neuen Erlasses bereits abgeschoben worden, behauptete der Minister. Das zuständige Verwaltungsgericht Hannover habe die Ausweisungsverfügung überprüft und nicht beanstandet. Das jedoch stimmt eindeutig nicht.
Der Vorsitzende der Asylkammer des Verwaltungsgerichts Hannover, Eberhard Köhler, griff selbst zum Telefon und informierte von sich aus die Presse, als die ersten Artikel über Stocks neuen Erlaß erschienen waren. Der Verwaltunsgrichter dementierte entschieden, daß seine allein zuständige Kammer bereits Abschiebungen auf Grundlage des neuen Erlasses zugestimmt habe. Es seien zwar Ausweisungsverfügungen gegen Gambier überprüft worden, erklärte Köhler. Doch es habe sich um Fälle gehandelt, bei denen der Asylantrag vom Zirndorfer Bundesamt als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden waren. Bei dieser Prüfung nach dem Asylverfahrensrecht habe die Frage von Straftaten oder des Drogenhandels überhaupt keine Rolle gespielt. Es sei nicht die Aufgabe von Verwaltungsrichtern, für schnelle Abschiebungen zu sorgen. Das Ausländeramt der Stadt Hannover, das angeblich die vier Abschiebungen auf der Grundlage des neuen Erlasses durchgeführt hat, bestätigte dies inzwischen: „In den Fällen der vier abgeschobenen Gambier waren die Asylverfahren bereits abgeschlossen und die Betroffenen zur Ausreise verpflichtet.“
In diesem Jahr sind in Hannover bereits 31 Fixer an der Nadel gestorben. Die Preise für harte Drogen in der niedersächsischen Landeshauptstadt sind gesunken. Hannover, so heißt es, soll sich zu einem Zentrum des großen europäischen Drogenhandels entwickelt haben. Doch die Aktivitäten des Innenministers wie auch der Blick der Öffentlichkeit richten sich vor allem auf die Treffpunkte der Schwarzafrikaner hinter dem hannoverschen Hauptbahnhof, wo man sicher auch Kleinstmengen an harten Drogen erwerben kann. Polizei und Bevölkerung scheinen jedoch zu meinen, Dealer allein schon an ihrer dunklen Hautfarbe zu entdecken. Ganze 0,1 Gramm Heroin wurden Anfang der vergangenen Woche bei den Gambiern beschlagnahmt, als die Polizei, versteckt in drei Möbelwagen, zu einer Großrazzia anrückte. Die Grünen hatten den Stockschen Erlaß als „Dokument übelsten Rassismus“ bezeichnet.
Mit seiner Pressekonferenz im kleinen Kreis, auf der er seine harte Gangart verkündete, hat sich Minister Stock auch eine Rüge der Landespressekonferenz eingehandelt, deren Vorsitzender ihm schriftlich das Mißfallen über den Ausschluß der Mehrzahl der Journalisten bekundete. Dabei scheint sich Stocks rechtlich zweifelhafter Erlaß schon jetzt als Propagandamanöver zu entpuppen. „Das im Erlaß vorgesehene Verfahren ist wohl nur bei Asylbewerbern durchzusetzen, die rechtlich schlecht beraten sind und sich nicht vor Gericht zur Wehr setzen“, sagt etwa der hannoversche Rechtsanwalt Bernd Philippsohn, der zahlreiche Gambier vertritt. Allerdings weiß der Anwalt einiges über das Klima zu berichten, in dem Schwarzafrikaner in Hannover inzwischen leben müssen. Dauernde Durchsuchungen, Beschlagnahme von Geld, selbst der eben abgeholten Sozialhilfe sind an der Tagesordnung.
Philippsohn berichtet auch über den Fall eines 20 Jahre alten Gambiers, der sich während der Möbelwagen-Razzia übergeben mußte. Erst wurde er verhaftet, weil er angeblich Heroin verschluckt hatte, nach medizinischer Untersuchung galt er in der Presse als Simulant, der das Verschlucken nur vorgetäuscht hatte. In Wirklichkeit, so der Rechtsanwalt, habe die Polizei bei ihrem „Möbelwageneinsatz“ dem Schwarzen „Kotzgas“ aus der chemischen Keule ins Gesicht gesprüht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen