: Swinging Metropolis
■ 40. Johnny 3
Ziemlich spät schon, als Werner Finck seine Katakombe eröffnet: im Herbst 1929. Aktuelle SpottAnlässe sind die „Neue Sachlichkeit“ & die Wandervogelbewegung. Eine Hausband wird ins Leben gerufen, die Tibor-Blue-Boys, die mit dem gleichnamigen Dschungelhelden gewiß noch nichts zu tun haben (mit Akim ooch nicht), und in Hans Deppe findet der Laden den Regisseur & Darsteller mit ausgeprägter KleinkunstAntenne. „In der Katakombe kann man sogar nach Chaplin noch lachen“, befindet Herbert Ihering.
Als Schnellzeichner fungiert Erich Ohser; er skizziert „Erfindungen, die erfunden werden sollten“. Bekannter ist der Mann unter dem Pseudonym nach seiner sächsischen Geburtsstadt: E.O.Plauen. Als dieser schuf er die berühmten Vater-und-Sohn-Bildergeschichten. Sein Schicksal sei vorweggenommen: 1944 wird er verhaftet, zusammen mit Freund Erich Knauf, seines Zeichens OhrwurmTexter von „Heimat, deine Sterne“ & „Mit Musik geht alles besser“. Beider Gespräch im Luftschutzkeller war von einem Denunzianten mitgeschrieben worden: „Ein deutscher Sieg wäre unser größtes Unglück, weil Hitler nach eigenem Ausspruch dann erst ein richtiger Nationalsozialist werden will.“
Ohser nimmt sich in der Zelle im Zuchthaus Brandenburg das Leben, Knauf (ExLektor der Büchergilde Gutenberg und wegen eines unliebsamen Zeitungsartikels 1934 bereits im KZ Oranienburg & Lichtenberg „auf Vordermann gebracht“) wird zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Noch ist es nicht ganz so weit; einige aus Fincks Kabarett werden die Chance nutzen zu emigrieren. Im Lauf der Jahre wirken u.a. mit: Hanns Eisler, Ernst Busch, Valeska Gert, Dolly Haas, Rudolf Platte, Ursula Herking, Theo Lingen. Darüber hinaus imitiert ein Geräuschimitator Gott & die Welt, und der Komiker Walter Behr persifliert stumm eine laufende Schallplatte - das Grammophon trägt er auf den Rücken geschnallt. (So wird es bald auch Harpo Marx machen, wenn er, der blinde Passagier, versucht, als Maurice Chevalier vom Schiff zu gelangen.) Mit solchen KlamaukEinlagen würzt man das ansonsten sehr literarisch orientierte Programm.
Sein Improvisationstalent stellt das Ensemble unter Beweis, als eines Abends der avantgardistische Regisseur Meyerhold direktemang aus Moskau im Publikum sitzt. Rudolf Platte obliegt es, den prominenten Besucher zu veralbern: Er deklamiert den „Wilhelm Tell“, wobei er aufs akrobatischste Grätsche, Handstand, Hocke & Purzelbaum vorführt. Der Gast aus Rußland habe sich amüsiert, heißt es anderntags. Finck jedenfalls kommentiert raffiniert fahrig vom Podest: „Entgegen unserem Herzklopfen gefiel sie (die Parodie) ihm wirklich. Er hat sich glänzend unterhalten - mit seinem Nachbarn, und am Schluß am heftigsten applaudiert. Hinterher erkundigte er sich sogar noch, was das gewesen wäre.“
Das mögen sich die Zuschauer auch erst mal gefragt haben, als Kate Kühl, bekannt als Interpretin des „Surabaya Johnny“, plötzlich eine heftig veränderte Fassung ihres ErfolgsChansons zum Besten gibt, den Song & Brecht & sich selber gleich mit auf die Schippe nimmt: „Du kamst aus den Wäldern bei Pirna./ Du sagtest nicht Frau, sondern Weib./ Du warst tätowiert wie ein Seemann./ Du hattest nichts Warmes im Leib./ Du sagtest, du wärst viel auf Reisen,/ und du führest zu Schiff über Land,/ und du hättest Muskeln aus Eisen,/ und auch sonst hättest du allerhand ... mein Gott, my God, mon Dieu./ Du sagtest, du wärst ein Verbrecher/ und hättest die Konzession/ als vereidigter Messerstecher./ Ich glaubte dir jeden Ton./ Du versprachst mir, mich zu ermorden./ Du stachst mich schon in die Haut./ Es ist nichts daraus geworden./ Du hast dich nicht getraut.“
Nach dem Brechtschen Original und jenem von Hollaender („Johnny, wenn du Geburtstag hast“) befördert Erich Kästner somit Johnny Numero drei auf die Kleinkunstbühne.
Die allabendliche Situation nach dem Januar 1933 beschreibt Finck so: “ Man brauchte nur mit einem kleinen Hämmerchen an ein kleines Glöckchen schlagen, schon übertrug sich das wie das Läuten einer Sturmglocke.“
Einmal dröhnt sie los, als er im Rahmen einer Conference erzählt, er habe in seinem Garten ein Bäumchen mit zartem, ganz dünnem Stämmchen gesetzt. Dies sei Dill, habe ihm jemand erklärt, woraufhin er in die Baumschule marschiert sei, sich nunmehr einen richtigen Sprößling zu besorgen. Der Steckling einer Eiche sollte 150 Mark kosten. Das sei doch Wucher, meinte Finck. Wenn das der Führer wüßte! Darauf der Verkäufer: „Das ist ja auch keine gewöhnliche Eiche. Das ist eine Hitler-Eiche, die kann tausend Jahre alt werden.“ Der folgende Finckenschlag, das sei doch wohl Vertrauenssache, führt zum Verbot dieser Passage.
Am Abend drauf tritt er ganz harmlos auf die Bühne und entschuldigt sich. Er sei nun doch mit dem Wachstum der Eiche sehr zufrieden: „Vor ein paar Monaten war sie noch ganz klein, gerade bis zu meinen Knöcheln, dann reichte sie mir bis an die Knie, und jetzt steht sie mir schon bis zum Hals.“
Nun wird bisweilen eine Pointe zugelacht, oder die Herren, die da unten an den Tischen sitzen und eifrig mitschreiben, haben aus irgendwelchen Gründen Bahnhof verstanden. In solchen Fällen beugt sich der Herr des Hauses stets hilfsbereit über die Rampe und fragt: „Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?“
Norbert Tefelski
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