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Mehr Souveränität für „erwachsene“ BRD

Der SPD-Sicherheitsexperte Egon Bahr fordert mehr Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland von den Alliierten  ■  Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - Die Souveränität eines Staates liegt darin, einem anderen den Krieg erklären zu können. Aber niemand von denen, die nun für die Bundesrepublik nach „mehr Souveränität“ gegenüber den Allierten schreien, will diesen Begriff so verstanden wissen. Statt dessen muß die politische Psychologie herhalten: „Nach 40 Jahren ist die Bundesrepublik erwachsen geworden, ihr sollten auch die Rechte eines Erwachsenen gegeben werden“, erklärt die hessische FDP-Fraktion.

Der deutsche Michel im Kinderlaufställchen, so zeigt ihn eine Karikatur im ÖTV-Report für die Beschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften - eine Untermalung der Klage über die eingeschränkten Rechte deutscher Arbeitnehmer in ausländischen Militärbaracken.

Bei einer Bundestagsanhörung der SPD am Mittwoch steigerte sich der Sicherheitsexperte Egon Bahr zu folgendem Vergleich: „Fellachentum“ sei es, wenn die Bundesdeutschen die heute erreichbare Souveränität gegenüber den Alliierten nicht einfordern würden. „Sollen wir noch einmal 40 Jahre warten?“ rief Bahr aus. Das wäre „unerträglich“ und „empörend“.

Daß die „deutsche Souveränität in den Panzerschränken von Washington, Paris und London“ liegt (Bahr), hat einen doppelten Grund: Nach dem offiziellen Ende der Besatzungszeit blieb es das Ziel der westlichen Siegermächte, einerseits neuen deutschen Großmachtambitionen einen Riegel vorzuschieben, und andererseits ihre militärischen Befugnisse in diesem Aufmarschgebiet für den Ost-West-Konflikt zu garantieren.

In der aktuellen Diskussion geht es vor allem um zwei Verträge, die diese alliierten Vorrechte festschreiben: einmal um den Deutschlandvertrag, seit 1955 in Kraft, und dann um das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut, das seit 1963 gültig ist. Der unkündbare Deutschlandvertrag garantiert den drei Westmächten oberste Gewalt über ihre stationierten Streitkräfte, über Berlin und über „Deutschland als Ganzes“ einschließlich der Wiedervereinigung und einer friedensvertraglichen Regelung. Das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut gesteht den Nato -Truppen eine Reihe von konkreten Sonderrechten zu, die sie in anderen Bündnisstaaten nicht haben.

Manche, wie zum Beispiel die Humanistische Union, fordern nun gleich eine Revision des Deutschlandvertrags, die zwar im Prinzip möglich ist, aber von Völkerrechtlern als außerordentlich schwierig eingeschätzt wird. In ihrer Erklärung läßt die Humanistische Union jeglichen Kontext deutscher Geschichte außer acht und beruft sich auf das aktuelle Beispiel osteuropäischer Staaten, die sich „erfolgreich auf ihre eigene Souveränität besinnen“: „Es gibt wahrlich keinen Grund dafür, daß die Bundesrepublik in dieser Entwicklung zurückstehen sollte.“

Da sind die Sozialdemokraten immerhin zurückhaltender: Sie wollen unterhalb der völkerrechtlichen Ebene erreichen, daß die Bundesdeutschen „de facto“ (Bahr) die gleichen Rechte wie andere Nato-Staaten haben. Deshalb fordern sie von der Bundesregierung, zumindest Teile des Nato-Zusatzabkommens neu zu verhandeln, und wollen dieses Thema andernfalls zum Gegenstand des Bundestagswahlkampfs machen. Eine Revision dieses Abkommens ist seit 1966 möglich. Warum sie von früheren SPD-Regierungen nicht in Angriff genommen wurde, erklärt Professor Dieter Schröder, Leiter der Berliner Senatskanzlei, so: „Zur Zeit der neuen Ostpolitik wollte man keine zweite Front aufmachen und fürchtete eine Interpretation als Antiamerikanismus.“

Allerdings machte die Anhörung im Bundestag deutlich, daß sich die Klagen über alliierte Vorrechte genauso gegen die Deutschen selbst wie zum Beispiel gegen die Amerikaner richten müßten. Dieter Deiseroth, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht, listete auf, wo überall deutsche Behörden ihre Spielräume gegenüber den Nato -Militärs nicht nutzen und auf Kontrollrechte verzichten: im Umweltschutz, bei der Landbeschaffung, bei der Genehmigung von Flugschauen und Manövern. Als Folge daraus, so Deiseroth, werden die „Rechtsschutzmöglichkeiten von Bürgern und Gemeinden verkürzt“.

Auch der rheinland-pfälzische SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping klagte: „Bundesdeutsche Behörden praktizieren gegenüber den Alliierten eine Politik des vorauseilenden Gehorsams.“ Drucksachen, die aus Washington frei erhältlich seien, würden zum Beispiel in Bonn mit einem Geheimstempel versehen. Scharping: „Gleichberechtigung erwirkt nur, wer sie selbstbewußt verlangt.“

Die SPD-Forderung an die Bundesregierung, durch „Klarstellungen“ einerseits und Neuverhandlung von Verträgen andererseits diese „Gleichberechtigung im Bündnis“ zu erreichen, stößt bislang auf taube Ohren. Für die Hardthöhe sind alliierte Vorrechte nur dann ein Thema, wenn es ihr ins politische Kalkül paßt: Als die Grünenabgeordneten Mechtersheimer und Beer das Giftgaslager in Fischbach inspizieren wollten, bekamen sie aus dem Verteidigungsministerium eine Absage - hilfsweise berief sich Staatssekretär Willy Wimmer (CDU), der sonst die volle Souveränität der Regierung betont, nun auf das Nato -Truppenstatut. Und entsprechend dem neudeutschen Zeitgeist nahm Alfred Mechtersheimer den Ball sogleich auf: Da zeige sich der „besondere Charakter der amerikanischen Streitkräfte als Besatzungstruppen“ und die „Ohnmacht“ der Bundesregierung.

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