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RUHIGSTELLUNG

■ „Bad Religion“ im Quartier Latin

Gerüchte gingen um. HardCore-Legende aus Los Angeles. Vielleicht letzte Tour. Ein Wispern ging um in Läden wie dem Sexton, auch wenn kaum einer den Namen der Band vorher kannte, auch wenn es „Bad Religion“ schon seit neun Jahren gibt. So toupiert sich jeder seine Haare ganz besonders sorgfältig, zieht die abgefuckteste Jeans aus dem Schrank und schmiert sich noch ein bißchen Dreck ins Gesicht. Und schließlich sind alle da und füllen das Quartier bis zum Erbrechen.

Fast jeder im Publikum sieht mehr nach Rockstar aus als die fünf Gestalten auf der Bühne. Das aufgedonnerte Gesocks sieht gönnerhaft über die bewußte Stillosigkeit der Band hinweg, schließlich sind „Bad Religion“ Punk-Heroen, (Fast -)Erfinder von HardCore, verbanden mit als erste Punk und Metal und Speed, und damals durfte man noch ungefärbte, kurze Unfrisuren tragen.

Am ersten Tag erfand Sid Vicious den Punk. Am zweiten erschuf er den Pogo und am dritten das Stage-diving. Am vierten Tag zog er einem Fan vor der Bühne seinen Baß über den Schädel. Am fünften Tag schließlich setzte er seinem Leben ein Ende und sah, daß es gut war. Wir müssen jetzt damit leben.

Natürlich sind auch die ewig Junggebliebenen da, du darfst auch Stehengebliebene sagen, oder, wenn du ganz böse bist, Ewiggestrigen. Der erste Ton erklingt, und Pogo und Stage -diving beginnen. Immer rauf auf die Bühne, Anlauf, auf der Monitorbox abstoßen und dann, bevor man selbst aufmault, noch jemandem die Schuhe ins Gesicht drücken. Der Sänger spielt den Maniac, obwohl er aussieht wie ein Gebrauchtwagenhändler. Schon leicht dick um die Hüften, rollt er die hervortretenden Augäpfel, hält sich mehr als einmal den Zeigefinger an die Schläfe und drückt ab, als wolle er sagen, gebt dem Punk den Gnadenschuß.

Die Musik entwickelt ihre selbstzerstörerische, hemmungslose Wildheit, und das ist gut so. Jeder Anflug von Sentimentalität wird in anschließenden Geschwindigkeitsräuschen erstickt. Schüchterne Versuche von Melodiösität in schweren Metallgewittern zerfetzt. Wir spielen die Tradition der letzten zehn Jahre durch, reproduzieren die gleichen Rituale, drehen die stumpfen Stilmittel noch einmal durch den Fleischwolf unserer eigenen kurzen Geschichte. Nichts ist gegen „Bad Religion“ zu sagen, diese Musik ist wichtig, weil sie so einfach funktioniert. Was abstößt, sind die Umstände. Das Gewese, das gemacht wird, wenn Leute sich gegenseitig in der Gegend rumschubsen und sich möglichst schnell möglichst viel Bier in den Schlund kippen wollen.

Diese Musik bewirkt und soll bewirken, auf möglichst alles einen Haß zu kriegen und ihn dann gleich wieder loszuwerden, wenn man sich beim Rumhopsen weh tut. Durchaus Dinge, die okay wären, wenn das, was sich heutzutage Jugend schimpft, nicht nur in ihrem Käfig aus Leder und Gitarrensaiten ruhiggestellt würde.

Was bleibt, sind Oberammergauer Festspiele. Vergangene, bessere Zeiten werden heraufbeschworen, und die Musik ist nur noch Soundtrack zur Zelebrierung einer Revolution im Laufstall. Eigentlich könnten Punkkonzerte inzwischen auch staatlich subventioniert werden.

Thomas Winkler

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