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Q U E R S P A L T E Der Rausch des Neptun

■ Voyagers Trip durch die astrologische Brille betrachtet

Um zwölf Uhr hat der Journalist den Astrologen angerufen und gefragt, ob der Flug des Voyager II zum Neptun nicht vielleicht doch eines esoterischen Kommentares bedürftig sei. Gedacht habe ich: „Nein, eigentlich nicht“, aber gesagt habe ich: „Ach ja, warum denn nicht mal so herum“. Es ist dann noch eine volle Stunde verstrichen, bis der Journalist die Daten des Startes recherchiert hatte, und als ich fragte, wieviel Zeit ich hätte, - bis halb vier für fünfzig Zeilen a 45 Anschläge - habe ich gesagt: „Wahnsinn, aber typisch Neptun“.

Ich habe dann angemessen reagiert und, angesichts eines indiskutablen Zeilenhonorars, eine Flasche Müller-Thurgau entkorkt, trocken, Jahrgang 1988, - das ist allerbester Neptun: ein kleines, feines Räuschlein am frühen Nachmittag. Dann habe ich die Geburtsdaten des Startes meinem Computer einverleibt: 20.August 1977 (auch ein guter Weinjahrgang), um 15.29 Uhr MEZ in Cape Caneveral.

Während sich der Computer seinen Berechnungen und ich mich dem Trunk anheim fallen ließ, hat sich mein Gedächtnis der astrologischen Tradition gewidmet, das ein breites Spektrum von Begriffen, neptunische Eigenschaften betreffend, entwickelt hat: grenzenüberschreitend, transzendierend, partizipierend, das Verborgene suchen hinter plus unter plus über plus zwischen den Sinneserscheinungen; Träume, Visionen, Hypothesen; Auflösung, Zersetzung, dazu sämtliche Sorten von Sucht; schließlich: Die Sehnsucht des Einzelmenschen nach Verschmelzung mit dem Universellen...

Da kann der Astrologie-Profi schon ins Grübeln kommen, wenn er erfährt, was die Raumfahrt-Reiseveranstalter dem Voyager II alles ins Gepäcknetz gelegt haben. Es scheint, als seien es lauter Neptun-typische Utensilien gewesen: die digitalisierte Karte der menschlichen Maße und Proportionen, Tonbänder mit Stimmen von Staatsoberhäuptern, Informationen über Lage und Art unseres Heimatplaneten. Und dann haben veritable Naturwissenschaftler, denen ansonsten nur physikalische Fakten heilig sind, auf einen Knopf gedrückt. Es wurde ein Satelliten-Partikelchen hochgeschossen, und darin enthalten war die offenkundig esoterische Hoffnung, es möge sich irgendwo in den Weiten des Alls, jenseits unseres Sonnensystems, deren Rand in unserer Epoche von Neptun markiert wird, eine dem Homo-sapiens sapiensis adäquate Spezies melden und mitteilen: Ihr da irgendwo, ihr seid nicht allein. Wenn das der liebe Gott wüßte! Ihr habt da, meine Herren ohne Damen, fürchterlich viel Geld investiert für blanke Spinnerei...

Ach ja doch, das Horoskop von Voyager II. Was will der Astrologe uns dazu sagen? Jede/r kann sehen, das Experiment ist geglückt. Leicht beduselt, stelle ich mit Vergnügen fest, daß der Kosmos seine Wirkung tut. Als Waage-Geborener habe ich zu konstatieren, daß zum Startzeitpunkt das Zeichen Waage im Osten aufgestiegen ist; worauf ich messerscharf schließe, daß ich heute diesen Kommentar verfassen mußte.

Clauswilhelm Brückmann, Berufsastrologe in Berlin

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