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FMLN-Kriegsversehrte fordern Ausreise

Neun kriegsversehrte Guerilleros besetzen Kathedrale in San Salvador / Präsident der ultrarechten Arena-Regierung, Cristiani, will Gespräche mit der FMLN / Cristianis Delegation ohne Militärs  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Eine Fahne der „Befreiungsfront Farabundo Marti“ (FMLN) mitten in San Salvador provoziert seit Sonntag die ultrarechte Regierung Alfredo Cristianis. Acht Kriegesversehrte der Guerillaorganisation hatten sich während der Sonntagsmesse von Erzbischof Rivera y Damas in die Kathedrale von San Salvador eingeschmuggelt. Sie fordern freies Geleit für über hundert schwerverletzte FMLN-Kämpfer an den Kriegsfronten.

Kurz vor der Amtsübergabe hatte ihnen der scheidende Präsident Napoleon Duarte Ende Mai die Ausreise zur medizinischen Behandlung zugesagt. Doch die rechtsextreme Arena blockierte den Geleitbrief damals mit ihrer Parlamentsmehrheit.

In der klobigen Betonkathedrale treffen sich unzählige Organisationen und Einzelpersonen, die sich mit den Kriegsversehrten solidarisieren. Auch aus den USA und Europa treffen ständig Solidaritätsadressen ein. Acht junge Männer und eine Frau sitzen auf dem Stiegenaufgang zum Hauptportal. Erzbischof Rivera y Damas, der für derartige Aktionen wenig übrig hat, will die friedlichen Besetzer zumindest nicht vertreiben und gewährt ihnen den Schutz der Kirche.

Ein 23jähriger, dem ein Arm und ein Bein fehlen, erzählt, daß er nach seiner Festnahme verhört und gefoltert wurde, noch bevor seine Wunden verheilt waren. Erst nach Monaten war es ihm gelungen, in einem Flüchtlingslager Unterschlupf zu finden. Mitglieder der verschiedenen Komitees, Angehörige von Verschwundenen und politischen Häftlingen bringen täglich Lebensmittel. Das seien „Terroristen, die bestraft werden müssen“, wetterte Innenminister Francisco Merino, der die Räumung der Kathedrale fordert. Sie hätten keinen Anspruch auf Ausreisegenehmigungen, erklärte auch Oberst Inocente Montano, Vizeminister für die innere Sicherheit. Ricardo Valdivieso, der Präsident der Nationalversammlung, drückte dieselbe Haltung vornehmer aus: „Der Ausreise steht nichts im Wege, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.“ Das heißt, wenn sie gültige Pässe haben und ihre Unbescholtenheit nachweisen können.

Präsident Cristiani will das Problem im Rahmen der bevorstehenden Verhandlungen mit der FMLN lösen. Die kriegsversehrten Guerilleros berufen sich nicht nur auf die Genfer Rotkreuzabkommen aus dem Jahre 1949 sondern auch auf ein Abkommen mit der Regierung, das Anfang 1987 in Panama abgeschlossen wurde, nach dem „Verletzte regelmäßig“ durch das Internationale Komitee des Roten Kreuz evakuiert werden sollen ohne „Notwendigkeit eines Austausches oder Pressionen“. Bis dahin hatte die FMLN den Abtransport kampfunfähiger Guerilleros immer durch einen Austausch erzwingen müssen. 1985 entführten sie Duartes Tochter Ines Guadalupe, um über hundert Versehrte aus dem Lande und zwei Dutzend Gefangene aus dem Kerker freizupressen. Insgesamt wurden seit 1984 über 270 Verwundete ausgeflogen.

Die Armee hat das Abkommen von 1987 nie respektiert und seither auch mindestens drei Feldlazarette der FMLN überrannt. Zuletzt im April in der Provinz San Vicente: eine französische Krankenschwester und ein argentinischer Arzt wurden dabei getötet.

Nach dem Präsidentengipfel von Tela hatte Cristiani die baldige Aufnahme von Gesprächen mit der Guerilla angekündigt. Sie sollen in der ersten Septemberhälfte in Costa Rica unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. „Soweit sind wir einverstanden“, meint dazu Venancio Salvatierra von der Politisch-Diplomatischen Kommission der FMLN. Die alte Forderung, daß die Verhandlungen in El Salvador und auf höchstem Niveau stattfinden, wurde fallengelassen. Allerdings wolle man wie bei den bisherigen Dialogrunden den Erzbischof als Moderator dabeihaben und außerdem Vertreter der UNO und der OAS als Zeugen hinzuziehen. Cristianis Delegation soll sich aus Repräsentanten der Exekutive, der Legislative und des Obersten Gerichtshofes zusammensetzen, also keine Militärs einschließen. Die FMLN vermutet daher, daß die Regierung die wichtigsten Streitpunkte aussparen und nur über Nebenaspekte verhandeln will. Denn ohne Zustimmung der Armee läuft in El Salvador nichts. Das FMLN-Oberkommando hat seine Wünsche Anfang des Monats über die Oppositionsparteien an den Präsidenten geschickt und wartet noch auf eine Antwort.

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