: Daß es richtig aussieht
■ Ein Gespräch mit Rutger Hauer, dem Hauptdarsteller von Philip Noyce‘ „Blinde Wut“, der zur Zeit in den Kinos läuft
Eine nicht unbegabt inszenierte, oft schockierende, streckenweise ekelerregende Mischung aus krassem Sex, genüßlichem Sadismus und Melodramatik“, schreibt die katholische Filmkritik („Lexikon des internationalen Films“) über „Türkische Früchte“ von Paul Verhoeven (1973). Rutger Hauer spielt die männliche Hauptrolle. Der Film lief in München anderthalb Jahre und damit länger als „Cabaret“ oder „Der letzte Tango von Paris“.
Rutger Hauer ist Holländer, vorher hatte er nur in einer Fernsehserie mitgespielt. Einige Jahre arbeitete er in Basel am Theater als Bühnenbildner und tingelte danach mit einer freien Theatergruppe durch die Niederlande. Man spielte in der Provinz auf Stühlen und Billardtischen.
Mit „Blade Runner“ (1984) hatte er seinen ersten internationalen Kinoerfolg. Er spielte die Hauptrolle in „The Hitcher“ und den heiligen Trinker in Olmis Joseph-Roth -Verfilmung („Die Legende des heiligen Trinkers“, Goldene Palme Venedig 1988), und demnächst kommt „Salute of the Jugger“ auf die Leinwand, die erste Regiearbeit des Drehbuchschreibers von„Blade Runner“ und „Ladyhawke“, ebenso der neue Film von Lina Wertmüller, mit Faye Dunaway. Rutger Hauer spielt hier einen Journalisten, der entdeckt, daß er HIV-positiv ist.
„Blinde Wut“, Hauers neuer, ist gerade in unseren Kinos angelaufen, von der Kritik ungeliebt. „Blinde Wut“ hat ein ernstes Problem: die Ironie. Der Film wildert quer durch die Genres, ein bißchen Großstadtthriller, auch Actionfilm mit Vater-Sohn-Herz-und-Schmerz-Story, Asphaltcowboy und blindem Samurai als Supermanpersiflage. Kein cineastisches Meisterwerk, aber schnell und witzig, nicht ganz ernst zu nehmen. Ein Film wie ein Comicheft. „Wir wollten einen Fun -Film machen. Die Balance zwischen leicht ernst und leicht albern ist manchmal schwer zu erreichen“, sagt Hauer.
Rutger Hauer: Die Idee zu dem Film wurde aus einer Serie entwickelt, die vor 26 Jahren entstand. Der Hauptdarsteller war Japaner. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der fast alles, was wir benutzen, japanisch ist. Mir gefällt die Ironie bei der Sache. Zum Beispiel einen Amerikaner zu spielen, der verrückt wird und sich in einen Samurai verwandelt, das finde ich sehr komisch. Ich mag die Leichtigkeit. Die Figur hat überhaupt keine Schwere. So einen liebenswürdigen Chararkter habe ich noch nie gespielt.
Dieser amerikanische Samurai ist blind, wie haben Sie sich vorbereitet?
Ich habe mit einem Blinden gearbeitet. Ein 35jähriger Schwarzer, der sich gerade für den Judowettkampf bei einer Blindenolympiade vorbereitet hat. Er sammelt noch Geld für diese Veranstaltung, und ich habe ihm vorgeschlagen, daß ich das Geld besorge und er mir bei der Rolle hilft. Einen Monat haben wir zusammen verbracht. Er führte mich mit verbundenen Augen auf die Straße, und ich lernte, mich mit dem Stock zu orientieren. Die Schwierigkeit ist, die Blindheit gewahr werden zu lassen, ohne sie als Hauptsache ins Blickfeld zu rücken.
Konnten Sie vorher schon mit dem Schwert kämpfen?
Nein, ich habe zwei Monate vor Beginn des Films angefangen, das zu lernen. Während der Filmarbeiten mußte ich jeden Morgen trainieren.
Dann sind Sie jetzt gefährlich.
Nein, nein. Ziel der Übungen war, daß es richtig aussieht. Beim richtigen Kampf sind einige Bewegungen zu schnell, andere zu langsam. Das Echte wirkt im Film nicht immer überzeugend.
Sie sind in einer Schauspielerfamilie aufgewachsen. War Ihnen das nützlich?
Ich habe gelernt, die Grundvoraussetzungen für den Schauspieler zu verstehen.
Welche sind das?
Der Schauspieler braucht ein Zentrum aus Wahrhaftigkeit, an dem er seine Ehrlichkeit und die Ehrlichkeit des dargestellten Charakters messen muß. Ich habe von Anfang an versucht, Posen zu vermeiden.
Ehrlichkeit vor laufender Kamera? Gerade eben habe ich Sie bei der Fotosession beobachtet, das wirkte doch eher etwas verkrampft.
Fotografieren ist etwas anderes. Da gibt es keine Figur zu verkaufen, da bin nur ich. Von einem Schauspieler als Persönlichkeit erwartet man immer die Erfüllung eines bestimmten Programms: Du mußt entweder das Image deiner Rolle bestätigen oder lächeln, actors have fun. Was natürlich stimmt, aber man muß ja nicht immer grinsen, wenn man Spaß hat.
Wenn ein Film abgedreht, im Kino gestartet und im Videoshop erhältlich ist, ist er dann für Sie erledigt?
Nein, ich bereite zum Beispiel im Moment eine Vorlesung vor, die ich im Dezember in Kuba beim Filmfestival halten werde: über Blade Runner. SeitThe Hitcher mache ich von jedem meiner Filme ein Video. So eine Art Videoautobiograhie. Vielleicht werde ich die Vorlesung da mitverarbeiten und zusammen mit meinen Tagebuchaufzeichnungen veröffentlichen. Man könnte sehen, wie Filmarbeit wirklich funktioniert: einen Blick durchs Schlüsselloch tun. Ein Film will doch etwas glauben machen, aber der Vorgang der Herstellung ist so ähnlich wie Kochen. Warum denken die Leute nur, daß es etwas Aufregendes sei?
Das wird dann eine Selbstentlarvung werden?
Ein authentisches Porträt von mir. Es zeigt, wie ich arbeite. Ich habe schon ein bißchen Angst davor, weil alle Probleme und Schwierigkeiten festgehalten sind. Da die Videokamera so unauffällig ist, hat man nicht das Gefühl, beobachtet zu werden.
Ich in gespannt.
Ich werde es natürlich erst verkaufen können, wenn ich sehr berühmt bin.
Ich dachte, das seien Sie.
Nein, noch nicht wirklich. Allerdings hat bisher noch kein europäischer Schauspieler erreicht, was ich erreicht habe.
Hat man Vorteile als Europäer im Hollywoodbetrieb?
Ja, die können einen Europäer nicht so leicht festlegen. Die Amerikaner erlauben mir, eine extrem große Bandbreite an Rollen zu spielen, mehr als ihren eigenen Schauspielern. Natürlich versuchen sie immer, mich einzuordnen: Du spielst immer bad guys. Amerika ist beeinflußt von Disney: Es gibt immer nur die Guten und die Schlechten. Ambivalenz ist doch eigentlich ein ganz einfaches Konzept, wir kennen das in Europa, in Amerika begreift man das nicht ohne weiteres. Wenn eine Kinofigur, die einen guten Charakter hat, schwarz gekleidet ist, bekommst du die Reaktion: ...? Hmm, ...interessant.
Ihr Lieblingsfilm?
Die Legende des heiligen Trinkers mag ich sehr. Die europäische Version von Bukowski. Barfly. Olmi sagte mir, er sei an den emotionalen Prozessen interessiert, nicht an den Wörtern. Da dachte ich, das ist der Mann, auf den ich gewartet habe. Ich finde oft, daß die Texte im Weg sind. Ich streiche häufig aus meinen Dialogen die Scheiße raus manchmal braucht man sie allerdings auch -, deshalb sind meine Darstellungen auch intensiv. Filme funktioneren erst, wen man das Material kondensiert.
Einige Kritiker schrieben, Sie sähen zu gut aus für die Rolle.
Fuck them!
Wonach suchen Sie Ihre Rollen aus?
Am Anfang kann man nicht aussuchen; wenn man nicht nimmt, was angeboten wird, ist man erst mal weg vom Fenster. Heute entscheide ich mich für eine Sache, wenn von ihr eine Energie ausgeht. Bei Blade Runner oder Salute of the Jugger hatte ich das Gefühl, die Charaktere brauchen mich; sie sagen mir, was ich tun muß. Was mir gefällt, ist, wenn der Drehbuchautor sagt, ich habe diese Szene geschrieben, aber ich weiß nicht, wo sie herkommt. Der Regisseur sagt, ich führe Regie, aber der Film sagt mir, was ich tun muß; und der Schauspieler sagt, ich weiß nicht, was ich mache, es kommt von der Figur.
Wer macht da den Film?
Es gibt eine fremde Kraft.
„Ecriture automatique“ im Filmgeschäft?
Jedes Ding hat eine spirituelle Kraft, machmal hilft sie, die Entscheidungen zu treffen. Dieser Beruf kann sehr lukrativ sein, sehr fremd und komisch, überflüssig und dumm, aber es gibt auch diese starke spirituelle Seite.
Das klingt antirational.
Joris Ivens sagt in seinem letzten Film, daß es bestimmte Dinge gibt, die man respektieren muß, und die haben ihren Grund in sich selbst. Intellektualität ist nur eine Sache der Intelligenz.
Was bedeutet das für einen Schauspieler?
Wenn ich eine Szene auf eine bestimmte Art spielen will und ich ein lausiges Gefühl dabei habe, dann muß ich es laufen lassen. Das Ego darf nicht im Weg stehen. Der Schauspieler ist wie ein Fluß. Das Ego wird durch diese Erfahrung gereinigt. Intellektualität hat für mich nicht funktioniert. Das emotionale und das rationale Zentrum leben zu sehr getrennt. Das ist der große Fehler der westlichen Welt, wir werden alle auf die Unabhängigkeit der beiden Teile trainiert. Weil das nicht zu trennen ist, verursacht das eine Menge Schmerzen.
Was hat diese Entdeckung für Sie bewirkt?
Es hat mich stark gemacht. Ich war vorher mit so vielen Dingen beschäftigt, die gefährlich werden können: Ich hatte eine Karriere als Filmstar vor mir, und da war das Geld ohne daß du es merkst, packt es dich an den Eiern.
Gunter Göckenjan
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