Märchenerzähler contra Saubermann

■ Am Dienstag schloß die türkische Regierung ihre Grenze zu Bulgarien

Tragödien spielten sich am türkisch-bulgarischen Grenzübergang Kapikule ab. Persönliches Hab und Gut blieb zurück. Um jeden Preis sich in die Türkei rüberretten, hieß die Devise. Asiye Ahmet konnte noch in die Türkei einreisen: „Wenn ich an meine Kinder drüben denke, werde ich verrückt“, sagt sie.

310.000 Menschen sind in den vergangenen Monaten aus Bulgarien in die Türkei geflüchtet. Sie wollten der Zwangsbulgarisierung entrinnen, der Assimilationspolitik, mit der das bulgarische Regime ihrer kulturellen Identität den Garaus machen will. Flucht aus einem Staat, dessen Beamte in Schulen kontrollieren, ob Kinder - nach moslemischem Glauben vorgeschrieben - beschnitten sind. Flucht vor dem „sauberen“ Bulgarien, wie es der bulgarische Staatspräsident Jivkov will: slawisch, christlich und sozialistisch.

Ein Märchenerzähler hat die türkische Minderheit Bulgariens zur Flucht ermuntert und in die Türkei gelockt - der türkische Ministerpräsident Turgut Özal: „Auch wenn eine Million oder zwei Millionen kommen, sind unsere Grenzen offen. Jivkov blufft. Ich werde alle aufnehmen. Die Türkei wird immer stärker. Am Ende des Jahrhunderts haben wir 75 Millionen Bürger.“ Die Propagandamaschine wurde in Gang gesetzt: die Türkei - Hort der Menschenrechte und bereit, elende Flüchtlinge aufzunehmen, Bulgarien Menschenrechtsverletzungen und Staatsterror.

Jetzt Visazwang. Nur als Touristen für beschränkte Zeit dürfen Angehörige der türkischen Minderheit aus Bulgarien in die Türkei. Diejenigen, die sich vor der Weltöffentlichkeit berufen fühlten, Menschenrechte und Humanität einzuklagen, sind jetzt anderweitig beschäftigt: An den Grenzübergängen wird Polizei aufgestockt.

Schachbrettfiguren ähnlich werden Menschen hin- und hergeschoben. Der bulgarische Staat kann - jetzt erst recht

-sein Assimilationsprogramm fortsetzen: „Da habt ihr es, die Türken wollen euch nicht.“ Die Hungerlöhne in der Türkei sind nach Ankunft von 310.000 Menschen ohnehin in die Tiefe gedrückt. Menschenhändler sind auf der Suche nach Arbeitskräften. „Schöne, junge, unfruchtbare Mädchen“ sind im Zeltlager Gebze gefragt.

Ömer Erzeren