Herbstlaub mitten im Sommer

■ Straßenbäume lassen jetzt schon ihre Blätter fallen / Stadtgifte lassen den Herbst zwölf Wochen zu früh einsetzen / Baumschützer: Bäume nicht anpinkeln, sondern gießen

Bunte Blätter fallen, graue Nebel wallen... ein Herbstlied. In Berlin ist Hochsommer, wallende Nebel noch in weiter Ferne, dennoch rieseln bereits unablässig braune Blätter von Straßen- und Parkbäumen. Es fällt nicht so richtig auf, da die Gartenbauämter sofort mit der Harke zur Stelle sind. Die Berliner Baumschutzgemeinschaft hält diese schnelle Beseitigung des Laubes für eine „überholte preußische Tugend“, sie plädiert dafür, das Laub liegen zu lassen als „Mahnung“ an das Ausmaß der Umweltzerstörung. Zwölf Wochen früher als „normal“ ist ihrer Meinung nach der Herbst der Bäume in diesem Jahr eingetreten. Noch vor sieben Jahren begann der vorzeitige Blattabfall „erst“ fünf bis sechs Wochen vor dem üblichen Herbstanfang.

Die Baumschützer führten bei einem Tiergartenspaziergang das erschreckende Ausmaß der „Früh-Vergreisung“ vor, ein „Trommelfeuer“ verschiedener Schadfaktoren läßt die Bäume am Ende völlig verkahlen: Luftschadstoffe, Autoabgase, Langzeitablagerungen von Tausalzen im Boden, Grundwasserabsenkungen bei Baumaßnahmen, Hundeurin und zusätzlich die große Trockenheit. Ein augenfälliges Beispiel für gedankenloses Vorgehen bei Bauarbeiten konnte an der Altonaer Straße besichtigt werden. Dort wird - direkt im Pflanzenbereich - zum Abpumpen des Grundwassers ein defekter Generator eingesetzt, der Öl absondert. Obwohl Baumschützer, Umweltkripo und Gartenbauamt bereits vor zwei Wochen auf die gefährliche Verschmutzung aufmerksam machten, fängt nach wie vor ein schlichter Kücheneimer das Altöl auf. Jeder x -beliebige Passant kann den Eimer umstoßen.

Der Biologe Wolfgang Endler erklärte entlaubte Äste, an deren Spitze noch einige Blätter prangen, als „Staubwedelsyndrom“. Er zeigte „verkorkte“, abgebrochene Zweige, denen nicht der Wind, sondern der eigene Stamm den Garaus machte, da er die über die Blätter aufgenommene Schadstoffkonzentrationen nicht mehr verkraften kann. Die Wachsschicht der Blätter ist zerstört, der Herbst zeigt sich nicht mehr in leuchtenden Farben, sondern in schmutzigbraunen Rosttönen. Klaus Piala und Giesberg Lange von der Baumschutzgemeinschaft appellieren deshalb an die Stadtbewohner, sich verantwortlicher gegenüber dem Grün zu verhalten. Jeder einzelne könnte Bäume vor Autoabgasen und Hundeurin verschonen. Eine Baumpatenschaft, die besonders in der Hitzeperiode regelmäßiges Wässern erforderlich macht, würde ihrer Meinung nach den notleidenden Bäumen helfen. An die Gartenbauämter ergeht die Aufforderung der Baumschutzgemeinschaft, die Arbeitskräfte „nicht zum Ersäufen von Rasenflächen und Laubharken“ einzusetzen, sondern zugunsten der besonders gefährdeten Bäume.

Sigrid Bellack