: 300 Seiten für den Frieden
■ Eine Geschichtsschreibung aus der Sicht der Bewegung: 25 Jahre für den Frieden
Krisen haben manchmal auch produktive Seiten. Die Friedensbewegung geriet 1983 in eine solche, das war für Christoph Butterwegge der „Ausgangspunkt“ für ein 350 Seiten starkes Buch: „Friedenspolitik in Bremen nach dem zweiten Weltkrieg“. Aus Zeitungen und Flugschriften suchte er die Aktivitäten der Friedensgruppen zu rekonstruieren, und da die meisten Gruppen ihre Archive lieber vernichteten als sie staatlichen Stellen zu überlassen, konnte Innensenator und Parteifreund Peter Sakuth mit Material der Polizei oder des Verfassungsschutzes wenig dienen. 25 Zeitzeugen konnte Butterwegge aber ausführlich befragen, Material fand er auf Speichern und in Kisten in Kellern - „Privatarchive“ nennt die Wissenschaft solche Quellen etwas vornehm.
Auf über 300 Seiten sind nun unzählige Details aus 25 Nachkriegsjahren ausgebreitet
Wichtiges neben Unwichtigem. Der Text lebt von den vielen Namen. Da ist zum Beispiel 1962 ein IG Metall-Mann namens Heinz Meinking „als Einzelperson“ bei dem Ostermarsch mitgegangen. Oder ein Sozialdemokrat Hans Koschnick, Ende der 50er Jahre Mitglied der Internationale der Kriegsgegner (IdK), lehnte „Militär und Gewalt in jeder Form strikt ab“: „Alles das, was nicht 'koscher‘, also nicht auf Parteili
nie war, machten wir über die IdK“, erinnert sich Koschnick heute. 1965 hielt der Innensenator Koschnick die Festrede im Rathaus zur Begrüßung der Besatzung eines NATO -Lenkwaffenzerstörers, erinnert das Buch.
Jene Internationale der Kriegsgegner war es gewesen, die 1960 in Norddeutschland den „Ostermarsch“ als Institution einführte - eine der drei Gruppen kam aus Bremen (s. Foto), Ziel war das Raketen-Versuchsgelände Bergen -Hohne in der Lüneburger Heide. Butterwegge begleitet die
Ostermarschbewegung über die anfänglichen Erfolge in die Krise Ende der 60er Jahre. Mit der Erinnerung an die Erklärung 31 Bremer Pastoren, die sich mit Rudi Dutschkes Weihnachts-Aktion 1969 in der Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Westberlin solidarisierten, endet der historische Abriß, die 70er und 80er Jahre fehlen:
Er hinterfragt also nicht das verzweifelte Anrennen gegen den Rambo-Präsidenten Reagan. Die Friedensbewegung rechnete in „Endzeitstimmung“ fest mit ihrer Niederlage - und verfiel in neue
Ratlosigkeit angesichts der überraschenden Erfolge, die überhaupt nicht ins Weltbild der Friedensbegwegung paßten: Mit der Reform der Sowjetunion werden Parolen der Demonstrationen zur Realpolitik.
Das Buch kann gleichwohl „Mut machen“, sagt Christoph Butterwegge, denn diese Geschichte lehrt, daß die Friedensbewegung immer wieder geschafft hat, „aus der Talsohle herauszukommen“.
K.W.
Christoph Butterwegge, Friedenspolitik in Bremen, Steintor -Verlag.
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