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MARCIA PALLY

 ■  Spuck nicht auf das Sternenbanner!

Marcia Pally ist eine bekannte New Yorker Journalistin und Feministin, zugleich Cheffilmkritikerin von 'Penthouse‘. Sie schreibt unter anderem in 'The Village Voice‘, 'The Nation‘, 'Taxi‘, 'The New York Times‘ und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den Großen Bruder wissen sollten.

Gerade habe ich meinem Kongreß-abgeordneten einen Brief geschrieben. Normalerweise tue ich so etwas nicht, im allgemeinen schreibe ich, um veröffentlicht zu werden und einen Scheck zu bekommen. Aber dieser Fall liegt anders. Wie die meisten meiner Mitbürger mache ich mir große Sorgen über eine Entscheidung, die im letzten Monat vom Obersten Gericht gefällt wurde. Danach ist das Verbrennen unseres Sternenbanners okay und soll sogar durch den Artikel 1 der Verfassung - der die freie Rede garantiert - geschützt sein.

Mir und scheinbar auch dem Präsidenten, den Gesetzgebern und einem großen Teil der Nation ist dagegen klar, daß das mit der Flagge etwas anderes ist und daß sie vom Artikel 1 nicht freigegeben werden darf. Sie ist schließlich das wichtigste Symbol unserer verfassungsmäßigen Rechte, besonders auch des Rechts auf politischen Protest, das die Leute wenigstens kennen sollten, wenn sie es schon nicht ausüben. Manche Artikel-1-Junkies sagen, daß dieses Verfassungsgebot überhaupt nichts mehr besagt, wenn man nicht auch sein Symbol als Zeichen politischen Protestes verbrennen darf, andere sehen die Flagge, wie ich, als Ausnahme.

Laurence Tribe, Verfassungsrechtler in Harvard, und Burt Neuborne, Professor an der New York University's School of Law, haben in Briefen an die 'New York Times‘ dargelegt, wie man die Entscheidung des Obersten Gerichts umgehen und die Flagge doch noch vor Benzin schützen könnte. Am besten hat mir Mr. Neubornes Vorschlag gefallen: Das Verbrennen der Flagge an sich könne tatsächlich nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der freien Rede verboten werden, aber die Regierung könnte jedes Verbrennen der Flagge unter Strafe stellen, durch das Schaulustige in den Augen der Polizei zu Ausschreitungen angestachelt werden. Dabei gibt es nur ein winziges Problem: Wenn wir dem Urteil der Jungs in Blau wirklich so sehr trauen könnten, bräuchten wir eigentlich gar keinen Artikel 4 (der uns vor ungerechtfertigten Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Eigentum durch die Polizei schützt). Abgesehen davon aber gehört Neuborne mit seinem Vorschlag ohne Zweifel auf die Seite derer, die wissen, daß die Flagge vom Artikel 1 nicht freigegeben werden darf.

Nur ganz wenige andere Symbole haben den besonderen emotionalen Wert der Flagge, zum Beispiel das Kreuz. Da wir schon dabei sind und Präsident Bush mit verschiedenen Kongreßabgeordneten das Verbot der Verunglimpfung von Staatssymbolen in die Verfassung aufnehmen will, sollten wir gleich auch das Kreuz schützen. Der Verfassungsklage des Ku -Klux-Klan können wir gelassen entgegen sehen. (Der Ärger des Klans wäre verständlich - jahrzehntelang durfte er ungestraft Kreuze verbrennen, aber auch der Klan - da bin ich sicher - wird nach einigem Nachdenken einsehen, daß eine Gesetzesinitiative gegen das Verbrennen von Flaggen und Kreuzen notwendig ist für das Wohlergehen unserer Nation und keineswegs politischer Opportunismus.)

Wenn die Regierung gegen das Verbrennen von Kreuzen einschreitet, muß sie allerdings darauf achten, daß sie die verfassungsrechtliche Trennung von Kirche und Staat nicht verletzt, die es ihr verwehrt, irgendeine Religion zu unterstützen oder gegenüber anderen Religionen zu privilegieren. Ich halte meinen Gesetzesvorschlag dennoch aufrecht und fühle mich darin durch ein Urteil des Obersten Gerichts bestärkt, das sich ebenfalls mit dem Verhältnis von Kirche und Staat befaßt hat. Es hat verfügt, daß das Aufstellen von Weihnachtsbäumen und Hanukah Menorahs auf Regierungsgrundstücken erlaubt sei, weil es sich dabei nicht um religiöse Symbole handele und die Aufstellung also keine Bevorzugung des Christen- oder Judentums gegenüber anderen Religionen beinhalte. Meine Behauptung: Wenn die Menorah kein religiöses Symbol ist, dann ist das Kreuz auch keins, folglich kann die Regierung es vor Verunglimpfung und dem Klan schützen.

Das habe ich alles Senator Alfonse D'Amato geschrieben, meinem Kongreßabgeordneten. Er ist der Mann, der Robert Mapplethorpes Nacktfotos so anstößig fand, daß er nicht nur die Schließung der Mapplethorpe-Ausstellung in der Washingtoner Corcoran-Galerie betrieb, sondern im Senat auch noch öffentlich den Katalog in Stücke riß. Die Zensur von Katalogen oder Gemälden und politischer Protest sind gewöhnlich nicht Sache von Kongreßabgeordneten, aber D'Amato ist einer, der auch mal eine Ausnahme macht, wenn es nötig ist. Darum ist es mir leicht gefallen, mich mit meinem Flaggenvorschlag an ihn zu wenden.

Da ich sicherstellen möchte, daß der Kongreß, falls er tatsächlich ein Gesetz oder einen Verfassungszusatz gegen die Verunglimpfung der Flagge verabschiedet, alle Eventualitäten bedenkt, habe ich eine Liste vorbereitet. Was ist genau unter dem Verbrennen einer Flagge zu verstehen? Schließt das Verbot das Verbrennen eines Bilds der Flagge oder eines Buchs mit dem Bild einer Flagge ein? Was ist, wenn das Bild der Flagge auf ein T-Shirt gedruckt ist? Was ist, wenn die Sterne sechs- statt fünfzackig sind oder wenn die Flagge nicht in den traditionellen Farben Rot, Weiß und Blau, sondern zum Beispiel in Gold-, Silber- und Kupferlame gehalten ist?

Ferner mache ich mir Sorgen um andere wichtige Symbole unserer Demokratie wie die Verfassung oder die Unabhängigkeitserklärung. Ich hoffe, daß der Kongreß auch das Verbrennen jener Kopien aus falschem Pergament verbietet, die jeder Fünftklässler beim Ausflug zum Kapitol in die Hand gedrückt bekommt. Auch die Verunglimpfung der kleinen Freiheitsstatuen, die von Millionen als Schlüsselanhänger benutzt werden, sollte verboten werden. Übrigens bin ich mit diesem vagen Begriff der Verunglimpfung überhaupt nicht zufrieden. Was ist damit, außer dem Verbrennen, gemeint? Das Auslachen der Flagge, das Erzählen schmutziger Witze in ihrer Gegenwart? Wie ist das Tragen der Flagge als Kleidungsstück zu beurteilen? Vielleicht ist es an der Zeit, daß der Kongreß, der sich in unseren Schlafzimmern ja schon gut auskennt, auch mal einen unerschrockenen Blick in unsere Toiletten und Kleiderschränke tut. Der Kongreß sollte festlegen, daß Taschentücher und Krawatten im Flaggendesign erlaubt sind, nicht aber Strapse.

Das eigentliche Problem bei der Verunglimpfung ist natürlich die Frage der Absichtlichkeit. Oft empfinden die Menschen noch keine antiamerikanischen Gefühe, nur weil sie in Sichtweite der Flagge einen schmutzigen Witz erzählen, wie etwa den über Salman Rushdies neues Buch Buddha, You Fat Fuck. Andere verunglimpfen die Flagge in meinen Augen schon, wenn sie sie nur grüßen, wie Oliver North, oder wenn sie unter ihr den Diensteid leisten, wie die Beamten von Reagans Housing and Development Corporation, die, wie sich jetzt herausstellt, Millionen Dollars an Sozialhilfe veruntreuten. Ich bin mir noch nicht ganz darüber im klaren, wie nach dem neuen Gesetz die Absicht der Verunglimpfung nachgewiesen werden soll, aber ich bin sicher, daß eine Polizei, die abzuschätzen vermag, wann das Verbrennen der Flagge Umstehende zu Krawallen anstachelt, auch den Weg in die Köpfe der Leute findet, die beabsichtigen, unsere Flagge zu beleidigen.

PS: Die von der Washingtoner Corcoran-Galerie geschlossene Mapplethorpe-Ausstellung wurde ein paar Wochen später im Washington Project for the Arts neu eröffnet. Bei der Vernissage wurde ein Mann gesehen, der Besucher am Ärmel zupfte und sie schwer atmend fragte, ob sie schmutzige Bilder sehen wollten. Es handelte sich um Reproduktionen von Rubens‘ Raub der Sabinerinnen. Aus dem Amerikanischen von Thierry Chervel

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