: Viel Lärm um nichts?
■ Senat hat Flughafenausbau noch nicht zu den Akten gelegt / Lufthansa macht Gutachten / Hoffnung auf „Kompromiß“ bei Flugstreichungen: Nur „der eine oder andere“ Flug soll raus / Alliierte für lärmarme Flugzeuge und gegen Streichungen
Vor zwei Wochen krachten Bonn und Berlin in der Debatte um die Streichung von Berlin-Flügen heftig aufeinander - doch vielleicht war alles nur viel Lärm um nichts. Im Rathaus Schönberg stehen die Zeichen jedenfalls auf Rückzug. Nicht nur der Vorschlag, 36 Flüge zu streichen, steht zur Disposition, sondern auch der großartig verkündete Stopp der Flughafen-Erweiterung.
Der Ausbau des Flughafens Tegel sei noch nicht vom Tisch, bestätigte gestern Wolfgang Göbel, der Sprecher von Verkehrssenator Wagner (SPD). In Wagners Auftrag prüft die „Lufthansa Consulting“ zur Zeit, welche Platzreserven in den bestehenden Flughafengebäuden aktiviert werden könnten. Auf der Grundlage dieses Gutachtens und eines Flugverkehrskonzeptes will der Senat dann entscheiden, „welche baulichen Änderungen im Flughafen notwendig sind“. Wirtschaftssenator Mitzscherling, ebenfalls SPD, hatte dies bereits am Freitag kundgetan. Nach seinen Worten ist der Senat bestrebt, auch „wachsende Passagieraufkommen reibungslos zu bewältigen“.
In Sachen Flugstreichung hofft man im Rathaus Schöneberg mittlerweile auf einen „Kompromiß“ mit den Luftfahrtattaches der drei Westalliierten. In der Frage der „Notwendigkeit von Umweltschutz“ seien die Attaches „mit dem Senat gar nicht so sehr auseinander“, erklärte gestern auch der US -amerikanische Attache Daniel Weygandt. Allerdings gebe es verschiedene „Ansichten über die Wege dahin“, fuhr der US -Diplomat in einem Interview der 'Morgenpost‘ fort. Nach Meinung von Fachleuten sei „das Lärmproblem nicht mit der Streichung von Flügen wirksam zu lösen, sondern unter anderem mit dem Einsatz von lärmarmen Flugzeugen“.
Dabei berufen sich die Alliierten offenbar auch auf den Berliner Akustik-Ingenieur Wolfgang Moll, der kürzlich erklärt hatte, „der sinnvolle Ansatz für eine nachhaltige Reduzierung des Fluglärms“ liege beim Einsatz lärmarmer Flugzeuge. Die vom Senat vorgeschlagene Kürzung der Flüge um 15 Prozent bewirke lediglich „eine kaum spürbare Pegelminderung“ von einem Dezibel. Moll wies darauf hin, daß eine alte Boeing 727-200 ebensoviel Lärm erzeuge wie acht Airbusse oder 64 Turboprop-Maschinen des Typs ATR 42.
Die betroffenen Anwohner hatten diese Argumentation jedoch zurückgewiesen. „Richtig gerechnet - falsch bewertet“, kommentierte Thomas Stephan von den „BürgerInnen gegen das Luftkreuz“ Molls Erklärung. 15 Prozent weniger Starts und Landungen bewirkten eine weitaus spürbarere Entlastung, als es der rechnerische Wert „ein Dezibel“ suggeriere. Die Anwohner können außerdem auf schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit verweisen. So stieg zwar die Zahl der Starts und Landungen mit lärmarmen Maschinen von 800 im Juni 1988 auf 1.526 im Juni 1989; die Zahl der Starts und Landungen leiser Turboprops kletterte von 1.053 auf 2.301. Doch damit nahm zwar der Anteil lärmarmer Flieger zu, die absolute Zahl der Flüge lauter Maschinen nahm im selben Zeitraum jedoch nicht ab. Mit 4.768 (Juni '89) Flugbewegungen blieb sie im Vergleich zu den 4.498 Flügen im Juni '88 konstant hoch. Ihr Lärm blieb - und der Krach „lärmarmer“ Maschinen kam noch hinzu.
Bundessenatorin Pfarr (SPD) hatte in der Vergangenheit deshalb stets darauf beharrt, daß Streichungen unumgänglich seien. Der Einsatz moderner, leiser Maschinen sei nicht von heute auf morgen zu erreichen. Doch mittlerweile hat man im Senat die Hoffnungen zurückgeschraubt: „In Kombination“ mit dem Einsatz kleinerer, leiserer Flieger könnte im Rahmen eines Kompromisses auch „der eine oder andere Flug“ gestrichen werden, heißt es im Rathaus Schöneberg.
hmt
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