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EXTRALORDSCHEISSE

■ Valerij Bugrovs „Lichtfeld“ auf dem 17. Juni und „Zeichnungen“ in Galerie Aedes

Nevada, heute

Es war nur einen winzigen Augenblick ganz anders, so wie in „Strange Connection“. Truffaut und seine Gesellen tauchen in das Lichtfeld ein, und Kindskopf Spielberg konstatiert: „Wir sind nicht allein.“ Dann wird einem schwarz vor Augen.

Lichtfeld, Straße des 17. Juni, 21.30 Uhr, freitag.

Der Kleinbürgerrummel. Es wird gesoffen, daß es kracht. Extralordscheiße gepafft. Die Gruppe AOK, Sektion Kanaren, vergleicht die Bräune mit der schrumpeligen Killeralgenhaut aus der Barmer Ersatzkasse. Ein paar graumelierte Rolexuhren stürzen „Absolut Vodka“, weil das „Boss-Hemd“ die „Young Collection“ von C&A aufreißen will. Die Musikboxen dröhnen. „Lanson-Sekt“ gibt es - by appointment to Her Majesty Queen Elisabeth II. Kann für zehn Mark pro Glas gegurgelt werden. Schultheiss natürlich, wo sind wir denn. Weiter hinten stehen die noch ausgeschalteten Neonsäulen des Installationskünstlers Valerij Bugrov und sehen wie Streichhölzer aus, beinahe zerbrechlich. Daneben hockt, wie eine riesige, fette Kröte die zum Bierzelt aufgeblasene Bonbonniere der „Lord Extra Funtasy Company“, ein niederträchtiges Tingeltangel, wie sich zeigen wird, für das die Neonstangen den Heiligenschein abgeben müssen. „Eine tempogeladene und fantasievoll inszenierte Live-Show mit hinreißenden Tanzszenen und rasanter Musik“, wie das Programm androht.

Dann: Auftritt Stadtrat Schmidt, Tiergarten. Er dankt Bugrov. Ab. Auftritt der rot-grüne kulturelle Staatssekretär. Er dankt Bugrov. Dann dankt er noch sich selbst, weil er so spontan gekommen ist. „Wir reagieren unkonventionell“ (Pfiffe). Ab. Auftritt Valerij Bugrov. Er dankt „Lord“, dankt Schmidt-Tiergarten, dankt Rot-Grün, dankt ... Dann, umgeben von Lordvertretern: „Los!“ „Geheimnisvoll rot leuchtende Neonstäbe verzaubern Berlin. Magie gegen Historie. Industrielle Ästhetik gegen urbanes Umfeld. Verfremdung und Vision. Ein leuchtendes Beispiel fantastischer Kunst.“ (Aus dem Lord Extra Programm) Alle: „Aaaahhh!!!“ Irgendjemand schießt in Ost-Berlin eine Leuchtrakete ab, will vielleicht rüber. Allgemeines Herumtapsen zwischen den zwölf Meter hohen Glimmstengeln, nix Lichtdom und so, daß die Augen weh tun, und ab ins Zelt.

Endlich, die eigentliche Show: Kempi-Boys zapfen Bier, verschütten süßen Sekt und rauchen heimlich Marlboro. Blondchen schleppen Freßplatten. Der SFB-Reporter hat seit Wochen nichts mehr zu essen gekriegt, so haut der rein. Lasereffekte wirbeln um die Zeltdecke, jeder gibt jedem die Hand, come together, entblößt sein Gebiß. Weil sich ein paar rote Schnapsnasen partout nicht ins Zelt zwingen lassen und die ästhetische Irritation im Stadtraum nicht zu fassen kriegen, geht drinnen die Show erst spät ab: Auf einer Bühne, die aus einem dichtgemachten Schuppen in Las Vegas geklaut sein könnte, tanzt eine wackelige Ballerina eine Minute lang „Das sterbende Schwein“ und ruft nach jeder Drehung ins Publikum „Eh!“ Dann, als hätten sich argentinische Gauchos in ein Fitnesscenter verirrt, so sind die kostümiert, stolpern drei Tangopaare auf den Bühnenrand und brüllen auch „Eh!“. Schließlich, im wie gelähmt wirkenden Publikum toben Anheizer, wird das Finale zu einer wilden Hetzjagd aus Säbeltanz und Fernsehballettgrinsen, wobei die Akteure versuchen, so angestrengt dramatisch zu gucken, daß man meint, sie hätten die Basedowsche Krankheit. Gerahmt wird das Spektakel vom Stakkato der Lord-Extra -Werbefilmmusik und Bildern des unsäglichen Spots, wo das eine dumme Paar sich mit dem anderen dummen Paar zum Segeln trifft. Als Schluß ist, klatscht der rot-grüne Staatssekretär begeistert, aus Blödheit oder Naivität oder beidem. Das Gerücht ging um, daß der Künstler Bugrov zwischen den Neonstangen herumirrend aufgegriffen wurde, und ein mir bekannter Mensch mußte sich vor dem Zelt übergeben, rot illuminiert.

Neunzig Mille vom kleinkarierten Vordrängler, der mit Zigaretten Geld und aus Kunst Scheiße macht. Sie haben Bugrov verarscht, verraten und verkauft. Sie haben ihn angeritzt, wie seine eigenen Bilder den städtischen Körper aufritzen, denn er ist ein guter Zeichner, wie man in der Galerie Aedes sehen kann. Zuckende, schnelle Silhouetten rasen wie im Karussell vorbei, machen aus Festem eine Kreisbewegung, die alles verschwimmen läßt. Nur ruhelose Linien. Die fette Kontur ist Schraffe. New York oszilliert, Perrets Hochhäuser taumeln um sich selbst, die Stadt scheint in die Horizontale gerutscht, eine einzige Turbulenz. Dann, irgendwo, platzt die Graphitwelt auf, reißt die Haut. Acryl tropft wie Blut. Ein paar phosphoreszierende Spritzer in der Stadtlandschaft, die nicht mehr hält. Die Welt ist kaputt, strahlt im digitalen Wahn, hat offene Wunden.

In der Ausstellung „Zeichnungen von Valerij Bugrov“, die zeitgleich zum „Lichtfeld“ stattfindet, lassen die Yuppi -Manager aus Hamburg (Motto: Kunst ist, was geil ist) ein drittklassiges Bugrov-Video durchs Gewölbe dröhnen. Hektisch, laut, heavy metal: Totale. Irgendwo verhungert ein lebendiger Punkt. Jetzt bewegt er sich. Zoom und ran. Bugrov lacht in die Kamera. Schnitt, mitten in die Bewegung. Mist. Dann im Bum, Bum Bum Halbnahe, schräg von unten. Bugrov vor der Leinwand, wieder lacht der Russe. Luftaufnahme über der Außenalster. Grandios. Ein filmisches Erdbeben auf der nach unten offenen Wolf-Gremm-Skala. Abspann „Wir danken...“ Davor steht ein Krankenbett, aus dessen weißen Laken rote Neonnadeln schießen und sich durch einen gläsernen Körper bohren. That's sponsoring!

rola

Das Lichtfeld ist bis zum 23.9. auf der Straße des 17. Juni zu sehen, täglich ab 21 Uhr, die Show im Zelt ab 18 Uhr. Die Zeichnungen sind bis zum 12.9. in der Galerie Aedes, S -Bahnbogen 600, täglich 10-18 Uhr, ausgestellt.

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