AussiedlerInnen: Zeltlager und Feldbetten

■ Sozialbehörde baut Notunterkünfte aus Katastrophenschutzbeständen / Scherf: „Wir stehen mit dem Rücken an der Wand“

Die große Freiheit des Westens findet in Bremen ab sofort in Zelten des Katastrophenschutzes statt. In der Kleinen Marschstraße „weihte“ Sozialsenator Henning Scherf gestern die erste Bremer Zeltstadt für Aus- und ÜbersiedlerInnen ein. In den sieben Zelten auf einem Gelände des Deutschen Roten Kreuzes in Hemelingen zwischen Autobahnzubringer und Gewerbegebiet sollen künftig 50 Zuwanderer eine erste Notunterkunft bekommen. Schon in der nächsten Woche werden vermutlich die ersten

BewohnerInnen in die Feldbetten auf dem grünen Rasen „einziehen“.

„Das ist eine absolute Not-Notmaßnahme, eine einzige Katastrophennachricht“, erklärte ein betont zerknirschter Sozialsenator gestern während der Vorstellung des jüngsten Bremer Behörden-Projekts zur vorläufigen Unterbringung von Um- und AussiedlerInnen. „Wir stehen mit dem Rücken an der Wand. Wir wissen beim besten Willen nicht mehr, wie wir die täglich neu anreisenden Zuwanderer men

schenwürdig unterbringen sollen.“

Rund 150 Bremer NeubürgerInnen kommen derzeit Woche für Woche aus Polen, der Sowjetunion und der DDR mit nichts weiter als einem kleinen Köfferchen und ihren großen Hoffnungen. Höchstens 50 finden im gleichen Zeitraum eine eigene Unterkunft und verlassen die Übergangswohnheime.

Rund 20 Ausweichquartiere mit über 1.000 Betten sind in den letzten Monaten in leerstehenden Schulen, öffentlichen Gebäuden und Jugendherbergen geschaffen worden, weitere sind in einem Wohnheim der deutschen Bundesbahn und in der Villa geplant, die ursprünglich für ein „Stickmuster-Museum“ in Bremen-Nord vorgesehen war. Hotels sind - bis auf Nobelherbergen wie Plaza und Parkhotel - ausgebucht. Verhandlungen der Sozialbehörde mit dem Wertkauf-Markt in der Neustadt über ein leerstehendes Bürogebäude laufen. Allerdings: Für die Umnutzung ihrer Halle vom Waren- zum Aussiedlerlager erwarten die Wertkaufmanager im Gegenzug grünes Licht für eine Erweiterung ihres Supermarkts. Kommentar von Henning Scherf: „Politisch will das in Bremen keiner!“

Schwieriger als erwartet erweist sich auch die Beschaffung von Mobilbauhäusern: In der gesamten Bundesrepublik gibt es inzwischen lange Lieferfristen für die Schnellbau -Wohncontainer. 1.000 Unterkünfte wollte die Behörde mit den Baukasten-Häusern ursprünglich „ganz kurzfristig“ schaffen. Inzwischen gibt es Überlegungen, auf die Beschaffung von Wohnwagen umzusteigen.

Mit gemischten Gefühlen sieht Scherf deshalb auch der Rück

kehr von Bürgerschaftsab geordneten und Stadtteilbeiräten aus dem Sommerurlaub entgegen. Den Beiräten, weil sie mit der Errichtung der Zeltlager bislang noch gar nicht befaßt waren und sich bei ihrer Rückkehr vor vollendete Tatsachen gestellt sehen werden, den Abgeordneten, weil vor der Sommerpause noch nicht von Zeltstädten, sondern von Mobilbauhäusern die Rede war. Scherf: „Die haben geglaubt, da muß man ein bißchen politisches Spektakel machen und haben sich dann nach Gomera verabschiedet und gedacht, wenn wir wiederkommen, können wir uns die Häuser angucken.“

Einen Teilerfolg kann Scherf dafür an einer anderen Stelle verbuchen. Sein Senatskollege Konrad Kunick, der für den Senat im Aufsichtsrat der Gewoba (ehemals Neue Heimat) sitzt, hat Scherf versprochen, daß Gewoba-Häuser künftig nur noch an Mieter verkauft werden. Ganz auf die „Privatisierung“ von Wohnraum will die Gewoba zur Sanierung der eigenen Finanzen allerdings trotz Wohnungsnot

stand nicht verzichten. Absurdes Ergebnis: Während mit der „Bremischen“ die eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft verzweifelt Häuser auf dem privaten Immobilienmarkt ankauft, um sie an AussiedlerInnen zu vermieten, verkauft die zweite gleichzeitig Teile ihrer Wohnungsbestände.

Private Spekulanten warnt Scherf allerdings, die Wohnungsnotlage zu nutzen, um sich eine goldene Nase zu verdienen. Gegen „Wucherer“, die „auf kriminelle Weise die aktuelle soziale Notlage“ ausnutzen, erwägt Scherf sogar Strafanzeigen zu stellen: „Es ist unglaublich, welche Bruchbuden uns jetzt zu Phantasiepreisen bis zum 10fachen des üblichen Mietniveaus angeboten werden.“

Verdorben hat es sich der Sozialsenator übrigens schon jetzt mit den Bewohnern des DRK-Jungendwohnheims in Hemelingen, auf dessen Gelände die neue Zeltstadt steht. Sie empfingen den Senator gestern mit Protest-Transparenten gegen ihre neuen Mitbewohner: „Uns hat keiner gefragt.“

K.S.