: Radio 100 - Der Weg zum Endlosfunk
■ Am 1.September startet Radio100 sein Vollprogramm / Zweieinhalb Jahre mußten die Alternativfunker darauf warten / Am Anfang hatte der Sender nur vier Stunden täglich / Der zeitliche Aufstieg war mit Frequenzwechsel und Konkurrenzkrächen gespickt
Zuguterletzt haben sie es doch geschafft: Wenn Radio100 am 1.September rund um die Uhr auf Sendung geht, hat sich der Traum vom Vollprogramm von selbst erledigt - der real existierende 24-Stundentag im Äther ist an seine Stelle gerückt. Ganz selbstverständlich ist das nicht. Zweieinhalb Jahre Kampf um Frequenzen und Sendezeiten zeugen davon, daß das Anrecht auf einen kompletten Sendetag für Berliner Privatradios noch lange und für den Alternativfunk erst recht keine Selbstverständlichkeit ist. Die taz zeichnet noch einmal nach, wie es Radio100 trotz des Hickhacks im Berliner Äther gelang, nicht sang- und klanglos unterzugehen, sondern von anfänglich vier Programmstunden zum zukünftigen Endlosfunk zu mutieren.
„Hier ist Radio100, hier ist Radio100, wir grüßen alle freien Radios in Ost und West.“ So meldet sich der links -alternative Privatsender am 1.März 1987 zum ersten Mal zu Wort. Die fröhliche Stimme, die aus der Beletage im zweiten Stock der Potsdamer Straße131 über den Äther flötet, täuscht über den Krach hinweg, den die Radio 100-GestalterInnen schon vor dem Sendebeginn heraufbeschworen haben. „Wir wollen nicht als linkes Alibi fungieren und fordern deshalb mehr und bessere Sendezeit“ heißt es aus dem „Funkhaus an der Potse“. Stein des Anstoßes ist die werbeungünstige Sendezeit zwischen 19 und 23Uhr, die der Kabelrat dem „Szenefunk“ zugeschustert hat. Das Radio100-Team fühlt sich, dermaßen eingequetscht in das Programm des Kommerzsenders Radio „100,6“, schlichtweg verschaukelt. Die Folge: Der Alternativsender reicht Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Anstalt für Kabelkommunikation ein.
Scheinbar Geschmack am praktischen Gebrauch der Gesetzestexte gefunden, erteilt Radio100, gerade mal einen Monat auf Sendung, ihrem ungeliebten Frequenznachbarn auch noch einen juristischen Seitenhieb. Per einstweiliger Verfügung will die alternative GmbH der Schamoni -Sendegesellschaft verbieten, sich weiterhin fast gleichlautend „100,6“ zu nennen. Erfolglos. Mit der Begründung, der Sender sei im Aufbau und deshalb noch gar nicht rechtsfähig, bekommt Radio100 wenig später die gerichtliche Abfuhr frei Haus. Schamoni darf weiterhin seinen Seichtfunk „100,6“ bezeichnen und auf der gleichnamigen Frequenz abnudeln.
Neun Monate gehen ins Land bis Radio100 die Trennung vom gehaßten Frequenzpartner nicht nur verbal, sondern auch praktisch vollzieht. Widerwillig, jedoch um der längeren Sendezeit willen, wechseln die Funker von der Potse Anfang Dezember '87 auf die Frequenz 103,4. Die neue Sendezeit: Sechs Stunden in der Zeit zwischen 17 und 23Uhr. Daß der Kabelrat dem linken Sender den Wechsel von sich aus angeboten hat, dürfte wohl einer Initiative von „100,6“ zu verdanken sein. Der Kommerzfunk möchte das erreichen, was alle wollen: Ein 24-Stundenprogramm - was er nach dem Abgang von Radio100 dann auch bekommt.
Natürlich bleiben die Etagenfunker auch auf der neuen Frequenz nicht lange allein. Prompt zum Jahreswechsel 1988 geht das Verlegerprogramm „Radio in Berlin“ auf Sendung. Finanziert von den überregionalen Medienkonzernen Springer, Bertelsmann und Holtzbrink entfaltet sich der neue Nachbar mit Hang zur seichten Pop- und Plauderwelle zwar ebenfalls nicht als idealer Nachbar. Jedoch: die Koexistenz bleibt friedlich. Beendet „Radio in Berlin“ um 17Uhr sein Programm, werden die Radio100-Kollegen auch schon mal anmoderiert. Ganz im Gegensatz zu „100,6“, die mit eingeblendeter Nationalhymne und Fernsehtips ihr Nachmittagsprogramm beendet hatten und auf diese Weise den Hörer zum Umschalten provozierten.
Muß sich Radio100 fortan mit einem Sechs-Stunden Programm begnügen, platzt Anfang Mai dieses Jahres die Bombe, die den Run auf mehr Sendezeit ermöglicht. Frequenzpartner „Radio in Berlin“, der seinen Namen mittlerweile in „Hit103“ umgewandelt hat, kapituliert und stellt Ende Juni sein Programm ein. Offizielle Begründung: das „wirtschaftlich nicht tragbare Frequenzsplitting“. Radio100 zögert daraufhin nicht lange, bewirbt sich neben vierzehn weiteren Anbietern um die freigewordenden Sendestunden und - schießt den Vogel ab. Anfang Juli entscheidet der Kabelrat, die Frequenz nicht nochmals zu zerstückeln und gibt grünes Licht für „Radio100“. Sendekonzepte, die für den Falle eines zukünftigen Vollprogramms schon in früheren Zeiten erarbeitet worden sind, werden vom Staub befreit und in Windeseile überarbeitet. Ohne Scheu vor Leichenfledderei stocken die Alternativfunker ihre spartanische Studioausrüstung auf: Sie organisieren das Equipment der abgestürzten Ex-Nachbarn „Hit103“. Jetzt - eine Woche vor dem Start ins Fulltime-Zeitalter - steht das Programm wenigstens auf dem Papier. Inwieweit der Traum der „Radio100„-ProduzentInnen, rund um die Uhr zu senden, nicht zum finanziellen Alptraum gerät, bleibt abzuwarten. Für WahrsagerInnen gilt: Auf Wiederhören ab 1.September!
Christine Berger
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