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Nullsummenspiel

...oder offener Machtkampf in der Union  ■ K O M M E N T A R E

Betrachtet man isoliert die Personalentscheidung des angezählten Bundeskanzlers, Heiner Geißler durch Volker Rühe auszuwechseln, dann ist es auf den ersten Blick ein politisches Nullsummenspiel, verknüpft mit einem möglichen politischen Themenwechsel der CDU. Ist Rühe doch einer der wenigen Außenpolitiker der Union. Bei der alten Rechten in der eigenen Partei wird er sogar ab und an „Genscherist“ genannt. Will Kohl damit andeuten, daß er die Wahlkämpfe auf dem Feld der Außenpolitik bestreiten will? Soll das ein Rezept gegen die REPs sein? Jedenfalls hat Rühe keinerlei Erfahrung mit dem Parteiapparat, Kohl vielleicht auch keine allzu große Auswahl mehr. Vor einem Jahr noch versuchte Rühe erfolglos auf offener Bühne dem deutschnationalen Wehrmachtsoffizier Dregger den Fraktionsvorsitz streitig zu machen. Sein Scheitern sagt etwas über sein Gewicht in der Partei aus. Aber was besagen solche Charakterisierungen der Person, solch mühsam aus Archiven zusammengekratztes Profil, für die politische Perspektive der Konservativen und dieses Kanzlers?

Ein altes Sprichwort besagt, im Strom wechsele man nicht die Pferde. Mit anderen Worten, Kohls Niedergang wird durch diese Personalentscheidung keinesfalls aufgehalten. Denn ein wirklicher politischer Richtungswechsel ist damit nicht auszumachen. Vielmehr deuten die heftigen Reaktionen aus seiner Partei darauf hin, daß die CDU sich noch vor der Bundestagswahl von ihrem Kanzler emanzipieren könnte. Auch die Art und Weise, wie diese Entscheidung einsam und offenbar völlig an der Partei vorbei von ihm getroffen wurde, könnte ein Indiz dafür sein, wie er sich von der Partei isoliert hat. Vor allem aber zeigen die Reaktionen aus der Partei, daß die Union immer stärker in zwei große Blöcke zerfällt und damit die innerparteiliche Machtfrage auf die Tagesordnung des Bremer Parteitages in knapp einem Monat gerückt ist. Wenn Kurt Biedenkopf in einem Interview für Ämtertrennung zwischen Parteivorsitz und Kanzler plädiert und sogar noch einen Wechsel des Kanzlerkandidaten für 1990 für möglich hält, dann ist faktisch auch nach der Erklärung Geißlers die Machtfrage in der Union gestellt.

Oskar Lafontaine kann das nur recht sein. Wird ihm doch, vor allem von links, immer wieder unterstellt, er wolle weder eine Neuauflage einer sozialliberalen Koalition noch gar ein Reformbündnis mit den Grünen. Sollte Kohls Niedergang unaufhaltsam fortschreiten - und vieles deutet darauf hin - dann eröffnete sich eine Option für 1990, die uns noch einiges Magengrimmen verursachen könnte. Denn wenn die CDU tatsächlich weiterhin verliert und die REPs nicht zu bremsen sind, dann könnte 1990 eine Nach-Kohl-Ära beginnen, in der sich ein Block der Mitte, bestehend aus dem modernistischen Teil der Union um Blüm, Süssmuth, Geißler, Fink, mit der Lafontaine-SPD die Macht teilt, eine nicht ganz große Koalition mit gesicherten Mehrheitsverhältnissen in den 90er Jahren den Umbau der Industriegesellschaft angeht. Die Grünen müßten sich dann warm anziehen und sich die Oppositionsbänke mit den Waigels und Schönhubers teilen. Ein Alptraum für die Republik.

Max Thomas Mehr

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