Sozialhilfe triumphiert über Millionen

Waldhof Mannheim - Bayern München 1:0 / Mannheimer Underdogs lassen Deutschen Meister alt aussehen  ■  Aus Waldhof G. Rohrbacher-List

Ein verregneter Tag, ein von Dunst verhangener Himmel über dem Mannheimer Waldhof-Stadion. Eine typische Kulisse hier in Mannheim-Nord, wo der SVW seit Beginn der neuen Saison wieder zu Hause ist. Hier qualmen die Industrieschlote, als sei man mitten im Pott. Der SVW ist in seine „Heimat“ zurückgekehrt, hier trifft das Wort, dem so viel Gefühlsduselei anhängt, voll zu. „Der Waldhof“ hat seine Identität wieder.

Das alte Stadion faßt zwar nur 15.000 Zuschauer, aber mehr als 3.000 Dauerkarten sind verkauft worden, denn: Hier ist was los. Keine trennende Aschenbahn, die Artisten und Statisten sind fast zum Anfassen nah. Vergleichbar ist die Atmosphäre mit jener am Hamburger Millerntor, nur daß das Publikum in St. Pauli bunter gemischt ist und im proletarischen und subproletarischen Milieu des Mannheimer Nordens die „Autonomen“ mit dem Totenkopf fehlen.

Hier in Waldhof und in Schönau lebt eine große Anzahl der Mannheimer Arbeitslosenhilfe-Empfänger, und das Stadion steht gleich neben dem Alsenweg, einst ein trostloses Obdachlosenasyl, heute saniert, aber noch lange nicht frei von sozialer Problematik. Einen Kilometer weiter befindet sich das einstmals größte Obdachlosengebiet der Bundesrepublik, Waldhof-Ost. Bis heute ist der Alsenweg ein Reservoir, aus dem der SVW schöpft. Da stellt sich die Frage, ob es so sinnvoll ist, wenn die Stadt Mannheim zwischen dem noblen Stadtteil Oststadt und Neu-Ostheim ein neues Stadion mit 30.000 Plätzen baut. Der Verein wäre wieder entwurzelt, denn dort ist der VfR zu Hause, der einst so verhaßte Lokalrivale, der 1949 das schaffte, was dem SVW nie vergönnt war: Deutscher Meister zu werden.

Zweimal wäre die Mannschaft fast abgestiegen, Retter war ein echter Waldhofer. Günter Sebert, 41, seit 32 Jahren im Verein, aufgewachsen im Mannheimer „Kiez“, hatte die Elf, der das Image der „Kloppertruppe“ anhing, zu einer spielerischen Einheit geformt, wie das Zustandekommen des 3:2 auf dem Lauterer Betzenberg vergangene Woche beweist. Und die Mannheimer machten dort weiter, wo sie beim FCK aufgehört hatten. Angetrieben von 15.000 schnürten sie die Bayern ein, die nach ihrer Fete gegen Christoph Daum auch den Gegner Waldhof schon auf der Habenseite gebucht hatten.

„Osram“ Heynckes brachte es auf den nicht erreichten Punkt: „Der SVW ist als Mannschaft aufgetreten.“ Der Gegensatz war der FC Bayern München. Viele Einzelaktionen, viele Mißverständnisse, viele Fouls (Dorfner war kurz vor dem Aus) - und ab und zu ein wenig Glück für den SVW-Keeper bei Schüssen von Thon und Wohlfarth. Das war schon alles vom Deutschen Meister. Der hätte wahrscheinlich wieder seinen Glückspunkt entführt, wäre da nicht der Freistoß von Güttler in der 67. Minute gewesen. Ein flacher Schuß, Johnson, nach der Halbzeit für den verletzten Augenthaler eingewechselt, fälschte ab, Aumann schaute dumm drein. 20 Minuten vor dem bitteren Ende kam Mic für Mac, der Jugoslawe Mihajlovic für den Schotten McInally, die beide zu blaß blieben für die über sechs Millionen, die sie gekostet hatten - mehr als das ganze Waldhof-Team zusammen. So war der 1:0-Sieg des SVW quasi ein Triumph von Sozialhilfekickern gegen ein sattes Millionenteam aus München.

Prognose: Diese Bundesliga-Saison kann spannend werden, und ob Heynckes sie als Bayerntrainer überlebt, weiß nur die „himmlische Göttin des runden Leders“. (Als Gott den Fußball schuf, war es ihr bitter ernst, d. säzz.)

WALDHOF: Zimmermann - Güttler - Dickgießer, Tsionanis Müller, Dais, Siebrecht, Buric (75. Haun), Schindler - Rudel (89. Trieb), Freiler

MÜNCHEN: Aumann - Augenthaler (46. Johnson) - Grahammer, Kohler - Pflügler, Dorfner, Schwabl, Thon, Reuter Wohlfarth, McInally (72. Mihajlovic)