piwik no script img

Jetzt erst recht

Antwort auf den Gastkommentar des Chefredakteurs der SEW-Zeitung 'Wahrheit‘, Heiser  ■ K O M M E N T A R E

Der „Druck im Kessel DDR“ erhöht sich, Herr Heiser, auch wenn Ihnen das nicht paßt. Doch es ist nicht die Bundesrepublik, die anheizt. Im Gegenteil. Die DDR wird mehr wie jedes andere osteuropäische Land von der Wirtschaft der Bundesrepublik stabilisiert. Was bleibt der bundesrepublikanischen auch linken Öffentlichkeit letztlich anderes übrig, als darüber nachzudenken, ob die Politik der „kleinen Schritte“ noch richtig ist? Erst hat die SPD mit Bahrs und Brandts Konzept des „Wandels durch Annäherung“ und „Frieden geht vor Freiheit“ gehofft, die Machthaber in der DDR davon zu überzeugen, daß eine demokratische Erneuerung des DDR-Sozialismus gar nicht so schwierig und gefährlich ist. Dann hat die CDU ihren Antikommunismus über Bord geschmissen und unter Führung von Strauß die SPD-Ostpolitik fortgesetzt. Ergebnis: In der Substanz hat sich in der DDR nichts verändert. Im Gegenteil, die autoritäre Herrschaft der SED ist stabilisiert worden.

Tatsache ist, daß die DDR selbst den „Druck im Kessel“ mit Wahlfälschung im eigenen Land, mit Rechtfertigung der Massaker auf dem Tiananmen in Peking, mit der erneuten Rechtfertigung des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen vor 21 Jahren in Prag gestern im 'Neuen Deutschland‘ immer noch rechtfertigt. Dem SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt, der sich in der taz äußerte, ist zuzustimmen, wenn er feststellt, daß kleine Schritte heute nicht mehr ausreichend sind, sondern die westeuropäischen Länder gemeinsam mit den Oppositionskräften in den osteuropäischen Ländern deren Reformprozesse offensiv unterstützen müssen. Für das Verhältnis der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Ländern kann das doch nur heißen, daß wirtschaftliche Unterstützung und Marshall-Pläne mit dem Demokratisierungsprozeß gekoppelt werden sollten. Auch die SPD hat da noch Beratungsbedarf.

Das Gejaule der Politiker aller Couleur in der Bundesrepublik inklusive von Ihnen, Herr Heiser, die DDRler sollen gefälligst drübenbleiben, verkennt, daß es keine Demokratisierung nach deutsch-deutschen Fahrplänen gibt. Wenn Sie vor „Demokratisierung im Eilzugtempo“ warnen, die angeblich vom Westen angestiftet sein soll, dann vergessen Sie, daß der Druck im Kessel DDR selbstproduziert und durch die Reformen in Osteuropa erhöht wird. Die Menschen in der DDR wissen, daß sie sich selbst befreien müssen. Für diejenigen aber, die, aus welchen Gründen auch immer, es in der DDR nicht mehr aushalten, müssen wir eben hier zusammenrücken. Herr Heiser, Ihr Beitrag war der Anfang einer notwendigen Debatte, aber wir wollen diese Diskussion nicht mit einem Westberliner Stellvertreter weiterführen, sondern laden hiermit den Chefredakteur des 'Neuen Deutschland‘ zu einer Diskussion in unser neues Domizil am Checkpoint Charlie ein. Die paar Meter kann Herbert Naumann ja sogar zu Fuß gehen.

Max Thomas Mehr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen