: Peter Lohauß-betr.: "Bleibt drüben", taz vom 19.8.89
betr.: „Bleibt drüben“,
taz vom 19.8.89
(...) Während ich diese Zeilen in meine „Contessa“ hacke, geht es mir alles andere als königlich. Ich „wohne“ seit Mittwoch vergangener Woche in Marienfelde, besitze noch immer den DDR-Reisepaß RX 1018161, bin „Republikflüchtling“ und derzeit weder Bürger Ost noch Bürger West. Doch der „Zwitter“ wundert sich, mit welcher Kaltschnäuzigkeit ein politisches Gremium in West-Berlin über die schlimme Mauer schielt und sich in die Gefühle von Millionen anderer Deutscher hineinzuversetzen glaubt. Keine Privilegien den „Zonis“, dafür bitte deutsche Zweistaatlichkeit. Die Mauer noch höher - und wenn schon rüber, dann nur mit Asylantrag. Danke, Herr Lohauß - auch im Namen meiner Mitbetroffenen vom Bolzplatz 3, unserem Ausgangspunkt für tagelange Nervenproben auf Sichtungs- und Weisungsstellen, Landeseinwohner- und Bundesaufnahmeämtern. Wenn Sie von den Schicksalen der Menschen hier erfahren würden - die ein gemütliches Heim, gute Freunde, einen Job, der Spaß bereitete, und 1.000 Erinnerungen zurückließen -, ich glaube, Ihr Brett vor dem Kopf hätte kleinere Ausmaße. Haben Sie schon einmal in ihrem Leben eine Frau umworben, ihr Blumen geschenkt und Liebe geben wollen - um dann, mit gleichgültigem Achselzucken, kein Gefühlsecho zu hören? Auch wir haben gehofft, gefreit, geliebt. Jahrelang. Doch sie müssen einem Menschen schon zugestehen, daß er für sich entscheidet: Es lohnt nicht mehr. Die Frau will mich ja nicht. Investiere ich doch Herz und Kraft, Freude und Liebe anderswo. Nur: Unsere Frau hieß nicht Margot und Monika, Bille oder Katrin - sie hieß schlicht DDR!
Ich gebe Ihnen recht, daß es sich nicht lohnt, über jene zu debattieren, die ihren Trabi hier gegen einen chromblitzenden Mercedes einzutauschen gedenken. Die sind mir auch suspekt. Materiell ging es denen sicher nie sehr schlecht. Aber es gibt Tausende, denen das Herz sich krampft, weil sich im Staat der greisen Führer nichts bewegt, obwohl im Osten 73 verlorene Jahre mit Siebenmeilenstiefeln aufgeholt werden sollen, auch Querdenker Platz am Tisch der Macht erhalten und mit korrupten Genossen abgerechnet wird, die nicht nur optisch satt sind. Daß ich Moskau, Warschau, Budapest meine, Herr Lohauß, ist sicher klar. Sie sind ja ein kluger Kopf. Aber wo bleibt Berlin? Das andere, jenes mit Alex, Frankfurter Allee (in der ich wohnte), mit Müggelsee und Rotem Rathaus?
Bleibt drüben! fordern Sie. Wer die Kraft und die Lust und die Überzeugung hat, daß es sich lohnt, soll wirklich drüben bleiben. Aber ich besaß sie nicht, hätte platzen können, war unten, weil sich „nichts tat“. Wer Liebe gibt, will auch Liebe nehmen. Ich hatte vergebens gehofft.
Jörg Kotterba
(...) Wir geben es zu: Wir haben versagt. Wir waren zu schwach und haben unseren Platz an der Klassenkampffront in der DDR verlassen, nicht länger ausgehalten und damit den SED-ReaktionärInnen zu wenig Widerstand geleistet.
Mit großer Freude lasen wir von der Bereitschaft, die DDR im aktiven Kampf zu retten, und machen das Angebot, unseren schmählich verlassenen Platz dort einzunehmen. Da sehr viele DDR-BürgerInnen dazu nicht mehr bereit sind, kommt dieses Angebot gerade zur rechten Zeit. Uns wird ein Besuch unserer zurückgelassenen Heimat zwar verwehrt, aber unsere moralische, materielle und finanzielle Hilfe sei Euch gewiß. (...)
Noch ein paar Erfahrungen aus dem täglichen Leben wollen wir Euch mit auf den Weg geben: Durch die geflohenen DrückebergerInnen vorm Grabenkrieg mit der SED-Reaktion stehen viele Wohnungen leer. Wir würden Euch eine Adressenliste mitgeben, Ihr müßtet sie dann besetzen und instandsetzen, aber einige von Euch haben sicher Erfahrungen damit.
Zur oppositionellen Arbeit in der DDR gehört außerdem Mobilität, und das Transportieren von Flugis kann durch Taschenkontrollen abrupt beendet werden. Wir überlassen Euch deshalb unsere Autoanmeldung, und da wir schon acht Jahre gewartet haben, könntet Ihr in weiteren acht Jahren einen konspirativen Trabant zugeteilt bekommen. Aber vielleicht ist die AL großzügig bei ihren OstgenossInnen, und ein Auto kommt als Westgeschenk schneller. Der Alltag in der DDR läßt sich erlernen, und unsere verbliebenen FreundInnen werden Euch sicher mit so offenen Armen empfangen wie Ihr uns.
Mit einem PM 12 (Kennausweis für aufmüpfige DDR -BürgerInnen) wird es dann leider unmöglich, das Land in eine beliebige Richtung zu verlassen. Aber vielleicht sind Euch die StasibürokratInnen des Arbeiter- und Bauernstaates wohlgesonnen, und Ihr dürft reisen - nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der CSSR, oder auch einen Antrag stellen für eine Erlaubnis zur Reise in den Westen.
Laßt Euch nicht beirren von zivilen, unauffälligen Herren vor Eurer zukünftigen Wohnungstür oder in Begleitung auf Euren Wegen. Wenn Ihr zur Klärung des Sachverhaltes mitgenommen werdet und als Mielkes Privatgäste wieder aufwacht, dann habt Ihr lediglich Unüberlegtes gedacht oder auch gesagt und getan. Die paar politischen Gefangenen in der DDR sind nur frustrierte TrabantfahrerInnen.
Es ist also alles nicht so schlimm. Wir werden Euch mit Rat unterstützen, falls Ihr noch weitere Fragen habt, oder vielleicht auch ein wenig Angst. Wendet Euch vertrauensvoll an uns. Und falls Ihr doch Gewöhnungsschwierigkeiten in der DDR habt, vergeßt nicht, Euch vor der Übersiedlung in den Westen Eure revolutionäre Arbeit bestätigen zu lassen - denn nur politisch Verfolgte dürfen einen Asylantrag stellen.
Aber erst einmal: Haltet aus, so lange bis Ihr RentnerInnen seid und vielleicht mal in den Westen dürft, beim Italiener sitzen und die taz lesen könnt.
Henry Leide, Silke Leide, Angelika Zapf, früher Halle/Leipzig
(...) Peter Lohauß übersieht, daß es sich bei den Flüchtlingen um eine Massenbewegung handelt, die an kritischer Auseinandersetzung mit der traurigen DDR-Realität enormes beigetragen hat. Respekt ist das mindeste, was WestlerInnen den DDR-BürgerInnen entgegenzubringen haben, die aus guten Gründen eine ablehnende Haltung gegenüber ihrer Obrigkeit entwickelt haben. Ob sie daraus die Konsequenz ziehen zu bleiben oder zu gehen, ist dabei allein ihre Sache.
Statt irgendwelche fragwürdigen Ratschläge zu erteilen, sollten wir lieber versuchen, den Menschen, die zu uns kommen, zu helfen. Ein Mindestmaß an Solidarität könnte sich auch in dem Bemühen ausdrücken, die Demokratie- und Umweltbewegung in der DDR wirksamer zu unterstützen. Die DDR -BürgerInnen zu AusländerInnen zu erklären, steht sicherlich im Widerspruch zu diesem Ziel. (...)
Die Position von Peter Lohauß geht eben leider nicht von den Menschen und ihren Problemen aus, sondern entspringt einer am Schreibtisch entwickelten Ideologie. Ob diese in der AL mehrheitsfähig ist, muß sich auf der angekündigten Mitgliederversammlung im Herbst erst noch erweisen.
Peter Klepper, AL Berlin-Tempelhof
AL-Vorständler Peter Lohauß zeichnet eine wahrhaft absurde Perspektive für frustrierte DDR-BürgerInnen. AL und Grüne sollen sich zum Schiedsrichter über das kaputte Verhältnis zwischen DDR-Führung und DDR-BürgerInnen aufschwingen und sich mit den autoritären Regierungsgreisen solidarisieren. Lohauß meint, wenn die BRD den DDR-AbwanderInnen tüchtig Steine in den Weg legte, kämen in der DDR endlich Demokratie und Organisationsfreiheit auf die Ladentheke. Diese Rechnung enthält zwei Annahmen, die beide falsch sind.
Erstens gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß die DDR-Führung ihre entmündigende Nulldemokratie aufgibt, sobald sie es leichter hat, damit fortzufahren. Denn nichts spricht dafür, daß Honecker und die seinen einen anderen Sozialismus wollen als den, den ihre Stasi zu schützen versucht. Und zweitens ist einzukalkulieren, daß die Aussicht auf die „zweitbeste“ (persönlich aber immer prekäre) Lösung der Ausreise eher zur Stärkung als zur Schwächung der DDR-internen Protestbereitschaft beiträgt.
Mit der Gefahr eines neuen Großdeutschland hat das nun wirklich nichts zu tun. Oder kann sich Lohauß gar keine offene, demokratische und reformsozialistische DDR neben der BRD vorstellen? Sollte die AL den DDR-BürgerInnen wirklich eine Option wegnehmen wollen, um deren Regierung mehr Handlungsspielraum zu verschaffen, dann möge sie konsequenterweise auch gleich ihr Verhältnis zum hiesigen Staat neu definieren: Verzicht auf Protest, Freizügigkeit, Selbstorganisation und Rechtsstaatlichkeit macht vielleicht auch den BRD-Kapitalismus reformfreudiger?
Helmut Wiesenthal, Bremen
(...) Schlimm finde ich, daß die AL durch solche Beschlüsse grundlegende grüne Vorstellungen über Bord schmeißt und sich dessen vielleicht noch nicht einmal bewußt ist. Da wäre zum Beispiel das grüne Bestreben, das plebiszitäre Element zu stärken aus der richtigen Einsicht heraus, daß die Betroffenheit von einzelnen und Minderheiten gegenüber der nationalen und internationalen „Zentralmacht“ zu stärken sind. Wie würde wohl ein Plebiszit in der BRD und DDR zu diesem Thema ausfallen? Es kann doch im Ernst nicht Anliegen grüner Politik sein, den Deutschen zentral zu verordnen, wie sie sich zu organisieren haben.
Auf der anderen Seite ist es natürlich richtig, daß die Deutschen (und zwar alle) ein höchst neurotisches Volk sind, wo Europa Angst haben muß, wenn es in diesem „Gemütszustand“ zu viel Macht hat. Das trifft aber auch jetzt schon für die BRD allein zu, und der Unterschied zwischen BRD mit oder ohne wiedervereinigter DDR wäre nur ein quantitativer, kein qualitativer.
Perspektive der Linken kann es meiner Meinung nach nur sein, in einem zum Beispiel plebiszitär wiedervereinigten Deutschland politisch daran zu arbeiten, die gesamtdeutschen Neurosen nicht zu bedrohlich werden zu lassen, und nicht durch solche idiotischen Beschlüsse mit dem Arsch umzuwerfen, was vorne mühsam aufgestellt wurde.
Wolfgang Eisenberg, Clenze
Diejenigen, „die endlich keinen Trabi mehr fahren wollen“, sollen also „nicht mehr übersiedeln“. Damit hat Peter Lohauß - wenn auch auf ökonomisch höherem Niveau - den nahtlosen Anschluß an diejenigen gefunden, die schon immer eine scharfe Trennung zwischen politisch Verfolgten und sogenannten Wirtschaftsasylanten gefordert haben. Ganz offensichtlich machen sich in der Alternativen Liste, noch kein halbes Jahr Regierungspartei, angesichts der großen Zahl von ÜbersiedlerInnen genau dieselben Abwehrreflexe breit, die das politische Handeln der alten Regierungsparteien schon immer beherrscht haben. Eine jämmerliche Vorstellung alternativer Politik.
Die Menschen, die in diesen Monaten zu Tausenden nach West -Berlin kommen, stellen die Halbstadt tatsächlich vor gigantische Probleme, wohnungspolitisch, sozial und ökologisch. „Das Boot ist voll“, tönt es, wenn auch noch zaghaft, auch aus alternativem Munde. Tatsächlich gilt es, sich der Frage zu stellen, wieviele Menschen in der Stadt mit ihrer begrenzten Fläche unter erträglichen Bedingungen leben können. Es fehlt der Stadt nicht nur an Infrastruktur zur Aufnahme der 80.000 Ostberliner, die angeblich ausreisen wollen, sondern auch ein Wohnungsbau, der den Restbestand an ökologisch wertvollen Flächen zu zerstören droht, ist für die AL inakzeptabel. Dies ist unser Problem, und da führt weder eine neue StaatsbürgerInnenschaftsdebatte dran vorbei noch eine Trennung in gute (die, die reformieren wollen) und böse DDRlerInnen, wobei die bösen halt die sind, die da Urlaub machen wollen, wo es auch Peter Lohauß tut.
Ich weiß nicht, wann die Stadt ihre bevölkerungsmäßige Schallgrenze erreicht, aber solange dies nicht geschehen ist, muß hier jede/r leben dürfen, der/die will. Statt sich mit SPD und CDU darüber zu streiten, ob denn die Containerdörfer, die derzeit überall errichtet werden, nun besser auf diese Wiese oder jenes Gewerbegebiet gehören, sollten wir laut aussprechen, wo in dieser Stadt Flächen sinnlos vergeudet und Wohnungen nur aus ideologischen Gründen bewohnt werden. „Der Senat weist darauf hin, daß diese Flächen sehr unterschiedlich genutzt werden, insbesondere für rein militärische Einrichtungen (Kasernen), für Wohngebiete, Wohnfolgeeinrichtungen und soziale Infrastruktur...“, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage zur „Flächennutzung durch alliierte Streitkräfte“. Ingesamt 1.350 Hektar sind angesprochen, mehr als der Bezirk Kreuzberg oder Schöneberg umfaßt.
Genau hier liegt die Luft, die die Stadt noch hat. Wenn der Senat in der Lage wäre, ohne den politischen Status der Stadt in die Debatte zu bringen, die Alliierten von der Notwendigkeit eines breiten Truppenabzuges zu überzeugen, würde nicht nur Fläche frei, sondern fertige Wohnungen, Wohnfolgeeinrichtungen und soziale Infrastruktur. Dabei können wir aus meiner Sicht jedwede ideologische Debatte ob es sich nun um Schutz- oder Besatzungstruppen handelt -, außen vorlassen. Der schnelle Abzug möglichst vieler Militäreinheiten wäre tatsächlich ein Schritt der Alliierten, für den die Stadt dankbar sein könnte. Erstens brauchen's ja nicht alle sein, und zweitens - mal ehrlich -, zum Schießen brauchen wir sie wirklich nicht.
Micha Wendt, AL Berlin
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